Im falschen Glauben zitiert

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 21 Uhr 47 Minuten

 

Dieser Eintrag verlegt sich ganz aufs Zitieren. Da eine persönliche Teilnahme an der hier im weiteren Verlauf der Darstellung erwähnten Veranstaltung im Rahmen des Prix Europa trotz Akkreditierung nicht möglich war, seien an dieser Stelle die folgenden Sendetermine empfohlen:

In Österreich:
 Ö1, Samstag, 25. Oktober, 22.00 Uhr, Sendung: „Ö1 Extra“
In der Schweiz:
 SR DRS 2, Sonntag, 26. Oktober, 20.00 Uhr, Sendung: „Kulturradio – für wen und wozu? Die nationale und regionale Bedeutung des Kulturradio“
In Deutschland:
 WDR 3, Sonntag, 26. Oktober, 19.05 – 20.00 Uhr, Sendung: „Forum WDR 3“
 rbb Kulturradio, Freitag, 31. Oktober, 19.04 Uhr, Sendung: „Kulturtermin – Das Dokument“

Eigentlich hätte an dieser Stelle schon vorab ein Sendemitschnitt ausgespielt werden sollen, der nach diesem Tag am Sonnabend auf radioeins und am Sonntag im inforadio zu hören gewesen war.

Darin wurde in voller Länge von einem der Podiumsteilnehmer ein - wie sich bei den Recherchen herausstellt, offensichtlich aus dem Internet gefischtes - Gedicht zitiert, das angeblich im Jahr 1930 von einem gewissen Herren Ignaz Wrobel, alias von Kurt Tucholsky geschrieben und in der „Die Weltbühne” veröffentlicht worden sei:

Wenn die Börsenkurse fallen,
regt sich Kummer fast bei allen,
aber manche blühen auf:
Ihr Rezept heißt Leerverkauf.

Keck verhökern diese Knaben
Dinge, die sie gar nicht haben,
treten selbst den Absturz los,
den sie brauchen – echt famos!

Leichter noch bei solchen Taten
tun sie sich mit Derivaten:
Wenn Papier den Wert frisiert,
wird die Wirkung potenziert.

Wenn in Folge Banken krachen,
haben Sparer nichts zu lachen,
und die Hypothek aufs Haus
heißt, Bewohner müssen raus.

Trifft?s hingegen große Banken,
kommt die ganze Welt ins Wanken -
auch die Spekulantenbrut
zittert jetzt um Hab und Gut!

Soll man das System gefährden?
Da muss eingeschritten werden:
Der Gewinn, der bleibt privat,
die Verluste kauft der Staat.

Dazu braucht der Staat Kredite,
und das bringt erneut Profite,
hat man doch in jenem Land
die Regierung in der Hand.

Für die Zechen dieser Frechen
hat der Kleine Mann zu blechen
und – das ist das Feine ja -
nicht nur in Amerika!

Und wenn Kurse wieder steigen,
fängt von vorne an der Reigen -
ist halt Umverteilung pur,
stets in eine Richtung nur.

Aber sollten sich die Massen
das mal nimmer bieten lassen,
ist der Ausweg längst bedacht:
Dann wird bisschen Krieg gemacht.

Allein, ein Blick in den im Athenäum Verlag 1978 herausgebrachten Nachdruck aller Jahrgänge der Jahre 1918 - 1933 zeigt, dass es ein solches Gedicht dort unter diesem Namen nicht zu finden gibt.

Das herauszufinden ist nun wirklich kein Problem, auch wenn der Herausgeber dieses Journals weder mit dem Grundgesetz unter dem Arm durch diese Republk wandelt noch mit der Schaubühne - und späteren Weltbühne - unter dem Kopfkissen einschläft. Aber [1] die Nachbarschaft zur gleichen Redaktion - in der Kantstrasse 152 - verpflichtet. Und es bereitet einem schon eine schlaflose Nacht, wenn im Kreise unsere vielzitierten und viel zitierenden Vertreter der Kultur ein so fahrlässiges Verhältnis im Umgang mit der Geschichte und dem literarischen Erbe zutage tritt.

Mag sein, dass das Ganze aus der Sicht von vielen "ein zu vernachlässigender Fehler" und allzu menschlich sei, dass hier einer der Kulturträger einfach so geglaubt habe, dass das, weil es im Internet steht - und schon von so vielen zitiert worden ist - auch wahr sei. Aber sind nicht gerade jene Vertreter der "Kultur", die es soweit gebracht haben, dass sie in den Radiostationen der ganzen deutschsprachigen Welt zitiert werden nicht einer ganz besonderen Verpflichtung unterlegen, wahrheitsgemäss zu zitieren? [2]

Aber sicher auch das: Es ist an dieser Stelle auch ein hohes Kompliment an den Autor zu machen, dass er sich des Synonyms seines literatischen Vorbildes bedient hat und so erfolgreich in seine Fussstrapfen [3] getreten ist. [4]

Zitieren wir daher also jetzt ersatzweise aus der Presseverlautbarung um zu erfahen, worum es eigentlich ging:

Thema der Drei-Länder-Podiumsdiskussion: "Kulturradio – wozu und für wen?"

Hochkarätige Gesprächsteilnehmer sitzen am Tisch, bei denen sich die Zuhörer einer kontroversen, hitzigen und spannenden Diskussion sicher sein können.

Für Österreich kommt André Heller, der weltbekannte Aktionskünstler, Theaterautor, Schauspieler, Kulturmanager und Chansonnier. 1967 gehörte er zu den Mitbegründern des Senders Ö3 als erstem Popradio im deutschsprachigen Raum.

Für die Schweiz tritt Roger de Weck an, ein grenzüberschreitend hochangesehener Publizist. Von 1997 bis 2001 war er Chefredakteur und Modernisierer der ZEIT und führte unter anderem die erfolgreiche Beilage „Leben“ ein. Seine Artikel und Kolumnen zu politischen und wirtschaftlichen Themen in deutschen, französischen und Schweizer Blättern sind vielbeachtet. Im Schweizer Fernsehen moderiert er die Sendung „Sternstunden“.

Die für ihr spektakuläres Engagement bekannte Lea Rosh, entscheidend beteiligt an der Realisierung des Holocaust-Mahnmals in Berlin, war als erste Frau Direktorin eines ARD-Funkhauses (NDR Hannover). An der streitbaren Journalistin scheiden sich oft die Geister. Immer aber tritt sie kämpferisch für ihre Sache ein. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ gehört zu ihren wichtigsten Werken.

Von großer Medienkompetenz ist Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, unter dessen Regie soeben das puk-Dossier „Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk“ veröffentlicht wurde. Er kritisiert darin, dass zu wenig Kultursendungen ausgestrahlt werden.

Das Gespräch leitet Peter Leonhard Braun. Selbst legendärer Radio-Autor, war er viele Jahre Chef der Featureabteilung des SFB, revolutionierte die Featureproduktion und den weltweit ausgeschriebenen Medienwettbewerb PRIX FUTURA BERLIN, den er 1997 mit dem PRIX EUROPA fusionierte.
 [5]

Anmerkungen

[1Siehe den Beitrag vom 5. April 2005: 300 Jahre Charlottenburg.

[2Denn dieses ist eine notwendige - wenn auch keine hinreichende Bedingung - für ein Überleben in einer Welt, in der sich ein Schicksal wie das eines von Ossietzky nicht wiederholen darf. WS.

[3ah... endlich mal ein Wort mit drei "sss"

[4Wie es in Wirklichkeit um die Autorenschaft bestellt ist, dazu kann man einen feinen Dialog auf Stafan Miggemeiers Blog nachlesen, der sich an seine Zitate zur Erklärung der Finanzkriese anschliesst: Siehe hier insbesondere die Anmerkung # 27 auf:
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/die-finanzkrise-erklaert/.

[5Fotos von dieser Begegnung können unter der URL
http://www.prix-europa.de/prix_euro...
eingesehen werden.


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