DJV Verbandstag 2015 (II)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 18. Mai 2016 um 00 Uhr 55 Minutenzum Post-Scriptum

 

Einen guten Tag, verehrte Leserin, lieber Leser.

12:00 Uhr. High Noon. Es ist alsbald das Ende des Vormittags erreicht. Der diesjährige Verbandstag des Deutschen Journalisten Verbandes (DJV) in Kassel ist nun den zweiten Tag dabei, zu "arbeiten". Inhaltlich geschehen ist faktisch... bislang nichts. Gar nichts. Einmal abgesehen von der Entlastung des bisherigen Vorstandes. Worauf dieser dann geschlossen die Bühne verlässt.

Die "Höhepunkte" bis zu diesem Moment:
— das Papier der Strukturkommission ist gut vorbereitet, aber es kommt so spät in die Hände der Delegierten, dass die Zeit für die Lektüre fehlt und daher erst am Folgetag darüber diskutiert werden soll
— die Diskussion um die Verwendung des elektronischen Abstimmsystems "reply(R)IQ" [1] führt zu so viel Verwirrung, so dass schliesslich in einer Geschäftsordnungsabstimmung mehr als eine Handvoll der Delegierten wieder die Abstimmung per Papierwahl einführen will, was dann aber die Mehrheit ablehnt
— die nicht enden wollenden Ehrenbezeugungen für den scheidenden Vorsitzenden, die sogar dazu führen, dass er mit dem ehemaligen Aussenminister Genscher verglichen wird; zumindest was seine Reisetätigkeit betrifft.

"Du bist auf Sicht gefahren, und damit warst Du unser Kapitän", so einer der Sätze aus einer der Lobreden: Damit ist eigentlich alles gesagt. Sowohl positiv - als auch negativ.

Was vollständig fehlt, sind irgendwelche Ansagen der Ausscheidenden, in denen diese von den Herausforderungen sprechen, die jetzt bevorstehen. Vielmehr ist von all den vielen schönen Dingen die Rede, die es schliesslich auch jenseits der Verbandsarbeit noch gäbe.
Nochmals gesagt: An keiner Stelle und in keinem Moment gibt es eine Ansage über die wichtigsten Herausforderungen, die von den Nachfolgenden im Vorstand - und von uns allen - zu bewältigen sein werden.

Nichts gegen ein solches "family & friends"- Programm. Nichts gegen das Wundenlecken. Aber es fällt schon auf, dass in den Reden, die über die Ausscheidenden gehalten wurden, deutlich wird, dass sie sich allesamt voll und ganz aus allem Weiteren heraushalten wollen.
Rührend, wenn dann zu guter Letzt einer der Ausscheidenden zum Abschied von den "schönsten Jahren meines Lebens" spricht.

Warum aber, so die Frage an die Veranstaltungs-Regie, konnte all das nicht am Sonntag durchgeführt werden?

High Noon : Zwei Kandidaten bewerben sich um die Nachfolge für den neuen Bundesvorsitzenden:

Alexander:

Man kann die Frage, wie man den DJV in 10 Jahren sieht, nicht beantworten. Aber was in 2 Jahren zu erreichen wäre, durchaus:
— Balance zwischen den Festen und Freien (und das werden immer mehr)
— Lösungen für die Bereiche finden, in denen es keine Tarifverträge mehr gibt
— Balance zwischen den Jungen und den Alten
— Balance zwischen Ehrenamt und Hauptamt
— die gewerkschaftliche Strategie macht das Ehrenamt.

Wie soll das erreicht werden:
— Gewerkschaftsarbeit ist Gemeinschaftssport
— "Ich habe schon eine ganze Menge Unfug vertreten müssen als Landesvorsitzender"

Die Hilfe durch den DJV hat ihn gestützt, davon möchte er gerne was zurückgeben.
Und die Arbeit würde ihm Spass machen. Und dafür wolle er seine Pflicht tun.

Frank:

Im "Törtchen" in Köln heisst es: "Wir lieben, was wir machen, und was wir lieben, das teilen wir."
Wir sind keine billigen "Contentschubser", sondern wir müssen kämpfen. Auch für neue Gruppen wie etwa die freien Produktionsteams. Oder an einer privaten Hochschule.
Wir wollen koordinieren, aber wir sind nicht das Zentralkomitee.
— Die Aussagen des Koalitionsvertrages sind umzusetzen, zum Beispiel für die Wiedereinführung des einheitlichen Presseausweises.
— Und er stellt sein zukünftiges Team vor, das er bei seiner Wahl zur Wahl stellen möchte.

Es ist 13:45 Uhr: Wir sind mitten in der Abstimmung. Alle haben ihre Tasten gedruckt. Aber die Auszählung der Stimmen... dauert. Zwischen der Aufforderung abzustimmen und dem Ergebnis der Auswertung vergehen Minuten, und weitere Minuten und noch weitere Minuten...
Je länger die Wartezeit dauert, desto stärker findet die Meinung weite Verbreitung, dass eine klassische Auswertung per Stimmzettel auch nicht mehr Zeit in Anspruch genommen - und erheblich weniger gekostet hätte. [2]
Die Wartezeit übersteigt - langsam aber sicher - die Zeit, die es gebraucht hätte, um per Papier und Kuli abzustimmen. Die Diskussion verlagert sich vom Podium immer mehr in die Delegiertenschaft. Auf der Leinwand sind inzwischen nicht mehr die Kandidaten-Alternativen zu sehen, sondern gar nichts mehr.
Das Ganze entwickelt sich zu einer peinlichen Fehlleistung. Auf der Bühne stehen grosse Gruppen von Leuten und diskutieren, In der Mitte von diesen der Betreiber des elektronischen Systems.
Wortmeldungen - auch zur Geschäftsordnung - können nicht zugelassen werden, da wir uns inmitten der Abstimmung befinden.
Als die Versammlungsleiterin wieder ins Mikrophon sprechen will, ist ihre Stimme nur noch als Echo des Echos zu hören.
Das ganze Thema kommt nun ins Rollen. Soll doch wieder per Papier abgestimmt werden? Die Mehrheit lehnt diesen Vorschlag ab.
Das Ergebnis lautet: Es wird weiterhin elektronisch abgestimmt. Und da drei der Delegierten keine Bestätigung auf ihren Geräten vorgefunden haben, muss die Wahl wiederholt werden.

Es ist 14:15 Uhr: alles ist immer noch im Fluss. Es ist inzwischen 4 Mal gewählt worden. Und es gibt auch jetzt immer noch Delegierte, auf deren Geräte nicht das Signal "Abgegeben" erscheint. Inzwischen schlägt die Stimmung um... in Sarkasmus. Der Betreiber des TEDsystems hat eine schwere Zeit. Es gibt Hinweise darauf, dass die Delegierten die Wahl anfechten werden. Und das Ergebnis: die elektronische Wahl wird annulliert, auch wenn - theoretisch - ein Wahlergebnis vorliegen würde.

15:15 Uhr: Die Fortsetzung der Veranstaltung wird nicht mehr weiter in dieser Weise protokolliert werden. Der Vorgang ist peinlich genug, und es muss an dieser Stelle nicht noch ein öffentlicher Beitrag zur Selbstzerfleischung geleistet werden.

Aber es wird ein Antrag gestellt werden. Und der wird wie folgt lauten:

Hiermit beantrage ich die Veranstaltungsleitung dafür Sorge zu tragen, die Firma, die für die Durchführung der elektronischen Wahl zuständig war, für diese letztendlich nicht zufriedenstellend erbrachte Leistung nicht zu honorieren.

Zur Begründung:

Es geht nicht nur darum, dass ein Dienstleistungsauftrag nicht entsprechend der angemessenen Erwartungen der Delegierten erfüllt wurde.
Es geht darum, dass wir nicht in die Lage versetzt wurden, den für uns so wichtigen Wahlvorgang in Anstand und Würde durchzuführen.
Mehr noch: Wir haben uns lächerlich gemacht als eine Branche, die mitten im Aufbruch und Umbruch hin zu einer digitalen Gesellschaft steht und nicht in der Lage ist, diesen Schritt in eben diese Gesellschaft zu vollziehen.
Mehr noch: Wir haben nicht einmal die Chance gehabt, zu klären, auf welchen Servern welche Daten von wem und wie hinterlegt wurden, weil wir bereits an der technischen Unzulänglichkeit gescheitert sind.
Mehr noch: Wir haben erlebt, dass mitten im Wahlvorgang die Geräte auf eine neue Funktionsweise erweitert wurden. Dieses ist zumindest unüblich, wenn nicht sogar unstatthaft.
Mehr noch: Was überhaupt nicht geht, ist Folgendes: Mitten im Wahlverfahren hat sich der technische Dienstleister ohne Zustimmung der Wahlleitung in das Verfahren eingeschaltet, ist ans Mikrophon gegangen und hat einigen der Delegierten aufgefordert, ihre Stimme nochmals abzugeben.

Kommentar:

Wir stehen nicht nur an der Schwelle einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung, sondern wir haben im Verlauf dieses Vormittages leider unter Beweis gestellt, dass wir dieser noch nicht mächtig sind, und dass uns - immer noch - die Kompetenz fehlt, diesen Entwicklungen eigene qualifizierte Wegmarken aufzustecken. Daran müssen wir arbeiten: Nicht nur bei der Auswahl qualifizierter Dienstleister. Sondern auch bei der Selbst-Qualifikation, um die Herausforderung der digitalen Gesellschaft auch in der Praxis annehmen und bewältigen zu können.

Das so formulierte "Papier" wurde mit mehreren KollegInnen und Freunden diskutiert. Es gab mehrere Bedenken, u.a. die folgenden: Ist es wirklich auszuschliessen, dass der Eine oder die Andere aus Gründen der Obstruktion gehandelt haben, weil sie oder er grundsätzlich gegen ein solches System - oder seine mangelnde Sicherheit - sind? Hat die Entscheidung zur Einführung und nochmaligen Durchsetzung eines solchen Systems nicht auch Rückwirkungen auf die Organisatoren der Veranstaltung? Ist es wirklich gut, noch weitere Steine in ein Glashaus zu werfen, das eh’ schon in einer ramponierten Verfassung ist?

Diesen Hinweisen und Bedenken wird Rechnung getragen. Anstatt diesen Antrag zu stellen, wird in einer persönlichen Erklärung auf diesen Eintrag in diesem Blog verwiesen um auf diesem Wege das hiermit aufgeworfene Thema zur Diskussion zu stellen. Das Thema lautet, nochmals gesagt: Wie stellen wir uns in der eigenen Praxis der Durchführung einer solchen Versammlung diesen neuen Herausforderungen? [3]

Der Kommentar am - wahrlich gut gedeckten - Mittagstisch: "Das sind jetzt 25 Jahre, dass ich an diesem Versammlungen teilnehme, aber so was, das habe ich noch nicht erlebt."

Aber - vielleicht - sind ja auch solche Krisen eine endlich not-wendige Voraussetzung, endlich zu Potte gekommen.

Zumindest wird es gelingen, bis zum Abend einen neuen Vorstand gewählt zu haben. Darüber wird ja aktuell aus allen Quellen berichtet werden. Wie dieser zum Beispiel dieser Tagesspiegel-Text [4] mit dem Verweis auf "einen chaotischen DJV-Verbandstag":

17:00 Uhr: Zwischenbilanz

Was immer auch immer Negatives geschrieben und gesagt werden wird, halten wir bitte auch fest, dass

 sich zwei hochqualifizierte Bewerber für das Amt des Vorsitzenden zur Wahl gestellt haben

 sie in ihrem Auftritt - selbst in ihrer Körpersprache - deutlich gemacht haben, fair miteinander umgehen zu wollen

 das Stimmenverhältnis von 130 zu 118 gültigen "JA"-Stimmen zeigt, dass beiden Personen und den von ihnen vertretenen Positionen viel Zustimmung zuteil wurde

 es eine breite Bereitschaft gibt, die in der Abstimmung neu gesetzten Fakten anzunehmen und zu akzeptieren

 sich angesichts der wahrlich misslichen Verhältnisse für das neue Leitungs-Team auch die besondere Chance ergibt, es nun wirklich "besser" machen zu können-

Ebenso erstaunlich, wie auch bedrückend, ist es mitzuerleben, wie wenig die Profils aus der Kommnunikationsbranche in der Lage sind, ihre eigene Kommunikation zu optimieren.

19:30: Am Abend dieses Tages bedarf es dafür - einmal mehr - eines reichhaltigen Angebots an Alkoholika, um die individuelle Kommunikation zu befördern. Und am Folgetag wird - einmal mehr - das Thema der Verbands-Struktur im Mittelpunkt stehen, um herauszufinden, wie der kollektive Disussionsprozess optimiert werden kann.

P.S.

Hier der twitter-Beitrag vom @nitromagazin zu DER Entscheidung dieses Tages:


So sieht es also aus, wenn die Journalisten die Wahl "Ihres! neuen Vorsitzenden ankündigen?!

Hier das "Original":

Anmerkungen

[1

[2Die Rede ist von 14Tsd Euro. Dieser Betrag ist nicht bestätigt.

[3Dieser ganze Text entsteht nicht am Delegiertenplatz, sondern ganz am Rande der Veranstaltung, sozusagen mit dem Gesicht zu jener Wand, an der ein Tischchen aufgebaut ist, auf dem eine Reihe von Steckdosen zur Verfügung stehen, um die elektrischen Geräte aufzuladen.
Auch sonst disqualifiziert sich die Veranstaltung in ihrem technischen Outfit. Das W-LAN funktioniert nicht oder nur mangelhaft. Und selbst die Tontechnik ist zeitweise - Sorry - unter aller Sau: Die Stimmen sind zeitweise mit einem so heftigen Echo unterlegt, dass es so klingt, als wenn wir hier von outer-space berichten würden...

[4http://www.tagesspiegel.de/medien/nazivorwuerfe-und-pannenwahl-frank-ueberall-wird-neuer-djv-chef/12531642.html
Bemerkenswert: Der Hinweis auf die Haltung der Zeitungsredaktion, die beschreibt, wie in den US-Online-Medien keine nackten Frauen gezeigt werden dürfen - um dann genau mit Bezug auf diese Nachricht eben dieses zu tun.


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