B (3. Bericht)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 1. Dezember 2022 um 23h28minzum Post-Scriptum

 

Hier findet sich eine Fortsetzung der Beiträge von den beiden vorangegangenen Samstagen B (1.Bericht) und B (2.Bericht). Anbei schon mal ein erster Entwurf, aber weitere Korrekturen und die Fotos werden erst nach der Rückkehr in Deutschland eingestellt werden.

INTRO

Die Aufzeichnungen für diesen dritten Bericht beginnen am Mittwoch, den 23. November, ausgelöst durch bereits mehrfach an diesem Tag vorgetragenen Nachfragen aus dem Kreis der Gäste, ob es schon „etwas Neues“ zu lesen gäbe.

Ja, es wird etwas Neues zu lesen geben, aber dieses ‚Etwas‘ wird dieses Mal nicht nur um neue Inhalte bemüht sein, sondern auch neue Formen der Darstellung bevorzugen.

Der erste, längere Teil wird ein recht umfangreiches und formal nicht besonders gegliedertes Konvolut von Impressionen und daraus möglicherweise abzuleitenden Folgen darstellen, es werden sich weitere Teile anschliessen: unter anderem mit den Bildern von einer Flussfahrt, vom einzigen Abendessen ausserhalb des Ressorts und dem bevorstehenden Abschied.

EIN ‚HEILLOSES‘ DURCHEINANDER?!

Das Wetter:

Seit fast 30 Jahren hätten sich die Klimazonen immer mehr verschoben, und der Übergang von der Winter- zur Sommerzeit sei in den vergangenen Jahren von einem heftigen Durcheinander geprägt gewesen, so die Besitzerin dieses Areals in einem ersten Kennenlerngespräch. In diesem Jahr sei dieser Wechsel erstmals wieder so vonstattengegangen, wie schon seit langer, langer Zeit nicht mehr. Wir hätten es damit als Gäste endlich einmal wieder gut getroffen und sie auch, denn jetzt konnte sie endlich einmal wieder die (Reparatur-)Arbeiten an ihrem Hause vernünftig planen.

Die Ankunft am Zielort:

Der Beginn der körperlichen Präsenz an diesem Ort bedeutete noch lange nicht, ’wirklich’ angekommen zu sein. Im eigenen Fall hat diese Periode des Ankommens bis zum Ende der zweiten Woche gedauert, andere Gäste sprachen dagegen von drei bis sechs Tagen. Es wird aber in den verschiedenen Gesprächen auch schnell klar, dass mit dem ‚Ankommen‘ auch etwas sehr Unterschiedliches gemeint sein kann. Vordergründig wird vom Jetlag gesprochen, auch dann, wenn das für Vielflieger rund um die Welt insgesamt wohl ein eher geringeres Problem zu sein scheint. Für mich selbst überraschend war es, zum ersten Mal in eine Zeitzone geraten zu sein, die sich mit viereinhalb Stunden mit halbstündigen Intervallen von der GMT +1 unterscheidet.

Angekommen sein:

Das bedeutete für viele aber noch sehr viel mehr. Und spiegelte in vielen Fällen auch den eigenen Wunsch wider, bei sich selbst ankommen zu können. Das klingt banal, und doch war dieser Wunsch in vielen Gesprächen durchzuhören, oder er wurde sogar explizit vorgetragen. Dabei ging es im Kern um eine ganze Serie von jeweils mehreren Gesprächen, die mit insgesamt drei Personen geführt wurden. Und denen ich, allen Dreien, für den hohen Grad des Vertrauens wirklich dankbar bin, das mir dabei entgegengebracht wurde. Immer wieder ging es um dieses Thema, wie es (noch) besser gelingen könne, bei sich anzukommen. Und gerade, weil diese Gespräche in allen drei Fällen so intensiv, offen und letztendlich sogar zielführend geführt werden konnten, können die LeserInnen dieses dritten Beitrages an dieser Stelle nicht erfahren, worum es im Einzelnen ging, welche Themen angesprochen und welche ersten Konsequenzen gezogen werden konnten.

Das ’Chaos’ verorten:

All diese Gespräche, so viel kann hier gesagt werden, konnten geführt werden im Geiste einer grossen und wohl auch wechselseitig so empfundenen gegenseitigen Bereicherung. Sie hatten eine hohe Qualität, waren zunächst von kaum erwarteter Tiefe und hatten doch auch eine ansteckende Fröhlichkeit, selbst dann, wenn in dem einen oder anderen Moment Tränen, Tote und Tabus auf der Agenda standen. Immer wieder ging es darum, ein riesiges, gelegentlich auch heftiges Durcheinander an Eindrücken, Themen und Gefühlen erst einmal zu sichten, in einzelnen Teilen auf den Punkt zu bringen, um sodann scheinbar sinnlos nebeneinander herumschwirrende Phänomene aufeinander beziehen und sie damit erklärbar zu machen. Aus ’Zufällen’ entwickelten sich - oft zum gegenseitigen Erstaunen - immer wieder sinnstiftende Interdependenzen, aus kleinsten Anlässen kulminierten ganze Lebens-Geschichten, und viele der Verknotungen konnten ohne Durchschlagen entworren werden.

Alleinsein:

Alle drei Personen waren aus eigenem Antrieb allein gereist; es war ihnen wichtig, dies zu tun. Eigentlich eine Disposition, in der man eher andere Leute von sich weghält, vor allem in der ersten Phase des Ankommens. Denn man hat wahrlich zunächst einmal mit sich selbst ’gut’ zu tun, mit seinen Kopfschmerzen, dem Bauchgrimmen, der Schlaflosigkeit.

Zwar können hier keine allgemeine Schlussfolgerung aus diesen Gesprächserfahrungen und Beobachtungen abgeleitet werden, aber zumindest von diesen drei hier erwähnten Personen wurde berichtet, dass man sich ihrer hier an Ort und Stelle zumindest von medizinischer Seite durchaus angenommen habe, dass man auf ihre individuellen Problemstellungen durchaus eingegangen sei. Alles Übrige schien sich dann irgendwie in den verschiedenen Kontakten mit anderen Gästen zu ergeben, in den Gesprächsgruppen am Tisch, im Behandlungs’center‘, zu den Essenszeiten oder in Einzelgesprächen, so wie den hier geschilderten, die sich - ‚zufällig‘ oder auch nicht – daraus ergaben.

Für die eigene Person gilt, dass in keinem einzigen Fall einer dieser Kontakte gezielt gesucht worden wäre. Und so mag es zunächst noch ein Geheimnis bleiben, warum es dazu kam, dass es überhaupt und gerade mit diesen drei Personen zu so intensiven Gesprächen kam.

Um dem eigenen Alleinsein zu entgehen? Wohl kaum: War es doch die erklärte Absicht, auf dieser Reise nicht vordergründig ‚Land und Leute‘ kennenzulernen, sondern sich eher auf die weitere Ausgestaltung der noch verbleibenden eigenen Lebenszeit zu konzentrieren.

Gruppendynamiken:

An dieser Stelle einen grossen Dank nicht nur an diese drei herausgehobenen Personen, sondern auch meiner Begleitung und all den anderen Menschen, die wir im Verlauf dieser drei Wochen kennen- und in vielen Fällen auch schätzen gelernt haben. Dank all der aktiven Kommunikationsgaben gab es immer wieder neue Einbindungen in die unterschiedlichen Konversations-Sujets, die aus eigenem Antrieb so gar nicht oder nur selten ‚aufs Tapet‘ gekommen wären, seien es nun der Arbeitsplatz oder die Familie, das Freizeitverhalten oder gewissen Vorlieben für Schmuck und Kleidung.

Es gibt doch so viele Sujets, an die man anknüpfen kann. Und damit immer wieder neu eine so nicht avisierte Dynamik in Bewegung zu bringen, wie dieses kleine nachfolgende Beispiel zeigt.

Die Tischnachbarin zu meiner rechten Seite trägt ein ocker-/olivfarbenes T-Shirt, auf der die drei Gossbuchstaben „R E M“ zu lesen sind. Auf die bewusst zur Gesprächsbelebung fast schon inszenierte Frage, ob sie ein Fan der Gruppe REM sei und welche von ihren Platten ihr besonders gefallen würden, kommt es nach einem mehrfachen „Kannnitverstahn“ aufgrund des Einwirkens ihres Mannes zu der Auskunft, dass von meiner Sitzposition die Sicht auf den gesamten Schriftzug unmöglich sei, von vorn gesehen würde dieser in voller Länge „CREME“ lauten; dieses T-Shirt sei in Frankreich gekauft worden.

So miteinander am Tisch – oft stundenlang und angeregt – reden zu können, ist mir nur wenig geläufig und findet aus eigenem Antrieb so kaum von selbst statt. Dabei ist dieser cordon sociale de communication, wie das in Frankreich genannt wird, eine essenzielle Voraussetzung jedweder erfolgreichen Form von Gruppendynamik. Zunächst war das ja mit dem Noch-nicht-angekommen-Sein erklärt worden, zumal in den ersten beiden Wochen, in denen mir mehr als einmal zugewinkt und zugerufen worden, wo ich denn eigentlich sei, trotz meiner körperlichen Anwesenheit…

ALLES IN ORDNUNG ?!

Präsenz und Präteritum:

Es war schön, nach dieser ersten Phase Menschen gefunden zu haben, die zugleich ganz präsent und bereit waren, auf ihre Lebens-Geschichte(n) zurückzublicken, davon zu berichten und dann auch wieder mögliche Zukünfte zu avisieren. All das geschah im Hier und Jetzt und war dennoch immer wieder von Sprüngen in die Vergangenheit wie auch auf noch offene Wünsche geprägt.

Während wir aber immer noch in die deutlichen Bezüge unserer westeuropäisch geprägten Existenz eingebunden waren, gab es Momente, wo auch diese immer weiter aufweichten, bis hin zu Geschichten über Häuser, in denen man keine Ruhe fände, da darin schon ein Mensch vor Jahr und Tag gestorben sei, oder über zwei Menschen, die sich auch ohne Verabredungen immer wieder zeitgleich an den unterschiedlichen Orten treffen würden.

Aber damit nicht genug. Obwohl dieses Land aus der eigenen Erfahrung noch in keiner Weise erkundet worden ist, kommt es zu einem interessanten Diskurs mit dem ’Chefarzt’ dieses Hauses. Dieser hatte bereits im Verlauf der ersten Konsultation den Satz fallen lassen "you’re a very special kind of person". Einige Begegnungen später dann die Rückfrage meinerseits, was er denn mit dieser (billigen?) Schmeichelei gemeint habe, worauf diese überraschende Antwort kommt: Nicht nur, dass er habe feststellen können, dass auch mir der Gedanke an eine Seelenwanderung nicht ganz fremd sei, er würde behaupten, dass mein Aufenthaltsort zum Zeitpunkt eines meiner früheren Leben eben dieses Sri Lanka gewesen sei.