WIE FASCHISMUS FUNKTIONIERT
Buchvorstellung und Gespräch mit Jason Stanley und Rahel Jaeggi in Kooperation mit dem Westend Verlag und dem Thomas-Mann-House e.V. - um 18:00 Uhr im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6 [1].
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Weltweit hat faschistische Politik wieder starken Zulauf: ob in den USA, in Myanmar, in Indien oder in Europa und Deutschland, wo mit banger Erwartung auf die bevorstehenden Landtagswahlen geblickt wird. Jason Stanley identifiziert in seinem gerade im Westend Verlag auf Deutsch erschienenen Bestseller „Wie Faschismus funktioniert“ (zehn Säulen faschistischer Politik, deren Geschichte und erschreckenden Wiederaufstieg er nachzeichnet. Die Mythologisierung der Vergangenheit einer Nation, ein gegen die Wissenschaft und Expert*innen gerichteter Anti-Intellektualismus oder auch die Kriminalisierung von Minderheiten – Säulen wie diese formen die Sprache und die Überzeugungen, die Menschen in ein „Wir“ und ein „Sie“ unterteilen. Die faschistischen Taktiken greifen dabei ineinander und entwickeln zusammen eine ungeheure Kraft, die letztlich in eine Gesellschaft führt, die für die Appelle einer autoritären Führung anfällig ist. Im Gespräch mit Rahel Jaeggi diskutiert Jason Stanley, wie wir faschistische Politik erkennen und ihren Auswirkungen widerstehen können.
Autoren
Wissen hilft - nicht (ein stiller Zwischenruf):
Von der Veranstaltung zu berichten, oder gar eine abschließende Meinung dazu abzugeben, fällt extrem schwer. Das einzige, zu dem ich mich im inneren Dialog auf dem Rückweg an den Rechner habe verständigen können, war der Titel. „Wissen hilft – nicht". Damit ist in aller Kürze, ja vielleicht sogar Brutalität, gesagt, welchen Eindruck diese Gesprächsrunde hinterlassen hat: Auf der einen Seite eine hochqualifizierte und mit vielen historischen Belegen und Zitaten begründete Ansammlung von Aussagen über dieses Phänomen. Und auf der anderen Seite das Empfinden, dass es hier nicht um ein Phänomen, sondern um die real existierende Wirklichkeit geht, die wir zwar erfahren und zu analysieren vermögen, deren Ursprung uns aber dennoch schwer fällt, zu begreifen.
Auch wenn es scheint, dass wohl kaum einer in dem gut besetzten Saal damit einverstanden sein kann, was sich in so vielen Ländern der Welt immer mehr in den Vordergrund zu schieben scheint, oder schon heute das Geschehen vor Ort bestimmt. Und das nicht nur in Indien oder Miramar, sondern direkt auf dem ’eigenen’ europäischen Kontinent: in Ungarn, in Italien - und vielleicht demnächst auch in Frankreich. Es ist das erhellende, aber zugleich bedrückende an diesem Gespräch, dass die Protagonisten auf der Bühne durchaus präzise zu beschreiben in der Lage sind, welches die historischen Gründe und Ursachen für das aktuelle Geschehen ausmachen. Und doch kam spätestens bei den Fragen aus dem Publikum eine, wenn auch diskrete formulierte, Angst zur Geltung, dass wir es hier derzeit mit dem Ende der Aufklärung zu tun haben. Und dass wir letztlich nicht wissen, wie es dazu gekommen sei, was uns noch bevorstehen wird. Und, vor allem, wie wir uns dazu zu verhalten haben.
Flüchten? Oder Standhalten? Und, wenn ja. wie?
Ja, vor dem Besuch der Veranstaltung gab es sogar ernsthafte Überlegungen, welche Verhaltensweisen angemessen oder auch notwendig wären, sollte diese Veranstaltung von eben solchen Menschen gestört oder gar torpediert werde, von denen hier die Rede sein wird. Dass nichts davon geschieht, ist auf der einen Seite beruhigend und mag solche Befürchtungen für den Moment auf ein Abstellgleis emotionaler Verirrungen abschieben wollen. Und doch bleibt die Frage, die ungeklärte, im Raum stehen, was im Allgemeinen, aber auch mit uns persönlich geschehen wird, falls die angesprochenen Tendenzen eine so konkrete Ausformung erfahren, dass sie auch uns in der eigenen Lebenswirklichkeit konkret und für die eigene Existenz bedrohlich begegnen.
Alles, was an diesem frühen Abend gesagt wurde, blieb auf eine gewisse Art und Weise abstrakt, und das, obwohl all die hier vorgetragenen Ergebnisse der eigenen Arbeit auf den Schultern vieler anderer aufgesetzt werden konnten, vieler anderer, die auch immer wieder als Quellen und Ideengeber zitiert wurden. Das einzige erwähnte Zitat aus dem „blauen“ Milieu war, dass die Vernichtung der Juden als einen Fliegenschiss in der 1000-jährigen Weltgeschichte Deutschlands neu zu bewerten sei. Und im Zusammenhang damit die Erinnerung an die Tatsache, dass der Urheber dieser Formulierung einst Staatssekretär eines bundesdeutschen Ministerpräsidenten gewesen sei.
Je abstrakter und zugleich in ihrer weltweiten Bedeutung sich immer weiter ausdehnenden Diskussion in West und Ost das „Phänomen“ beschrieben wurde, desto deutlicher schlich sich subkutan jene Angst vor einer Wirklichkeit ein, von der an diesem Abend in diesem Saal nichts zu spüren war. Und die sich dennoch immer deutlicher an allen Ecken und Enden dieser Welt breitmacht, weil sie dort nicht nur imaginiert, sondern den konkreten Verhältnissen vor Ort geschuldet ist. Wer heute noch bereit ist, in Florida Urlaub zu machen, muss wissen, dass in diesem Staat inzwischen die staatliche Förderung jeglicher künstlerischen Aktivitäten unterbunden wurde. Von einem erzfaschistischen Gouverneur, der an den Eliteuniversitäten der USA seinen Abchluss hat machen können...
Das Wetter an diesem Tag ist wunderbar, vielleicht einigen der Anwesenden etwas zu warm, aber es ist mit vielen Flaschen Wasser vorgesorgt und dir wird aufgrund einer Behinderung gleich in der ersten Reihe noch ein Platz angeboten. Die eingesetzte Sprache ist ein Moment der Aufklärung und sie schafft Verbindlichkeiten bei der Beschäftigung mit diesem Phänomen. Und dennoch: all das, was der eigentliche Anlass für eine vielleicht auch nur intrinsische begründete Besorgnis ist, verbleibt im nichtsprachlichen Bereich. Als am Schluss der Debatte auch dem Publikum die Möglichkeit angeboten wurde, sich mit Fragen zu beteiligen, hatte mich aber der Mut verlassen, selbst noch an dieser Stelle über das Mikrofon die schlichte Aufforderung zu formulieren “Jason, at the end of this panel, do you have any words of empowerment or encouragement?"
Als wir dann nach dem Ende der Veranstaltung doch miteinander ins Gespräch kommen, geht es um die bereits gegenüber dem Verlag schriftlich vor Tagen formulierte Einladung zu einem Treffen in einem Kaffee am Prager Platz - dort, von wo einst seine Eltern haben fliehen müssen.
WS