Gutes Thema - guter Mann

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 6. Juni 2007 um 12 Uhr 20 Minuten

 

Im Rahmen der n_space Ringvorlesung "Medienproduktion im Wandel" - einer gemeinsamen Veranstaltung der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" (HFF) und der Universität Potsdam - findet heute im Raum 2115 (Videovorführung) der HFF in der Marlene-Dietrich-Allee 11 in 14482 Potsdam-Babelsberg) ein Vortrag von Christian Mahler zum Thema

"INTERCONNECTED PICTURES Raum-Zeit-Technikkonstruktionen"

statt. Der Vortrag ist wie folgt angekündigt:

Auf Bildern Dargestelltes ist nichts Gegenwärtiges, sondern eine mentale Konstruktion des Betrachters. Ein Foto ist nicht in der Lage, einen Gegenstand, ein Ereignis oder eine Person räumlich oder zeitlich umfassend zu beschreiben. Es lässt viele Leerstellen, die wir mit Eigenprojektion abzudecken versuchen. Das Wesen unserer Bilder hat sich mit dem Aufkommen digitaler Technologien verändert. Wir müssen lernen, Bilder nicht mehr als das durch eine Linse gesehene Abbild einer äußeren Realität zu begreifen, sondern als Träger einer in Bits und Bytes vorliegenden Bildinformation. Dies gestattet es uns, das klassische Verständnis des Raum-Zeit-Gefüges in Bildern zu überwinden und ein Bild als Metakonstruktion zu denken, in der alle Zeiten in einem Raum simultan verfügbar sind.

1990 wurde das erste Bild der Erde veröffentlicht, das alle Kontinente wolkenlos zeigt. Das Bild wurde in 10-monatiger Arbeit aus einer Datenbank mit Satellitenaufnahmen zusammengesetzt. Was damals eine Sensation war, ist heute mit Google Earth alltäglich geworden. Bevor technische Bilder durch den Privatgebrauch ein Massenphänomen wurden, zeichneten Autoren wie etwa Marcel Proust, James Joyce oder Robert Musil über individuelle Lebensschilderungen literarische Gesellschaftsportraits. Ein diesem Konzept entgegengesetztes, aber ebenso mentales Gesellschaftsbild wird auch durch die Jahrbücher des Statistischen Bundesamtes geprägt. Die Ent-Individualisierung hilft, ein Metabild zu entwerfen, in dem über Angaben wie Körpergröße, Gewicht, Verdienst und Konsumverhalten prototypische Muster in einer Kultur deutlich werden. Der Medientheoretiker Lev Manovich bemerkt, dass die modernen Medien ein neues Schlachtfeld für den Wettbewerb von Datenbank und Erzählung geworden sind.

Christian Mahler stellt verschiedene Ansätze einer Bildästhetik vor, die sich durch die Verfügbarkeit von privaten und öffentlichen Fotoarchiven im Internet ergeben. Der Autor sammelt und sortiert Bilder in Themenkomplexen und generiert daraus mittels Software neue Bilder. Aus je 100 separaten individuellen Erinnerungen an Urlaubsreisen, Hochzeiten oder Einschulungen visualisiert sich so das Schema einer Erinnerung oder eines visuellen Vorurteils. Dies geschieht mit dem Ansatz, das Konzept der statistischen Beschreibung von kulturellem und sozialem Verhalten auf die visuelle Ebene zu übertragen. Bei der Betrachtung der Bilder tritt das individuelle, durch Erfahrung, Prägung und Wissen mental konstruierte Schema mit dem arithmetisch gemittelten digitalen Schema in Wechselwirkung. So tritt das in der Informatik als EIGENFACE bezeichnete Muster zutage, das Individualität als Differenz zu einem Durchschnitt definiert. EIGENFACE reflektiert das Verhältnis von Realität, Abbild und Vorstellung auf einer höheren Stufe der Virtualität.

Und über den Vortragenden ist zu lesen:

Christian Mahler beschäftigt sich mit der Konzeption und Ästhetik der neuen Medien und ist Dozent für das Fachgebiet Szenografie mit neuen Medien an der HFF “Konrad Wolf”. Als Gründungsmitglied der Freelancergruppe LEM.STUDIOS arbeitet er an verschiedenen freien und kommerziellen Projekten. Nachdem Christian Mahler sich in der Dokumentation »Design Strategies for Converging Media« bereits umfangreich mit audiovisuellen Traditionen, Wechselwirkungen und Möglichkeiten der konvergenten Medien auseinandergesetzt hat, sucht er nun mit EIGENFACE nach den Mustern unserer visuellen Kultur.

Weitere Informationen sind zu finden unter:
 www.lem-studios.com/EXHIBITIONS/eigenface.htm
sowie in früheren Beitägen auf "DaybyDay"
 vom 16. September 2005 sowie
 vom 6. Juli 2005.


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