Heimdahls Heimsuchung

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 31. Dezember 2014 um 02 Uhr 01 Minuten

 

Das hat es auch noch nicht gegeben: dass morgens um 2 Uhr ein Text live in diese Rubrik eingestellt wird (Tippfehler und andere Darstellungsmängel werden daher zunächst nicht zu vermeiden sein).

Es gibt bei Deutschlandradio Kultur offensichtlich eine nächtliche Gesprächssendung, die vor allem aus dem Reservoir einer seit vielen Jahren eingeschworenen "Hörergemeinde" besteht.

Ein langes Abendessen und die Verpflichtung, des Nächtens nochmal die EDV zu aktivieren, haben dazu geführt, diese Sendung erstmals zu hören.

Und zu hören waren dort eine Reihe von Hörerbeiträgen, die sich allesamt darüber beschwert und aufgeregt haben, dass man ihnen ihre "Sprechstunde" nimmt.

Und das war nun wirklich interessant anzuhören, selbst wenn man weder dieser "Gemeinde" angehört noch dem Kreis der Gelegenheitshörer, die daran Gefallen finden.

Während der Programmverantwortliche dahingehend argumentiert, dass die Diskussionsforen "mehr und mehr ins Netz abwandern" würden, machen die AnruferInnen sehr nachdrücklich klar, dass auch sie ein Teil dieses Netzes sind: Nein, nicht des Internets, aber eines Netzwerkes von Bürgern, die sich diese Gelegenheit nicht nehmen lassen wollen, selber zu reden und miteinander reden zu können.

Wir werden hier an dieser Stelle nicht die ganze Diskussion in all ihren Strängen aufnehmen und auseinanderpflücken, sondern mit dem Blick von aussen auf einen Sachverhalt aufmerksam machen, der über das "Einzelschicksal" eines solchen Sendeformates weit hinausgeht.

Um es - vielleicht auch zu klischeehaft - so zu sagen: Hier treffen die Wärme einer eingeübten und eingespielten Gesprächskultur mit der Kälte der neuen digitalen Kommunikationskulturen zusammen.

Das Stammpublikum dieser Sendung hat eine Heimat gefunden, eine mentale, verbale, vermittelbare Heimat. Und hat das Gefühl, dass ihnen jetzt das Fell über die Ohren gezogen wird, anstatt sich zuvor gefragt zu haben, ob sie zur Schlachtbank geführt werden sollten: Nicht nur sie, nein die gesamte Demokratie.

Nun ist uns allen klar, dass selbst mit dem Wegfall dieses Formates nicht die Demokratie ins Wanken geraten wird. Ins Wanken aber gerät das Selbstverständnis einer (verschwindend?) kleinen Hörerschaft, der damit die Kommunikationsplattform genommen wird.

Allerdings, so war im Verlauf dieser nächtlichen Sendestunden zwischen morgens um Eins und morgens und Zwei zu hören, diese Entscheidung sei in einem Leitungsgremium des Senders zustande gekommen, ohne sich zuvor mit den HöerInnen besprochen zu haben.

Und dass ein Programmverantwortlicher nun tatsächlich auf diesem Wege öffentlich mit "seinem" Publikum ins Gespräch gekommen sei, sei nicht dem Drängen der Hörer, sondern den Wünschen der ModeratorInnen entsprechend geschehen. [1]

Gut, dass der Mann da ist und sich - vor dem Mikro sitzend - stellt. Schlecht, dass auch er kaum eine Antwort weiss auf die Ansprüche einer Klientel, die in der Mehrzahl sicherlich nicht zu den Digital Natives gezählt werden kann, die sich aber mit erstaunlicher Verve eben jener Argumente bedient, die zuvor eher engagierten Jugendlichen hätten zugeschrieben werden können.

Schaut man in das Online-Programm, so ist dort zu lesen:

2254

Nachtgespräche am Telefon
0 08 00.22 54 22 54
Am 21. Juni starten wir mit unserem neuen Programm - Welche Ideen stecken hinter dieser Reform?
Moderation: Birgit Kolkmann

Der Verlauf der Sendung, so weit ihr hat zugehört werden können, hatte nichts mit diesem Titel zu tun. Und doch macht er, wenn auch auf missglückte Art und Weise deutlich, worum es geht:

Anstatt die "Hörer von gestern" mit den Anforderungen eines "Rundfunks von heute" zu konfrontieren, indem man ihnen die Möglichkeiten einer Partizipation nimmt, wäre es die Aufgabe der Programmleitung gewesen, angesichts dieser Aufgabenstellung gerade dieses sich engagierende Stamm-Publikum nicht nur in die Programmdiskussion mit einzubinden, sondern mit ihnen gemeinsam mögliche Formate für ein Radio von übermorgen zu entdecken.

"[ WIRD ÜBERARBEITET UND FORTGESETZT... ws]"


Hatte hier gestanden, um an dieser Stelle auch die hier angeschnittene Diskussion noch weiter voranzutreiben. Und das nicht nur wegen dieses Sendeplatzes, sondern wegen der tiefergehenden Bedeutung dieses - exemplarisch ausgeführten - Streits.

Als Reaktion auf diesen Texttorso triff dann per Mail u.a. die Nachricht ein, dass sich der "Programmdirektor Andreas-Peter Weber bei der Vorstellung des neuen Programmschemas" so ausgedrückt habe, dass das Programm von Deutschlandradio Kultur "im Sinne eines Diskursradios Themen und Ereignisse als kulturelle Phänomene betrachten" solle, wobei "unser weiterhin sichtbares Kennzeichen die Kulturalisierung der Politik und die Politisierung der Kultur sein’ werde.

Noch am 11. Juni 2014 hatte Joachim Huber im Tagesspiegel zu diesem Thema von dem Programm "’2254’ auf Deutschlandradio Kultur" als einem "Format mit Fortüne - aber ohne Zukunft?" gesprochen, von der "radiofone[n] Freiheit des Andersdenkenden" und sich abschliessend dahingehend festgelegt, dass er sagt, dass dieses Format "Teil der Zukunft" sei, "die die Programmreform gewinnen will".

Dazu nochmals der Berliner Tagesspiegel, diesmal vom 16. Juni 2014:

"Keine guten Nachrichten hatte Weber für die Freunde der nächtlichen Call-in-Sendung „2254“. Zum Flottenkonzept des Deutschlandradios gehört, dass Wortsendungen nachts dem Deutschlandfunk vorbehalten sind, Deutschlandradio Kultur wird in dieser Zeit sein Publikum mit Musik unterhalten. Für „2254“ bleibt da kein Platz. [...] Derzeit wird geprüft, ob der Auftrag für den Digitalkanal ausreichen könnte, ein Debatten- und Diskussionsprogramm wie „2245“ auszustrahlen. Die On-Air-Hörerdiskussion soll stattdessen in der zweistündigen Samstagssendung „Im Gespräch“ zu finden sein."

Am Abend dieses Tages, geht the_master in seinem 888sten Kommentar nochmals auf die Sendung "2254" ein und schreibt:

"Ist wirklich eine klasse Sendung, vor allem zu dieser Zeit. Das war schön, dass es eine Alternative zum Gedudel gab, wenn man wach bleiben musste oder nicht schlafen konnte. Schade, dass dies nun einem alles unterzuordnenden Konzepts weichen muss. "


In der Nachtsendung vom 17. Juni soll es um die Frage der Helmpflicht für Radfahrer gehen. Aber nachdem der erste Hörer aus Bayern sich um Thema geäussert hat, geht auch er nochmals auf das Thema der Abschaltung dieses Programms am 20. Juni ein und lobt den diensthabenden Moderator, der seit über 20 Jahren von Anfang an mit dabei gewesen war [2] und nennt - mit dessem Einverständnis - am Telefon seinen vollen Namen, seine Adresse und seine Telefonnummer.

Und: Er tue dies für all jene, die (noch) nicht im Internet unterwegs seien und sich dennoch auch nach dem Ende der Sendung weiterhin miteinander in Verbindung setzen wollten.

Besonders ansprechend - und aussagekräftig - die Feststellung, dass nicht er mit seinem Vornamen im Telefonbuch stünde, sondern der Name seiner Mutter, von der er diesen, ihren Anschluss übernommen habe, den sie "seit 45" habe, wie von ihm seinerseits behauptet wird...

Anmerkungen

[1in der "TEXT- UND AUDIO-SUCHE" des Deutschlandradios sowohl die Begriffe "Heimdahl" als auch "Heimdal" als auch "Heimdaal" eingegeben, ohne auch nur einen einzigen Treffer zu erzielen.

[2und der aus eben diesem Grunde auch die letzten Sendungen bis zu ihrem Abschalten moderieren darf.


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