« Don’t Come Knocking »

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 5. Oktober 2005 um 08h33min

 

 Deutschland 2005. 123 Minuten, Farbe
 Regie: Wim Wenders
 Drehbuch: Sam Shepard, nach der Buchvorlage: Wim Wenders, Sam Shepard
 Produktion: Peter Schwartzkopff, Jeremy Thomas
 Kamera: Franz Lustig
 Musik: T-Bone Burnett
 Darsteller: Sam Shepard (Howard Spence), Jessica Lange (Doreen), Tim Roth (Sutter), Sarah Polley (Sky), Gabriel Mann (Earl), Eva Marie Saint (Howards Mutter) u.a.

Wim Wenders wird heute in "seinem" Kino in der Kantstrasse 54 bei der Vorstellung seines Films «Don’t Come Knocking» anwesend sein. (Einige Fotos und ein persönliches "give-away" finden sich am Ende dieser Seite).

Einen guten Einblick in die Umstände und Entstehungsgeschichte des Film findet sich in einem "Interview" [1], das Thomas Allenbach am 05.08.05 in der Schweizer Zeitung Der Bund veröffentlichte. Die Seite 9 dieser Zeitung kann hier als PDF-Dokumenteinsehen werden.

Anke Westphal hat in der von uns abonnierten
Berliner Zeitung vom 24. August 2005 zu diesem Film eine einfühlsame, selbst von einer gewissen zärtlichen Entrücktheit geprägten und dennoch nicht unkritische Filmbesprechung geschrieben [2] unter dem Titel:

Im Westen ist es am besten

Wim Wenders gräbt im Weinberg der Mythen: "Don’t come knocking"

Ein ultrablauer Himmel über einer nahezu menschenleeren Landschaft, ockerfarbene Felsmassive und das staubige Grün des Grases, das sich beharrlich unter den Hufen eines einsamen Gauls behauptet - so sieht der weite wilde Westen in "Don’t come knocking" aus. Es ist der seit Jahren entspannteste Spielfilm von Wim Wenders: leichthändig und selbstironisch spielt der Regisseur mit den amerikanischen Mythen, die er so liebt und schon in etlichen Filmen gefeiert hat. Wenders ist wohl der weltoffenste unter den deutschen Autorenfilmern und "Don’t come knocking" sein vorläufiges Abschiedsgeschenk an ein Amerika der Sehnsuchtsorte.

Die erste Einstellung des Films zeigt ein seltsam kantig geformtes Augenpaar, durch das der Blick des Zuschauers sogleich hindurchsaust, in die Leere der Landschaft hinein. Und bald wird hier tatsächlich alles zur Sicht auf eine Sicht, zur Projektion: Das Augenpaar etwa erweist sich mit zunehmendem Abstand als viel fotografierte Steinformation im Arches National Park in Utah, und schon schickt Wenders einen heruntergekommenen Cowboy-Darsteller in diese Vorstellung von Freiheit und Abenteuer: In der Logik moderner Medien ist Howard (Sam Shepard) immer noch berühmt, weil er früher berühmt und als Schauspieler angesehen war. Doch das muss lange her sein. Inzwischen hat Howard zu viele Frauen gekannt, zu viele Drinks genossen und zu oft den starken Mann markiert, und über all dem hat er vergessen, dass seine Zeit abläuft. In einem weniger lichten als resignierten Moment gibt er seinem Darstellerpferd die Sporen und flüchtet vom Set eines jener drittklassigen Western, die er fürs Geld dreht. Wortwörtlich macht sich der Cowboy auf die roten Socken in die Freiheit. Aber er landet nur im Häuschen seiner schon hochbetagten Mama.

Das ist es also, was vom Traum von Amerika bleibt: einerseits eine billige Inszenierung des Westens, andererseits eine nochmalige und unzweifelhaft schöne Überhöhung oft gebrauchter Bilder - es ist nicht wenig, und die ewige Landschaft wird auch das mit Sicherheit ebenso überdauern, wie der Westen in den unsterblichen Mythen fortbesteht. Immer wieder bricht sich in Wenders Filmen mit den betont leeren fotografischen Tableaus die Ahnung eines Wissens Bahn, das höher sein muss als alle Vernunft - gewissermaßen panempirisch, vielleicht religiös, nicht selten diffus. So kommt es, dass die Figuren ungeachtet ihrer persönlichen Macken in diesem Ungefähren geborgen wirken: als immer neue Inkarnationen fleißiger Arbeiter im Weinberg der Mythen. "Don’t come knocking" ist ein friedvoller Film.

Kein Film ohne Kämpfe: "You are a coward, Howard!" wütet Doreen (Jessica Lange), als sich Howard nach zwanzig Jahren eben mal so bei ihr in Butte, Montana, sehen lässt, um verspätet Bekanntschaft mit seinem Sohn zu schließen, der Frucht einer vermutlich genussmittelbefeuerten Liebesnacht. "You are a coward, Howard!" - Du bist ein Feigling, Howard: im Deutschen geht der leicht verzweifelte Witz dieses Satzes verloren, mit dem Doreen ihrem Ex-Lover begreiflich zu machen sucht, dass er weit mehr versäumt hat, als hin und wieder mal nachzufragen.

Wenders zieht in "Don’t come knocking" die Bilanz eines strikt egomanischen Lebens, aber es ist keine moralische Bilanz, sondern eine gelassene und goutierende - eine, die nicht mehr allzu viel von den Menschen erwartet. Gewiss wird der Zuschauer auch in diesem Film manchen der forcierten Bedeutsamkeiten begegnen, die einen mitunter bei Wenders stören - so dürfen hier drei der Figuren zum Ende hin an einer Straßenkreuzung zwischen den Orten Divide ("eine Meile") und Wisdom ("52 Meilen") wählen. Dennoch ist dies keinesfalls der Film eines verwöhnten "alten Sacks", wie der Autor Joachim Lottmann in einem ebenso unverhohlen missgünstigen wie verwirrten Spiegel-Artikel schrieb, sondern eben ein Film, der den Dingen des Lebens ihren Lauf lässt und sich das vorläufige Ergebnis besieht, ohne es auf die Depression ankommen zu lassen.

Eine gewisse zärtliche Entrücktheit ist vielleicht die hervorragendste von Wenders Qualitäten als Regisseur. Von Distanz kann man kaum sprechen; eher wie ein guter Geist begleitet Wenders seinen zerknitterten, feigen Helden auf der Reise in die Gegenwart einer folgenreichen Vergangenheit. Und da diese persönliche Vergangenheit natürlich auch Teil der kollektiven ist, führt die Reise eben auch in die Gegenwart der amerikanischen Mythen. Und das muss ein großes, ein äußerst drängendes Thema sein - jahrzehntelang sah man nicht mehr so viele Cowboy-Filme oder Neo-Western wie im vergangenen Mai beim Filmfestival in Cannes. Und auch in Wenders neuem Film springt es einen ikonografisch geradezu an.Denn hier wird der Cowboy ja nicht nur vom Cowboy-Darsteller und Hollywoods Großartigkeit nicht nur von Howards zweitklassigen Wüsten-Filmset abgelöst - es geht ganz umfassend darum, wieder mal zu schauen, was mit den Americana, jenen historisierend symbolischen Repräsentationen des Landes, noch anzufangen ist: mit Edward Hoppers Bildern, den Steinaugen von Arches, den glitzernden Casinos in Nevada, dem Monument Valley, den alten Autos oder den wie vor langer Zeit eingefrorenen Straßen von Butte mit dem in ihnen marodierenden alten Indianer.

Die Geschichte - sie war bei Wenders meist mehr Bild als Erzählstruktur. Und so verfängt man sich auch in "Don’t come knocking" eher in den Kreisfahrten der Wolken oder darin, wie sich Tim Roth einsam in der Wüste rasiert, als dass man sich für den Streit zwischen Howard, Doreen und beider Sohn Earl interessieren würde. In der ungeheuer sanften ironischen Akzeptanz all der verbrauchten Projektionen ist "Don’t come knocking" dann doch anders auf Versöhnung aus als die Mutter-Kind-Geschichte "Paris, Texas", Wenders und Shepards erste Zusammenarbeit von 1984.

Ach Howard: Klar, ein echter Cowboy wäre besser, aber ein Cowboy-Darsteller ist manchmal besser als nichts. Und ein später Vater ist mitunter auch besser als gar keiner. Man weiß ja nicht, was daraus entsteht, und der Blick muss sich auch nicht nur starr nach vorn richten.

© 2005 BerlinOnline Stadtportal GmbH & Co. KG, 24.08.2005

Bilder von der "Kantry-Party" im Hof des Kant-Kinos in der Kantstrasse 54, der eigens für diesen Abend hergerichtet und gegen Brandgefahr präpariert wurde:

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Wo sich ein ausgesprochen entspannter und doch besonnener Wim Wenders dem Ansturm der Besucher stellte: schliesslich hatte es an einem Montag ein "volles Haus" gegeben:

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Und wo mit der entsprechenden musikalischen Unterstützung

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eine tolle kleine Party in Gang gesetzt wurde, auf der bei allen Obgliegenheiten auch Wim als Fotograf seinen Spass hatte

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und die mit einer netten Widmung endete ;-)

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Anmerkungen

[1das wie auch ein Eigenes 2002 für die "c’t" per Korrespondenz entstanden ist

[2nur die letzte Zeile hätte ich anders geschrieben: anstatt
[...] und der Blick muss sich auch nicht nur starr nach vorn richten.
[...] und der Blick muss sich auch nicht nur starr nach hinten richten.
WS.


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