Coming home – to America?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 13 Uhr 46 Minuten

 

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Im Frühstücksraum des Hotels. Dort wimmelt es wie inmitten eines Bienenschwarms. Egal ob die Leute am Tresen mit den Frühstückssachen stehen oder an den für zwei oder vier Personen eingerichteten Tischen, alles läuft nicht nur durcheinander, sondern redet auch durcheinander.

Vom Hotelpersonal ist niemand zu sehen. Und auch nichts, was sie für die Gäste vorbereitet hätten. Die Tische sind nicht eingedeckt. Jeder richtet sich selber dort mit seinen Sachen so ein, wie er mag. Und wenn er geht, nimmt er alles, aber wirklich alles mit – und wirft es in den grossen Mülleimer.

Erst viel später fällt auf, das es zwei Frauen vom „staff“ gibt. Eine jüngere und eine ältere. Die Ältere kümmert sich eher um die Gäste, die Jüngere sorgt vor allem davon, dass die Vorräte an der dem Einlass gegenüberliegenden Anrichte wieder aufgefüllt werden.

Als da wären: von rechts nach links: Thermoskannen mit Arabica-Kaffee, koffeinfreiem Kaffee und mit heissem Wasser, sowie die dazugehörigen Accessoires wie Becher, Teebeutel, Zucker aller Art und alles, was den Getränken eine hellere Farbe verleiht: Cream, Milch mit 2% Fettanteil und Milch ohne Fettanteil, die als „kalorienfrei“ beschriftet ist. In deren Nachbarschaft eine weitere Aufreihung von Behältern. Diese sind aus Glas und haben keinen Druckpumpenkopf, sondern ein grosses Drehrad an der Seite, mittels dessen ganz unterschiedliche Sorten von „Cereals“ ausgestossen werden können.

Dazwischen auf der einen Seite ein Vielzahl von Backwaren und eine Art Rundhörnchen, als Bagels bekannt, in deren Mitte bereits aufgeschnitten, damit sie auch in den Schlitzen eines riesigen Toasters versenkt werden können. Auf der anderen Seite eine Kuehltruhe mit einer grossen glaesernen Frontscheibe, hinter der alle Arten von Joghurts auf Abnehmer warten. Und eine grosse Schale mit vielen kalten hartgekochten und bereits geschälten Eiern, die ebenfalls nach und nach wieder von der Bedienung nachgelegt werden.

Nicht zu vergessen die Container für den Orangensaft.

Links von der Kühleinrichtung ein Mikrowellenherd mit allerlei in der Frontplatte eingelassenen Knöpfen mit Zahlen und Funktionskürzeln, die einem Laien zunächst einmal nur Kopfzerbrechen bereiten.

Links daneben zum Abschluss ein ganz besonderes Highlight: Ein weiterer grosser Behälter, wiederum mit einem, wenn auch kleineren, Druckpumpenschwengel, mittels dessen Bedienung bereitgestellte Plastikbecher befüllt werden können: mit einer Art Flüssigteig. Diesen wiederum gilt es dann - in vier gleiche Portionen – in die Vertiefungen eines der beiden daneben aufgestellten Waffeleisen einzufüllen. Gelingt dies, und wird die Wartezeit von 2 Minuten tatsächlich abgewartet – ein lautes Klingeln sorgt schon dafür, dass nicht allzu viel Zeit darüber hinaus verstreicht – dann hat man vier gebackene Waffelstücke an den Teflon®Rippen kleben, die nun mit einer eigens dafür vorgehaltenen Plastikgabel von diesen abgelöst und auf einen der bereitstehenden Teller gepackt werden können.

Sicher, es gibt auch Orte, an denen Salz- und Pfefferstreuer aufgestellt sind, an denen man die abgepackten Portionen mit zweierlei Marmelade und Frischkäse finden kann, die Butter und die Peanutbutter, all die Sachen halt, die man sich ebenso mit an den Tisch nehmen kann wie die Papierservietten und das in vielen beschrifteten Bechern bereitgehaltene Plastikgeschirr.

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Warum wird all dieses erzählt?

Weil das die einzige Art ist, über dieses Essen überhaupt etwas sagen zu können. Denn alles ist irgendwie „ok“. Man kann sich ja entscheiden, auf die kalorienfreie Milch ebenso zu verzichten wie auf den koffeinfreien Kaffee. Und doch, wenn man sich von dieser Anrichte mit all den um ihr Wesentliches gebrachte Lebensmitteln abwendet und stattdessen in die fröhlich plaudernde und essende Menge schaut, dann kommt einem dieser alte Satz eines alten Spötters wieder ins Ohr, der angesichts seiner Landsleute beim Essen von „kick out the calories – pump up the volume“ sprach.

Abgesehen, dass einem ein solches Frühstück bis in den späten Nachmittag treu bleibt und jeglichen Appetit auf eine weitere Nahrungsaufnahme oder Sättigungsbeilage vereitelt, ist es doch erstaunlich zu sehen, wie selbstverständlich für Alt und Jung, für die vielen Senioren wie die Familien mit ihren jungen Kindern die Zufuhr solcher Art von Lebensmitteln war.

Das interessante wie fatale an dieser Beobachtung samt Selbstversuch war, dass alles, was dort am Tresen angeboten wird, mit zweierlei Arten von Qualität herausgestellt wird. Entweder „100%“ zu sein – der Kaffee zu einhundert Prozent „Arabica“ oder der Grüne Tee, der als „Pure Green Tee“ angepriesen wird – oder von etwas möglichst wenig zu haben: keine Fette, keine Kalorien, und so weiter. _ Kurz: wenn man all das liest, was einem da an Lebensmittelqualität angeboten wird, der glaubt in einer anderen Welt zu sein als der, die er um sich herum sieht: mit zumeist übergewichtigen Menschen, alt wie jung. Selbst bei genauerem Hinsehen über dieses erstaunliche Missverhältnis von Angebot und Wirkung fällt auf, dass einem nach einiger Zeit nicht mehr die dicken Menschen als etwas Besonderes auffallen, sondern jene, die es nicht sind.

All das wird hier ohne Häme [1] beschrieben, und in vollem Respekt vor der Heiterkeit und Leichtigkeit, mit der die Anwesenden Urlauber die Freude an dem neuen Tag mit der Freude am Essen zu verbinden bestrebt waren.

Alles war erlaubt, man durfte sich auch seinen Teller voll machen mit so vielem, wie man wollte, seinen Kaffeebehälter mit einem Deckel versehen und dann mit dem Ganzen auf sein Zimmer verschwinden. Hauptsache war: „do it yourself“. Suche Dir selber aus, was Du magst, bediene Dich selbst, und sorge selbst dafür, dass all die vielen Überbleibsel der bereitgestellten Nahrung – von der Bananenschale bis hin zum Plastikgeschirr und den Trinkbechern – dass Alles Samt und Sonders in dem grossen Abfalleimer zur „Entsorgung“ kommt.

„Entsorgung“, ein Wort, was es so im Amerikanischen nicht geben kann. Denn Sorge um diesen Berg von Trash, der so an einem einzigen Morgen in die Tonne geworfen wurde, schien sich - an diesem Ort, zu diesem Anlass und zu dieser Morgenstunde - keiner zu machen.

Anmerkungen

[1Wie auch. Nach der freundlichen Begrüssung der jüngeren Servicekraft ging an sie Frage, ob es irgendetwas Besonderes zu beachten gäbe, bevor man sich an das Buffet heranmachen würde. Nein, eigentlich nicht, so die Antwort. Auch die Zubereitung der Waffeln sei an der Vorrichtung selbst eigentlich selbstredend in Wort und Bild erklärt.
Danach gilt es dann im Eigenversuch zu verstehen, welche Knöpfe mit welchen Zahlen und Funktionshinweisen welche Wirkungen versprechen. Schliesslich geht es ja nicht darum, ein Essen zu garen, sondern die eiskalten aus dem Kühlschrenk importierten Eier soweit zu erwärmen, dass sie auch als Hartgekochte noch ein bisschen eher verdaulich sein könnten.
_Geschaut, getan: gibt es doch eine Taste, durch deren Betätigung das Wiederaufwärmen einer Speise in Aussicht gestellt wird. Also werden gleich zwei Eier aus der Kühlung auf einen Pappteller gelegt, in das weisse Gehäuse der Mikrowelle eingestellt, wird der Deckel verschlossen und die zuvor avisierte Taste betätigt.
Und dann, nachdem der Countdown zu laufen begonnen hat, wird das vielfältige Geplapper im ganzen Saal durch eine lauten Knall einen Moment lang zum Einhalten gebracht. Und die junge Frau vom Service in Aufregung versetzt? Ganz und gar nicht. Sie kommt mit lockerem Schritt zurück aus der „Küche“ und fragt sofort nach, ob es die Eier wären. Die Eier? Ob es Eier in der Mikrowelle geben würde?
Als sie die „frontdoor“ des Gerätes öffnet, ist klar, warum sie sogleich danach gefragt hatte, ob es die Eier gewesen wären. Denn ihr war klar, was sie jetzt sehen würde: Von den Eiern war nach dem Öffnen der Türe nichts mehr zu sehen. Sie hatten sich in eine unendliche Vielzahl von fast unendlich kleinen Bestandteilen verwandelt , die sich überall an der Wand des weissen Innengehäuses des Gerätes verteilt hatten.
„Ach“, sagt sie, während sie inzwischen mit einem Wischlappen beginnt, diese Vielzahl von Residuen nach und nach herauszuwischen, „ach, das passiert uns immer wieder, dass die Leute warme Eier essen möchten und nicht wissen, dass man sie aufschneiden muss [sic!] bevor man sie in der Mikrowelle aufwärmt. Tut man dies nicht, zerplatzen sie halt. So wie hier auch…


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