Das Ordungsamt sieht rot...

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 5. Juli 2006 um 07 Uhr 33 Minuten

 

Es ist 7.30 am Morgen. Der Standort: Vor der Eingangstür zum Bürohaus in der Kantstrasse 54. In Blickrichtung Innenstadt geht eine grosse Gruppe von Menschen den Fussweg entlang. Sie sind alle nur von hinten zu sehen - und sehen den Betrachter nicht. Auf allen ihren Hemdrücken steht in grossen Lettern das Wort: ORDNUNGSAMT.

Die Gruppe kommt an die Strassenkreuzung Krumme Strasse Ecke Kantstrasse. Die Fussgängerampel springt auf rot. Und die Gruppe: Sie hält einen Moment inne und dann geht dann langsam weiterschlendernd über die Strasse. Bei Rot. Weit und breit ist niemand zu sehen, auch nähert sich kein Auto der Kreuzung.

Man wähnt sich unter sich und tut das, was viele Andere als Privatpersonen auch gemacht hätten: Nicht stehen geblieben, trotz rotem Ampelmännchen.

Aber das ist nicht die ganze Wahrheit: Zwei aus der Gruppe machen nicht mit, sie bleiben stehe, bis dass die Ampel wieder umgeschaltet und ihnen grünes Licht gegeben hat. Dann überqueren auch sie die Strasse.

Auf der gegenüber liegenden Seite ist der restliche Trupp inzwischen stehen geblieben und hat auf die Nachkömmlinge gewartet. Und dann schlendert die ganze grosse Gruppe weiter voran.

Was ist wohl in diesem Moment in der Gruppe geredet worden?

Was für ein Erlebnis: So unscheinbar und doch so vielsagend:

 Haben die MitarbeiterInnen gerade dieses Amtes im öffentlichen Raum nicht eine Vorbildfunktion, auch wenn ihnen keiner dabei zuschaut?

 Ist es nicht menschlich, verständlich, ja „sympathisch“, dass sich die grosse Mehrheit der Gruppe nicht regelkonform verhält?

 Was hat das für die öffentliche Ordnung im Allgemeinen zu bedeuten, wenn klar ist, dass die Disziplin der Ordnungshüter allzu leicht von Gruppenregeln durchbrochen wird, die nicht denen ihres Berufes entsprechen?

 Was ist, wenn dieser Text „in die falschen Hände“ geriete und sich die Gruppe gegen den Urheber wenden würde um mit einer Verleumdungsklage zu versuchen, das Geschehene aus der öffentlichen Wahrnehmung auszuradieren?

 Welche Chance hätte man als Einzelner gegen die Macht eines solchen Korpsgeistes, der weder nur privat noch nur öffentlich ist, sondern aus einem Stoff gemacht, der unsere Geschichte als Deutsche massgeblich mitgeprägt hat?

 Warum muss so ein kleines Ereignis einem gerade jetzt ins Auge fallen, am „Tag danach“. Das Fussballweltmeisterschaftsfieber, in dem so vieles „Unordentliche“ so gerne toleriert wurde, ist vorbei.

Und: Macht es wirklich Sinn, so viel Text und Zeit für die Beschreibung und Reflexion eines so kleinen Ereignisses zu investieren?
Ja. Sonst wäre er nicht geschrieben worden.


 An dieser Stelle wird der Text von 2676 Zeichen mit folgender VG Wort Zählmarke erfasst:
9da9fea2c2f811ac4d1b129d198339