Medien in Europa... im FES-Gespräch

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 14. März 2015 um 19 Uhr 43 Minuten

 

Liveblogging? Es sollte zumindest diesen Versuch wert sein, auch wenn die hier besuchte Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung demnächst im offenen Kanal von ALEX Berlin nachverfolgt werden kann. Dieser Text verweist auf jene Punkt, die dem Zuhörer von besonderem Interesse waren. [1]

Begrüßung:
 Frank Zimmermann, Medienpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus

Moderation:
 Kay Walter, Freier Fernsehjournalist [2]
"Krautreporter ist ein Versuch von arbeitslos gewordenen Kollegen, wieder eine andere Plattform zu haben."

 Moritz Müller-Wirth, stellvertretender Chefredakteur der "Zeit":
Die Holzmedien finanzieren - nach wie vor - die digitalen Medien? Nein. Die Bedrohung dieser Medien ist nicht existenziell. "Der Kern der Redaktion ist unter 40", und die LeserInnen sind etwa gleich alt... Und die Zahl der Print-Studenten/-LeserInnen war noch nie so hoch wie heute. Und das ist gut so. Denn mit Digital kann man nach wie vor im Journalismus kein Geld verdienen. "In diesem Meer der Zerstreuung braucht man einmal in der Woche ein Refugium der Entspannung."
Warum haben in Deutschland die Gratis-Zeitungen nicht funktioniert? Vielleicht, weil die Flüchtigkeit als Lebensgefühl so nicht existiert.
Warum macht der Spiegel keine englischsprachige Website? Wir arbeiten auch an diesem Thema. "Wir testen gerade aus, wie das Diskussionselement über die englische Sprache angetrieben werden kann." Die Idee ist hervorragend. Dabei geht es nicht nur um die Sprache, sondern auch um die Diskussionskultur.
Wir setzen erst dann auf Digital, wenn’s dafür auch ein Geschäftsmodell gibt. Wir haben nicht die Kapazitäten, eine Paywall programmieren zu lassen.
Bei uns gibt es eine deutliche Verstrickung von Meinung und Meldung. Das ist sogar Strategie.
Aber die Kommentare dürfen nach wie vor anonym sein, auch wenn die Redaktion die eMail-Adressen kennen. Die Beschimpfungen im Netz kommen vor allem von Leuten, die nicht mit ihrem Klarnamen auftreten. Es gibt Korrespondenten, die kommen aus den Kriegsgebieten weinend in die Redaktionen zurück - weil sie online so sehr beschimpft werden [3].
"JA. Es wird auch weiterhin Papier geben." Und nicht nur wie Vinyl. Aber Print wird nicht mehr die grosse Stütze sein. In 20 Jahr könnte es eine viel grössere Transparenz gegen - in englischer Sprache.

 Philip Oltermann, Kommentator beim "Guardian" und Autor
"Ich bin leider kein Geschäftsführer, ich bin einfach nur Journalist und möchte möglichst viel gelesen werden."
Nein: Keine Medienkrise. Medienwandel: Ja. Der Zeitungswettstreit findet in England eher am Kiosk statt. Wir mussten sehr früh auf’s Internet setzen, das war die einzige Möglichkeit, einem "managed decline" zu entgehen.
Quatsch, auch der Guardian glaubt nicht nur an das Internet. Und "Klicks" sind nicht der einzige Maßstab für Qualität. Heute sind "long reads" - Texte mit mehr als 3.000 Zeichen - wieder im Kommen. "Der Guardian ist eine Riesenmaschine - mit einer Free-Jazz-Abteilung."
Kann man nicht anderswo in Europa von unserer Diskussionsfreudigkeit profitieren? Wir laden dazu ein.
Ja, der Guardian war immer schon eine Labour-Zeitung. Und das gilt für fast alle grossen Blätter, dass sie ein Stück parteilich sind. Aber es gibt zur Zeit eine klare Trennung von Nachricht und Kommentar.
Schreiben ist wie Golfspielen. Mal einen langen Schlag lancieren und mal einen kurzen, um das Loch zu treffen. Und man muss auch mal lernen, "Nein" zu sagen.
"In 10 Jahren wird es andere Medien geben, die uns überschatten werden."

 Pascal Thibaut, Vorsitzender des VAP, Korrespondent von Radio France International, Berlin
In Frankreich sieht es sehr viel schlechter aus, auch für die "wichtigen" und "seriösen" Medien. Diese können nur noch überleben, weil es Investoren gibt, die nicht aus dem Mediensektor kommen. "Bei den Tageszeitungen sieht es ziemlich dürftig aus."
Gründe? Sie werden zu spät verteilt, sind zu teuer, es gibt zu viele kostenlose Zeitungen.
Wir müssen die Leser wieder zurückgewinnen, mit Inhalten, die überzeugen. Egal ob auf Papier oder Online. Und es geht: Mediapart schreibt heute schon schwarze Zahlen. Man muss schreiben, was die LeserInnen interessiert. Und das hat nichts mit Anbiederung zu tun. Sondern damit, dass die Elite-Leute nicht nur für die Eliten schreiben sollten. Und nicht nur für die nationalen Klientels.

Ja, es werden auch Fehler gemacht, und die CSA hat auch mehrfach Rügen erteilt. Wir wissen darum. Und das bringt grosse Gefahren mit sich. Insgesamt hat man Abstand genommen von der Idee, dass alle alles machen könnten. Diese geforderte Art von Synergie gibt es nicht.

"Wir habe nie auf Papier gesendet - und werden es auch in Zukunft nicht tun." :-)
Ja. Man wird für die Inhalte, die man will, in Zukunft auch Geld zahlen müssen.

 Dr. Alexandra Föderl-Schmid, Chefredakteurin des "Standard"
Sie hat in Berlin noch an einer Schreibmaschine und mit einem Fax-Gerät angefangen. Die Finanzierung von Online? 40% finanziert diesen Umsatz mit.
Print und Online sind heute zusammen im gleichen Gebäude, seit 2013. Heute 400 Abos mehr und 13% mehr Zuwachs im Online-Bereich. Vor allen in der Frühe (zum Leidwesen mancher KollegInnen). Ergo: man MUSS Online und Print zusammendenken. Aber beide Redaktionen soll(t)en Bestand haben.
Wir versuchen alles abzudecken, im Gegensatz zur NZZ, die sich mehr spezialisieren will.
Gratiszeitungen funktionieren in Österreich, jetzt auch in Wien, ebenso in der Schweiz. Und diese Ausgaben sind eine grössere Konkurrenz für die traditionellen Medien als das Internet.
Wir sind signifikant stark jetzt auch wieder bei den Zwanzig- bis Dreissigjährigen. Vor allem die, die ihr Studium beendet haben, einen Job suchen, eine Familie gründen. Und dann wird Online komplementär genutzt.
Beim Song-Contest 16tsd. Postings in zwei Stunden. Die Online-Kommentare allein beschäftigen heute schon 6 Redakteure.
Die Debatte in Deutschland über die "Lügenpresse" verwundert.
Ist Online finanzierbar? Wir haben das 6 Jahre lang geschafft, seit zwei Jahren nicht mehr. Und jetzt stellt sich für uns auch die Frage neu. Interessant ist das taz-Modell, das jetzt ausgetestet werden soll. Wir wollen eine Art "fair-use"-Modell erproben. Wir müssen dem Gratis-Modell etwas entgegensetzen. Auch "later pay" wäre zu erproben. Da MUSS uns etwas einfallen, auch jenseits von Krautreportern und Stiftungen.
Wir vertickern häufig. Zum Beispiel bei Prozessen. Live. Aber dann kommt der Gerichtszeichner dazu. Und der klassische Bericht. Wie man sieht, das Verschlanken funktioniert so noch nicht.
Die Zusammenlegung von Redaktionen hat nicht unbedingt Einspareffekte zur Folge gehabt. Seit 2013 haben wir den Newsroom schon zweimal umgeplant. Aber wir sind damit - dennoch - gut unterwegs.
"JA. Tageszeitungen wird es auch in 10 Jahren noch geben. Und das Netz-Angebot wird nicht mehr gratis sein."

Anmerkungen

[1Wenngleich auch weiterer pesönlicher Hinter-Grund eher im Verborgenen bleiben wird: die besondere Nähe, die es neben Deutschland auch zu den anderen drei Ländern gibt, in denen / für die die eingeladenen Gäste arbeiten: England, Frankreich und Österreich. WS.

[2Im Nachgang der Veranstaltung auch ihn gefragt, ob er ein Netz-Profil habe, auf dass verlinkt werden könne. Die Antwort war ein klares "Nein". WS.

[3sic! WS.


7429 Zeichen