Viele Tollheiten - keine Trolle

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 30. Dezember 2014 um 23 Uhr 38 Minuten

 

Dieses gemeinsame Schreiben von BJFrau - Journalistinnenbund - ProQuote - webgrrls.de vom 18. August 2014 brachte diesen ach so langsam mahlenden Mühlstein ins Rollen:

Sehr geehrter Herr Kors, sehr geehrter Herr Müller, sehr geehrter Herr Tusch,

die Medientage in München haben Vorzeigecharakter. Sie sollen Medienschaffende von der Vorstandsebene bis zu den Nachwuchskräften ansprechen. Medienberufe ziehen zu einem erheblichen Anteil Frauen an; in den journalistischen Vereinigungen sind sogar mehr als die Hälfte der Mitglieder weiblich. Auch im Medienmanagement finden sich immer mehr Frauen. Schade, dass sich diese Realität nicht in Ihrer Veranstaltung widerspiegelt.

Mit großer Verwunderung haben wir die Ankündigung zur diesjährigen Eröffnung der Medientage München zur Kenntnis genommen:

„Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, Timotheus Höttges, hält die Keynote … Ein weiteres Highlight wird auch eine Keynote von Will Keenan, President Endemol beyond USA, sein….Der Fernseh-Gipfel, der in diesem Jahr den bisherigen „Mediengipfel“ ersetzt, wird von Klaas Heufer-Umlauf moderiert. Über die Frage, welche Inhalte auf den Screens im Wohnzimmer laufen und welcher Bildschirm zum „First Screen“ avanciert, diskutieren Nico Hofmann (UFA Fiction), Christoph Krachten (Mediakraft Networks), Wolfgang Link (ProSiebenSat.1 TV), Lutz Marmor (ARD / NDR) und Brian Sullivan (Sky Deutschland).“

Die einzige Frau, die im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung auftreten wird, ist die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Die Besetzung der übrigen Gipfel und Podien lässt in Bezug auf weibliche Teilhabe nichts Besseres erwarten – denn der Anteil der Podiumsteilnehmerinnen beim größten deutschen Medienkongress liegt leider seit Jahren konstant bei weit unter 20 Prozent.

Intendantinnen und Senderchefinnen, Programmdirektorinnen und Chefredakteurinnen, Justiziarinnen und Medienpolitikerinnen, Autorinnen und Werbefachfrauen, Technologie-Expertinnen und Web-Spezialistinnen – es gibt sie, aber sie kommen bei den MTM kaum vor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mit Miriam Meckel und Ines Pohl zweimal eine Frau die „Elefantenrunde“ zum Start moderieren durfte – denn die Elefanten bleiben fast ausnahmslos männlich. Die seit Jahren virulenter werdende Diskussion um mehr Frauen in Führungspositionen, nicht nur, aber auch in den Medien – an den Medientagen München scheint sie vorbei zu gehen.

Wenn in den Panels eine Frau auftaucht, wird das offensichtlich als ausreichend betrachtet. Dabei zeigen die Burda-Konferenz „DLD Women“ ebenso wie Veranstaltungen von Journalistinnenbund, von Digital Media Women, von webgrrls oder von ProQuote Medien eindrücklich: Es gibt eine Vielzahl kompetenter Frauen, und sie sind gerne bereit, als Keynote-Speakerinnen aufzutreten und an Diskussionen teilzunehmen. Netzwerk Recherche oder re:publica haben zuletzt bewiesen, dass es auch bei Konferenzen, die nicht von Frauennetzwerken organisiert werden, möglich ist, Podien weitgehend paritätisch zu besetzen.

Die Zeiten der Alibi-Frauen sind vorbei: Wir fordern eine paritätische Besetzung der Podien! Wir und die Kolleginnen, die sich in unseren Netzwerken engagieren, haben keine Lust mehr auf Männer, die glauben, die (Medien-)Welt erklären zu können. Dabei fehlen die abweichenden Meinungen, die anderen Rollenbilder, der weibliche Blick aufs Geschehen. Übrigens gibt es auch unter Männern schon viele, die das genauso sehen und ungern an einseitig besetzten Panels teilnehmen.

Seit Jahren sprechen viele aus unseren Kreisen die mangelnde Frauenpräsenz bei den MTM Ihnen gegenüber immer wieder an. Leider ohne Erfolg. Wir machen daher unsere Forderung öffentlich, als Pressemitteilungen und in den sozialen Netzwerken, wo das Thema intensiv diskutiert wird.

Möglicherweise gelingt es Ihnen noch für dieses Jahr, entsprechende Weichenstellungen vorzunehmen. Bei der Suche nach geeigneten Keynote-Speakerinnen und Diskutantinnen für Podien und Workshops sind wir Ihnen gerne behilflich – denn wir wissen: Es gibt sie, die klugen, hochprofessionellen Frauen in den Medien, die etwas zu sagen haben. Auch während der Medientage München diskutieren wir darüber gerne mit Ihnen und Ihren Kooperationspartnern.

Wir freuen uns auf Ihre Antwort auf diesen Offenen Brief.

Mit freundlichen Grüßen

Chancengleichheit - BJFrau– Gisela Goblirsch, erste Vorsitzende

Journalistinnenbund – Andrea Ernst, Vorsitzende

ProQuote Medien – Kathrin Buchner, Vorstandsmitglied

webgrrls.de e.V. – Sandra Becker, geschäftsführender Vorstand


Hier eine Sammlung der ersten Reaktionen, die noch am gleichen Tag online publiziert wurden:

 http://meedia.de/2014/08/18/medienfrauen-protestieren-gegen-maenner-dominanz-bei-den-medientagen-muenchen/

 http://www.dwdl.de/nachrichten/47207/kritik_an_maennerlastigkeit_bei_den_medientagen/

 http://kress.de/tagesdienst/detail/beitrag/127481-offener-brief-macht-druck-auf-die-kongress-veranstalter-journalistinnen-kritisieren-die-medientage-muenchen.html

 http://www.horizont.net/aktuell/medien/pages/protected/Frauenverbaende-kritisieren-Medientage-Muenchen_121869.html

 http://derstandard.at/2000004477918/Medientage-Muenchen-Mehr-Elefantinnen-auf-den-Podien

 http://www.digitalfernsehen.de/Zu-viele-Maenner-auf-dem-Podium-Kritik-an-Medientagen-Muenchen.118575.0.html


Und hier der Kommentar in (eigener?) Sache:

1.

Vorbei sind die Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat, jetzt ist es - mehr denn je - not-wendig geworden, nachzuhelfen.

2.

Vorbei auch die Zeiten, in denen das Schweigen das beredte "Gold" eingebracht hat.

3.

Dieses ist weder ein Aufstand, noch ein Aufschrei, sondern ein präzise platzierter Hinweis auf eine Auffälligkeit, die offensichtlich alles andere als auffallend war.

4.

Erstaunlich - und erfreulich - dass sich auch der Journalistenverband in Bayern mit seiner Frauenfranktion mit an die Spitze dieser Bewegung gestellt hat: bei aller Kritik an anderen Ecken und Ecken: das ist Spitze!

5.

Das Absurde wie Spannende an diesem Vor-Fall, dass nach dem dialogue de sourds sich niemand mehr mehr Frauen auf den Podien wünschen würde - als der Veranstalter selber - spätestens ab JETZT.

WS.


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