"Theater" als Akademie-Programm

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 25. Mai 2005 um 17 Uhr 19 Minuten

 

In der AKADEMIE DER KÜNSTE war am Abend des 24. Mai das Theater selbst das Programm. Und das war wahrlich gut genug für eine öffentliche Exposition und doch lief es Gefahr, sich selbst gut genug zu sein.

Wird "man" in der Abteilung der Darstellenden Kunst diesen während der Eröffnung offenherzig formulierten hohen Ansprüchen an das Haus [1] "gerecht" werden können? Jetzt erst (B)recht, mit Blick auf das zahlreich erschienene Publikum, das seinerseits aufs Podium und dahinter direkt auf den Pariser Platz [2] schaute.

Dieser erste gelungene und doch durchaus auch befragenswerte Versuch wird nicht der letzte geblieben sein.

Die Teilnahme und Teilhabe an dem Verlesen von zumeist nicht eigenen Texten [3] war von hoher Dichte und Qualität. Immer noch sind Müller und Brecht, Musil und Broch von ausgezeichneter Aktualität. Und die Überbringer ihrer Nachrichten an uns Nachgeborene - von Gisela May bis Hermann Beil [4] - sind nach wie vor von höchster Güte und Lebenskunst beseelt.

Und doch ist auch der Streit der Kulturen und Köpfe der Alte: an diesem Abend offen von Thomas Langhoff gegen Peter Zadek vorgetragen. Und uns damit zugleich erahnen lassend, wie es wohl zwischen den Mitgliedern dieser ehrenwerten Gesellschaft erst einhergeht, wenn das Publikum nicht "Mäuschen spielen" darf. "Bedenkenswert" daran ist nicht so sehr, dass der Streit etwa nicht alltäglicher Teil des Dialoges untereinander sein sollte und kann, "nachdenkenswert" ist vielmehr nach einem Abend wie diesem die Frage, ob Konflikte dieser Art produktiv gemacht werden können - und wie: nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Dialog im "öffentlichen Leben"?

Trotz Musikvortrag, Tanz und Deklamation: dieser Abend war alles andere als ein "Theater-Abend". Es war der Versuch, auf dieser zweiten Etage des Glashauses einmal über dem (eigenen) Theater stehen zu wollen und sich auszuprobieren als Beobachter - und doch zugleich re-inszenierender Analyst - der eigenen Szene. Das war spannend mitzuerleben.

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Da waren die Gebrüder Langhoff. Und Matthias versucht, sich an die Seite seines Bruders gesellend, das "Unmögliche": aus einem Tagebucheintrag zur Literatur eine Lesung zum Thema Theater zu machen: mit Erfolg. Und das Beste Ab-Bild der Beiden ist - einmal mehr - nicht unmittelbar vor Augen zu sehen, sondern auf der Leinwand, die über der "grossen Treppe" des Hauses aufgehängt worden ist.

Da hören wir Horst Bollmann, wie er Carl Einsteins Berlin-Bild als das einer Stadt beschreibt, die sich ständig auf dem Sprung zur Revolution befände und der Bürokratie zu widersetzen vermag, während zugleich die jugendlichen Türsteher der Sicherheitsfirma selbst dann verweigern, die Glasflügel auch nur einen spaltweit zu öffnen, als der wunderbare Text über "Die Berühmten" von Thomas Bernhardt im Vortrag Walter Schmidingers nicht mehr nach draussen "über die Rampe" kommt, nachdem er sein Redepult und damit die Nähe zum Mikro verlassen hatte.

Und da werden die bis in den Nacht verbliebenen Gäste zusammen mit den Mitwirkend von Thomas [5] abschliessend zu einem Glas Champagner eingeladen, ohne dass auch nur ein einziger Angestellter der Catering-Truppe anwesend wäre, um den Gästen einzuschänken oder später für genügend Gläser zu sorgen. Während eben noch in dem Glaskasten im Glashaus von den Bedrohungen der Bühnenschaffenden durch Wirtschaft und Politik die Rede war, wird kurz danach im Kleinen - wenn auch den meisten wohl noch im Verborgenen - klar gemacht, welche Mentalität inzwischen auch in diesem neuen Hause einzuziehen droht: Carry und Cash anstatt Catering und Care.

Stopp. Es gäbe noch viele weitere dieser kleinen Beobachtungen zu erzählen. Aber es geht hier nicht darum, gleich zu Anbeginn zu desavouieren, sondern vielmehr darum, in den kleinen Dingen jenen Anfängen zu wehren, die sonst dafür sorgen könnten, dass hier in dem Neuen Haus ein doch sehr alter Geist wieder auferstünde, dem zu widersprechen ja gerade die Politik selbst geradezu inständig am Wochenende zuvor gefordert hatte.

So hat dieser Abend - vielleicht ohne dass dies die innere Dramaturgie so vorgesehen hatte - dem aufmerksamen Beobachter eine spannende Nachricht vermittelt: anstatt sich allzu sehr in der viel (und wahrlich gut) zitierten Bedrohung durch Wirtschaft und die Politiker als einer "Ersatz-Idylle" zu bewegen, wird es not-wendig, sich selbst bewegen zu müssen.

Hinaus also aus jenem genial fabulierenden eigens für diesen Abend von Elfriede Jelinek geschriebenen "Theatergraben"-Text-Gefängnis - ich bin eigentlich ein Nichts, das weiss, das in ihm etwas innewohnt das alles andere ist als Nichts - und hin zur Begegnung mit der Wirklichkeit einer digitalisierten Welt. Diese zeichnet sich schon heute dadurch aus, dass sie nicht mehr wirklich zu sein scheint was sie wirklich ist: dass sie d(enn)och richtig auf ihren eigenen Bühnen eine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen kann und das Publikum - als "user" - dazu veranlasst, zuzuschauen, mitzumachen und dafür auch noch zu bezahlen.

Die Bühne von Morgen ist heute schon der Monitor. Die Dramaturgie diskutiert die Szenarien von Augmented Reality, der Schauspieler macht den Clo(w)n für (s)einen Avatar. Und der virtuelle Dialog des Publikums mit der Bühne wird erweitert durch echtes Interactive Gaming. Das Theater-Spiel wird ein Stück einer neuen Realität schon heute mit dem Verkauf von Spielen mehr Geld verdient wird als mit Filmtickets. Da hilft auch keine Medienkritik von vorgestern mehr - so schön sie auch immer noch klingen mag.

DAS THEATER HEUTE, so war ja der Titel der Veranstaltung, sprach an diesem Abend von dem GESTERN, aber nicht von dem MORGEN. Vielleicht kann diese Aufgabe ja bei einem der folgenden Versuche nachgeholt werden. [6]

WS.

Anmerkungen

[2... kaum Online und schon kam der Hinweis auf das Wort "Potsdamer Platz", das zunächst an dieser Stelle gestanden hatte ... Merci!

[3Die Ausnahmen war Christoph Schrot mit seiner Rede über das "Zusammen-Erleben" und Achim Freyer mit seiner "Rede über die Bühne", mit der er sich bereits dadurch "in Szene setzte", dass er als Einziger ausgerechnet zum Zeitpunkt seines Auftritts nicht aufzufinden war [sic!]

[4er, der möglichst vermeidet mit Mikro sprechen zu müssen, kam an diesem Abend auch schallverstärkt mit seinen Vorzügen bestens an

[5[Langhoff] der dann selber nicht mehr teilnehmen kann, da am nächsten Morgen schon wieder Proben in Mannheim anstehen

[6Vorschläge zur Diskussion? Gerne: wenn sie eine Chance haben, angenommen zu werden!
Mein grösster Wunsch, das bei einem der nächsten Versuche auch noch einmal meine Lehrer von DAMALS dabei sein würden: Kurt Hübner, der im Vor-Programm noch angekündigt war - und George Tabori: dem an dieser Stelle nochmals ein herzlicher Gruss zu seinem Geburtstag zugerufen werden soll! Du weisst, George, dass mir dieses mehr bedeutet als eine Fussnote ;-)


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