Poetry - Einheits - Slam: WAHNSINN

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 6. Oktober 2017 um 11 Uhr 01 Minuten

 

Sehr geehrter Herr Dr. Siegert,

[...]

Poetry Slammer/innen entwerfen ein Kaleidoskop verschiedenster Nuancen und Sichtweisen zu Deutschland. In einer Jam Session entwickeln sie mit Musiker/innen Visionen zu unserem Land. Zudem diskutieren wir mit Vertreter_innen aus Politik, Wissenschaft und Kunst aktuelle Fragen der Deutschen Einheit.

WAHNSINN!
Bornholmer Brücke Einheits Slams

am 5.10. 19 Uhr im Haus 2 der Friedrich-Ebert-Stiftung
Hiroshimastr. 17, 10795 Berlin

Mit den Slammer/innen Julian Heun , Dominique Macri, Tanasgol Sabbagh, Leonie Warnke
und den Schriftsteller/innen Annett Gröschner und Deniz Utlu sowie Ingo Siebert, Geschäftsführer vom August-Bebel-Institut
Die Musiker/innen sind: Marla Barge, Posaune, Undine Barge Tenor Sax und Leo Koch, Drums

Wahnsinn! Wahnsinn! war wohl das meist gerufene Wort in der Nacht vom 9. November 1989, als um 23:30 Uhr am Grenzübergang Bornholmer Straße die Passkontrollen eingestellt wurden. Tausende von DDR-Bürgern gelangten über die Böse Brücke, auch Bornholmer Brücke genannt, nach West-Berlin.

Heute, 28 Jahre danach, können viele Menschen an die damals gefühlte Euphorie nicht mehr anknüpfen. Welche Träume von Freiheit, Demokratie und einer offenen Gesellschaft hatten wir und was ist aus ihnen geworden? Welche Träume haben wir heute in einer Einwanderungsgesellschaft in der wir darüber diskutieren, was „deutsch“ ist und einige Menschen eher auf Abgrenzung als auf Offenheit und Solidarität setzen?

An diesem Abend wollen wir neue Brücken schlagen und darüber diskutieren, wie wir Trennungen aufheben und neue Verbindungen schaffen können: zwischen Vergangenheit und Heute, zwischen Ost und West, Nord und Süd. Zwischen Neuankömmlingen und denjenigen, die schon länger hier leben. Auch zwischen älteren und jüngeren Generationen.

Die Veranstaltung ist kostenfrei.
Das Programm finden Sie anbei!

Wir würden uns freuen, Sie in unserem Haus begrüßen zu können und mit Ihnen an diesem Abend neue Impulse und Rhythmen zu unserem Land spüren!

Mit vielen Grüßen
Franziska Richter
Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Einladung

Zunächst einige Stichworte zu dem Erlebten:

Musik... zur Einleitung.

 Dominique Macri eröffnet diesen Abend mit einem ersten Gedicht (Slam?). In dem sie beschreibt, wie sie selbst an diesem Abend der Öffnung der Grenze erlebt hat, der Grenze, mit vielen anderen Menschen zusammen.

 Franziska Richter: wir brauchen Energie um gegen die Abschottung, sagt sie, und begrüsst nochmals alle Gäste namentlich. Und es gelingt ihr, in dem nicht besonders dicht besetzten Raum dennoch immer wieder einen grossen Applaus abzurufen.

 Julian Heun trägt vor: ich habe mein Leben (stramm) eingeteilt.

 Tanasgol Sabbagh trägt vor: Ich komme... von überall her.
"Wenn ich durch die (leeren) Strassen laufe, aber niemals unbegleitet..."

Musik... als Brücke.

 Undine Barge erläutert das von ihnen vorgestellte Stück und seinen 11-Achtel-Takt, weil noch nicht alles so richtig rund sei mit/seit der Teilung.

 Ina Gorokhova: Ihre Videoprojektionen, bisher "nur" in schwarz weiss, geben jetzt auch zunehmend farbige Muster wieder.

 Annett Gröschner
Wir sind schon jetzt bald ohne Mauer so lange wie zuvor mit der Mauer.
Sie war damals Teil der Bürgerbewegung und hoffte auf eine neue, tolle DDR.
Beleibt am Abend des 9. November bei ihrem kleinen Kind zuhause. Und trifft am 10. November ihren geschiedenen Mann in der Schlange jener, die den Westen wollen, denn er kann an diesem Tag endlich ausreisen, um dort seiner neuen Angetrauten zu begegnen.
Sie fragt, wie das ist, wenn man von einer Kranführerin zu einer Blumenbinderin umgeschult wird.
in weiteren 27 Jahren "... werden wir wieder Häuser besetzen müssen, wenn ich mir meinen Rentenbescheid angucke, der dann gültig sein wird".

 Herr Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg [1]:
Die Zeit nach der Wende ist immer noch aktuell, und währt schon länger als die Nazi-Zeit [2]. Die Linken seien damals gar nicht so sehr interessiert gewesen an der Wiedervereinigung, sie träumten vielmehr von einer neuen DDR. In der DDR glaubte man an die "Kultur" im Osten im Gegensatz zur "Zivilisation", die den Welten bestimmte.
Es gab ein "kommunikatives Beschweigen" der Verhältnisse. Es geht nicht um eine "Sieger"-Situation, sondern um eine "Zwillingsgesellschaft" die mit dem Problem der Überlagerung zu tun hat. 70% sind zufrieden. 25% sehen sich als Opfer. Aber keiner von diesen will den Erich zurück haben. Viele von diesen Menschen sind "Sinnverlierer". Vor allem die Künstler, aber auch die Lehrer seien es, die das sagten.
Und gerade diese Menschen sind es, die sich heute eine neue Bühne suchen, auch bei und mit der Pegida [3]
Es gab eine Halbdistanz, die aus den Zeiten der DDR übernommen wurde und heute in neuem Gewandt wieder entstanden ist: Innen authentisch bleiben und nach aussen dem "Kaiser" zu geben, was des Kaisers ist.

 Ingo Siebert, Geschäftsführer vom August-Bebel-Institut
Es ist schon wieder so viel passiert seitdem...
Erlebt schon am 10. November, wie die Leute schon verarscht werden mit ihren einhundert Mark. Die Idee, dass das nicht so ganz klappen könnte mit der Wiedervereinigung, habe sich damals schon bemerkbar gemacht.

 Deniz Utlu, der "analytische Poet"
"Von meinem Kinderzimmer aus in Hannover miterlebt war das gar nicht ein so grosses Ereignis." Mit der rassistischen Haltung erlebe man auch seine eigene Entsinnlichung.

 Franziska Richter: Die Fakten sind heute gut, aber die Gefühlslage ist dennoch eine andere. Die Lebensleistung ist nicht anerkannt worden, und die Transformationsleistung auch nicht. Warum können die Jüngeren die Älteren nicht (mehr) verstehen? "Ich bin selbst Dresdnerin."

 Dominique Macri, trägt den Zukunfts-Slam von Leonie Warnke vor [4]
Statt der Einheit... wurden wieder neue imaginäre Grenzen gezogen.
Zwischen den "Bio-Deutschen" und den "new NewYorkern"...

 Tanasgol Sabbagh... "singt" das Lied von den roten Rosen... (nicht wirklich).
Und trägt vor die Geschichte eines Menschen, der aufsteht, letztendlich die Wohnung verlässt und dann in den Zug steigt.

Und plötzlich stimmen die Videos an der Wand dazu.

 Dominique Macri - ebenfalls mit der Band - ein "Mutmachgedicht" vor. Und steht mit der Musik im Dialog.
"Wie oft stand ich da... vor offenen Türen... und dann die Angst, etwas auszuprobieren." "Sei das, was Du liebst."

Applaus - und das zu recht!

Nach dem Ende der Veranstaltung zunächst in stiller SMS-Dialog mit einem Freund, der kurzfristig dann doch abgesagt hatte und nicht erschienen war, wie offensichtlich viele andere auch.

Aber eben diese entspannte Situation gab Gelegenheit, die Veranstalterin dieses Abends nochmals anzusprechen, mit ihr zu sprechen und zum Ende dieses kurze Interview zu führen.

Vielen Dank dafür, Franziska Richter!

Anmerkungen

[1Direktor des Dresdner Instituts für Kulturstudien am Institut für Soziologie der TU

[2Auch er redet, wie viele andere auch, von "Rundfunk und Fernsehen".

[3Das dieses Wort in dieser Publikation erstmals Verwendung findet, hier auch seine Bedeutung: " Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes".

[4... die im Zug nach Berlin steckengeblieben war...


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