Scharf-züngig statt blau-äugig

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 23 Uhr 52 Minuten

 

Vom dritten und letzten Tag der Medientage München 2009 wird nur von einer einzigen Veranstaltung die Rede sein - auch wenn es hier über weit mehr zu berichten Anlass geben würde - von der Veranstaltung mit dem ebenso spannenden wie schwierigen Titel:

Von der Zeitung zum interaktiven Online-Medium [1]

Spannend, da nun inzwischen allerorten von dem Ende der Zeitung – zumindest in der klassischen Form des papiernen Journals – die Rede ist. Aber auch schwierig ob der Frage, ob es nicht auch schon bei der klassischen Zeitung eine ganze Reihe von Interaktionsmöglichkeiten mit der Leserschaft gab und gibt und ob das Online-Medium aufgrund seiner neuen technischen Ausgestaltung per se auch als interaktive zu gelten haben wird.

Wolfgang Blau bezieht sich in seiner Eingangsmoderation sogleich auf diesen Titel und gibt ihm eine andere Wendung, in der er die Frage aufgreift, was denn „das Leitmedium der Zukunft“ sei.

Der erste Sprecher, der dankenswerterweise am Schluss der Podiumsdiskussion auch nochmals um seine Einschätzung derselben gebeten wird – „bravo Blau“ – hat sich der Idee einer Suchmaschine verschrieben, die auch in der Lage ist, Bewegtbildinhalte zu analysieren und zu annotieren.

Surangana Chandratillake ist im Vereinigten Königreich aufgewachsen und hat dort auch heute noch sein Forschungs- und Entwicklungslabor sitzen, in Cambridge, lebte aber in San Francisco.

Sein Thema ist „internet-television“ und seine Antworten auf die Frage, warum und wie dieses neue Medium entsteht und was es bewirken wird, beantwortet er aus der Sicht eines „computer-scientist“s, also aus technologischer Sicht.

Hier aus seinem – in englischer Sprache gehaltenen – Vortrag die wichtigsten Fragestellungen und Thesen:

 Die Technologie vermag ein Medium beeinflussen, aber nicht „die Medien“. Mit der neuen Technik sei es möglich, zunehmend breitbandige Verbindungen herzustellen. Und das wiederum bedeutet, dass man diese auch für Dienste verwenden könne, die bislang nur dem Rundfunk vorbehalten gewesen seien.
 Es bedarf einer langen Zeit der Anpassung, bis das neue Medium auch die Arbeit in und mit den Medien beeinflusst habe. Dieses zeigen die Bilder aus der Zeit der Erfindung der Radios in den USA, dort sieht man die Menschen vor dem Mikro noch in ihrer besten Abendgarderobe sitzen. Und selbst der US-President Roosevelt zeigt mit dem ausgestreckten Arm auf eine hinter ihm angebrachte Landkarte, während er zu seinen Radiozuhörern ins Mikrophon spricht. Das Radio von damals war „The Newspaper, that comes through your walls“.
 Die Erfindung des Kabelfernsehens ist ein anderes Beispiel dieser Art. Als die erste vom TV-Tower nicht ausgeleuchtete Zone ersatzweise mit einer Kabelverbundstrecke ausgelegt worden war, konnte damit erstmals im Jahr 1952 – nach und nach- eine Gemeinde von 14tausend Anschlussteilnehmern versorgt werden: Und das von demjenigen, die ganze Sache erfunden hatte, um auf diesem Wege erstmals auch in dieser bislang empfangsgestörten Umgebung seine TV-Geräte verkaufen zu können.
10 Jahre später hatten schon 650tausend Leute dieses Modell für sich kopiert. Und im Jahr 1971 waren es 16 Millionen Leute. Und warum. Weil eine damals noch junge Firma wie HBO, Home Box Office, begonnen hatte, diese Kabelkopfstationen mit einem und dem gleichen Programm zu bespielen: Community Access Television, CATV über Satellit. Und damit war man das erste Trans-Nationale Network. Und das wiederum bedeutete auch, dass man erstmal eine Reihe von sogenannten Nischenprogrammen hat fahren und mit Erfolg platzieren können.

Wichtig in allen diesen Entwicklungen: es dauert seine Zeit. Und es brauche seine Zeit, bis man vergisst dass das Internetfernsehen was mit den Protokollen TCP und IP zu tun hat. Während immer noch die Debatte von dem Medium TV und dem Medium Internet als zwei Antipoden die Meinungsmacher beschäftigt, hat das Publikum längst einen neuen Weg gesucht – und gefunden. Nach den in eigenen Untersuchungen in den USA und in GB herausgefundenen Zahlen nutzen 80% der ans Breitband angeschlossenen Haushalte dem Computer, während dort der Fernseher in Betrieb ist. Und ein Drittel [2] nutzt beide Medien regelmässig parallel zueinander.

Der langen Rede tieferer Sinn wird von dem Referenten in einem einzigen Satz auf den Punkt gebracht: Anstatt „TV on the internet, TV in the internet“.

Auf die Nachfragen des Moderators erklärt Suranga unter anderem: „First I would go against the idea of older colleagues against younger colleagues. I found some of the most innovative minds in our space to be people who might have passed all this. It is openness to new ideas!
The single best thing that we have done at blinks is try to look what people are doing around us. Talk to your audience! You don’t have to be very scientifique
.”

Nach dieser Vorstellung wird Hans-Jürgen Jakobs – süddeutsche online – gefragt, wie er sich sein Online-Medium der Zukunft vorstellen würde, und er sagt unter anderem:
Das Online-Medium ist die natürliche Anlaufstation für Leute, die Inhalte suchen.“ Die Informationsportale der Zukunft würden in Zukunft nicht die Anmutung von „Papier auf dem Bildschirm“ haben. In Zukunft bräuchten wir „eine neue Führung und die Umsetzung von 3D“. Und zu einem späteren Zeitpunkt setzt er fort: Auch in Zukunft werde es keine neuen Einkommensquellen für die Verleger geben, „ausser Werbung und Vertrieb“. Schon heute würden die Online-Portale mehr Reichweiter herausschaufeln als ihre Printschwestern – nur Geld würde dabei keines rüberkommen.

Jörg Sadrozinski – tagesschau.de – sieht durchaus einen Reiz darin, der Gesellschaft insgesamt auf „seiner“ Plattform eine Gelegenheit um Dialog und Diskurs anzubieten, ist sich aber darin sicher, dass ihm das derzeit im Rahmen der aktuellen politischen Diskussion verwehrt sein würde.

Ganz im Gegensatz zu der „Elefantenrunde“ zur Eröffnung der Medientage ist der Dialog zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Privaten auf diesem Podium ein ganz anderer. Dazu Dr. Marcus Englert – Vorstand ProSieben-Sat1 – „… ich glaube aber in der ganzen Diskussion mit den Öffentlich-Rechtlichen – und vielleicht ist eine Infrastrukturleistung auch eine Lösung dazu – haben wir die Zeit vielleicht nicht richtig genutzt, um uns zu überlegen, was wir jetzt eigentlich machen sollen in dieser internationale Welt der Expansion des Internets […] Vielleicht haben wir uns allzu lange auf den falschen Feind eingeschossen. Eigentlich sollten wir einen Schulterschluss finden um gemeinsam auch an diesem Standort Deutschland und in Europa ein bischen was aufzubauen – aber man darf bei aller Lieben zu den Öffentlich-Rechtlichen nicht alle Schranken aufheben und sagen, macht doch was ihr wollt, expandiert doch und macht uns erst einmal platt. Wir müssen den richtigen Mix finden, den haben wir noch nicht gefunden, da gebe ich Ihnen recht.“ [3]

Und nachdem in der Elefantenrunde René Obermann von der DTAG auch kaum mehr als Allgemeinplätze der durchaus besonderen Güte hat verbreiten können, kann Achim Berg in seiner nunmehr auch nicht mehr so neuen Rolle als CEO von Microsoft Deutschland ergänzen: „Dieses Thema durch irgendwelche Restriktionen einer Entwicklung in die Schranken verweisen zu wollen, das funktioniert nicht. Ich hab die Diskussion jetzt wirklich im zweiten Jahr miterlebt, als Aussenstehender […] Es geht doch darum, dass sich die zwei Parteien an einen Tisch setzen müssen, und eine vernünftige Lösung finden – aber die technische Entwicklung kann ich doch durch so was nicht aufhalten. Das tut mir weh in der Seele was da gerade passiert, auch die Diskussion, die wir haben: Natürlich gehört zu TV auch der Online-Auftritt. Natürlich gehören die Medien zusammen. Ich kann das nicht trennen. Wenn wir das über einen Vertrag trennen würde, dann verrennen wir uns da, egal wie wird das diskutieren. Das werden sie genauso machen: Das heisst aus reiner technischer Sicht passiert hier ein grosser Humbuk, um es ganz deutlich so zu sagen. [4]

Die Diskussionen auf den Medienforen der letzten drei Jahre waren immer die gleichen […] Ich habe nie die Diskussion gehört, was macht die Technologie mit uns. Es wurde immer so gesagt: „das ist das Internet, wir sind die klassischen Medien – das ist doch überhaupt nicht mehr so: das Internet ist doch nicht das ‚Neue Medium’, das Internet doch vielleicht ein Katalysator für andere Bereiche. Auch von der Denkweise her habe ich mich immer gewundert: wir diskutieren immer noch über ‚Das Fernsehen’. Ich habe mal gesagt ‚Das Fernsehen ist tot. Ich meinte damit nicht das Fernsehprogramm sondern ich meinte damit den Fernseher in seiner Logik, wenn sie das ‚smart home’ ansprechen: genauso wie ein Radio kein UKW-Empfänger sein muss. Das ist sehr viel mehr dahinter. Und wenn ich die Zeitungen sehe, das muss nicht aus Druckerschwärze bestehen, sondern das kann man natürlich anders machen. Und diese Vermischung, das wird nie diskutiert. Wir verkennen die Möglichkeiten, die vor uns sind und die werden wir auch nicht aufhalten können. Es geht übrigens hier nicht um Technik, meiner Meinung nach, aber es geht darum, wie wir es in unseren Gedanken weiterleben: Die Technik ist da, weitestgehend.“

Es bedarf keiner langen Überleitung des Moderators, um Axel Schmiegelow - CEO von sevenload – dazu zu motivieren, das Folgende zusagen:
In der ganzen Journalismusdebatte, und der Contentdebatte müssen wir eine Einsicht mal verarbeiten und das ist die, dass die inhaltliche Kompetenz überhaupt nichts mit dem Trägermedium zu tun hat. […]
Warum definiert sich ein Journalist darüber, ob er totes Holz beschreibt oder [ob] der Text, den er schreibt, sich an einem Bildschirm zeigt? Warum gehört das zum Selbstverständnis des Journalisten? Warum ist er nicht inhaltlich kompetent als – beispielsweise – Wirtschaftsredakteur, der selbstverständlich Text, Bild, Video, soziale Interaktion, Feedback, Teilnahme an Events, zum abgerundeten Gesamtbild seiner journalistischen Kompetenz macht? Warum ist das überhaupt eine Diskussion? Das ist nicht nachvollziehbar und für die Nutzer da ist es schon gar nicht nachvollziehbar
. […]
‘People like progress but they don’t like change.’ Man muss sich natürlich anpassen, das Geschäftsmodell verändert sich: natürlich erschreckend für einen Publisher, der bis zu 90% seiner Einahmen von Mediaagenturen bekommt, die klassische Buchungen erfahren, sich vorzustellen, dass diese andere Medium das zwar sehr viel Traffic erzeugt aber noch nicht so viel Umsatz, plötzlich das neue Leitmedium ist. Und leider ist das nicht nur die alten Dinosaurier gegen die neuen Onliner: die Onliner waren auch nicht gerade sehr schlau: Das Leitwerbeformat, was wir über die letzten 10 Jahre im Internet gepflegt haben, war die elektronische Littfass-Säule: der Banner. […]
Mein Kronzeuge ist Google. Der Onlienmarkt wächst und wächst und wächst. Und was ist denn in Wahrheit passiert? Google hat sich je nach Rechnung 40 bis 60 Prozent dieses Marktes einfach mal geholt in den letzten 5 Jahren und ist zum dominanten Player geworden: Weil wir einfach nicht erkannt haben – was sehr logisch ist in der Realität der Mediabuchung - dass jemand, der ein Wort eingibt, daran mehr interessiert ist als wenn er von einem Format angesprungen wird. Irgendwie hat das was mit dem Versprechen vom Internet zu tun. Und im Video wird das Ganze auch noch bewegt. Und in Social Media wird das Ganze auch noch in einen sozial relevanten Kontext gebracht.“ [5]

Die aus diesem ersten Teil des Gesprächs abgeleiteten „Learnings“ lauten - in Form von Fragen formuliert: Wer wird in Zukunft der „gate-keeper“ für die Endkundenbeziehungen sein, wem werden diese gehören, wer wird diese verwalten? Und: Wie wird es gelingen, auch kleine Beträge ohne Probleme von den Kunden abrufen und abbuchen zu können?

Nicht alles, was im Verlauf dieser Gesprächsrunde gesagt wurde war so spannend wie das, was hier exemplarisch aufgezeichet worden ist, dennoch lohnt das Nachhören auf der gesamten Länge: So auch das Nachfragen des Moderators nach der Bedeutung des "Leistungsschutzrechtes" oder erstaunlich offene Frage von W.-D. Ring nach der Rolle von Google in diesem Zusammenhang.
Da uns dafür noch keine simple Annotationstechnologie zur Verfügung steht, um diesen unten in den Anmerkungen eingespielten Sound-File entsprechend zu markieren, wird es der Neugier des Lesers anheim gestellt bleiben, sich selber hier entsprechend kundig zu machen. Fakt ist, dass diese Veranstaltung etwas damit versöhnt, was an unerfüllten An- und Aussprüchen auf der "Elefantenrunde" nur allzu gerne auch als Kritik zum Vortrag gebracht worden ist. Die Bereitschaft, auch selbstkritisch über die eigenen Grenzen hinweg zu sehen um so sich den anstehenden Herausforderungen auch wirklich stellen zu können - und zu wollen.

Anmerkungen

[2…von diesen oder insgesamt, das wurde in dem Vortrag nicht deutlich gesagt. WS

[3Danke, Marcus! WS.

[4Danke, Achim! WS

[5Wohl wahr, Axel.
Und das nachfolgende Zitat aus dieser Diskussion könnte man fast als Intro zu dieser Publikation durchgehen lassen:
" Wenn ich mir den Wert eines Journalisten angucke, dann erzeugt er einen Output, einen Text; dafür braucht er X Stunden; das macht er so paarmal in der Woche; und das muss sich refinanzieren. Da dieser Text als solcher jetzt sehr viel Wettbewerb hat im Internet, kann er mit diesem einen Stück Text nicht seine Arbeitsstunde refinanzieren. Wenn er aber seine Kompetenz über verschiedene Medien... zum Beispiel auch dadurch, dass er ansprechbar ist, man in einen Dialog mit ihm treten kann, was angloamerikanische Journalisten völlig selbstverständlich machen - wenn ich eine e-mail schicke kriege ich tatsächlich auch eine Antwort - dann kann ich plötzlich diesen Wert viel besser heben. "


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