Am Anfang, beim Verfassen vieler Texte, war es bisher meist so, dass einem irgendwann im Verlauf der Arbeit der dazu passende Titel zuflog. Und sobald das geschehen war, war dies die Bestätigung dafür, sich diesem Thema überhaupt schreibend gestellt zu haben und zugleich Ermutigung, daran auch weiterzuarbeiten.
Bei diesem, gerade erst im Entstehen begriffenen Text ist es anders: Es gibt schon eine Überschrift, die wie ein Leitmotiv, wie eine Art Polarstern über dem Ganzen steht. Und der Text dazu wird sich jetzt erst entfalten müssen.
Cogito, ergo sum ("ich denke, also bin ich, der Denkende").
Descartes hatte ja zunächst die einzige noch für ihn bestehende Wahrheit darin gesehen, dass nichts sicher sei. Aber wer oder was ist "nichts"? Solange er von sich wisse, dass er diese Frage stellen können, gelte für ihn seine Existenz als Wahrheit.
Existo-Argumente wie "je pense, donc je suis", gehen davon aus, dass nur das wahr sein könne, was deutlich und klar ist. Also sei das Leben wahr. Und der Tod. Ergo: Die Lebenden können, ja müssen den Tod als Wahrheit anerkennen. Und die Toten?
Für uns bedeutet die Anerkennung des Todes nicht, den Tod zu kennen. Jegliche Erkenntnis über den Tod bedeutet noch nicht einmal, dass wir dadurch den Tod kennenlernen würden.
Gevatter Tod als „Familienmitglied“ unter den Lebenden, das ist die höchstmögliche, personifizierte Annäherung an eine imaginierte Persönlichkeit jenseits des eigenen Körpers. Er ist die zur Person gewordene Idee des Nichts, das wir nicht kennen.
Haben wir also den Körper wahrnehmen können, als Mittel zur Existenz, so hindert er uns zugleich daran, als Vermittler der Existenz auf den Spuren der Existenzsuche weiter voranzukommen.
Ist es nun Askese oder bedingungsloser Glaube, Tantra oder Zen? Immer und immer wieder geht es um die Überwindung des Körperlichen als gateway in jene Welt, die die Quelle aller Ideen sei, als Offenbarung im Hier und jetzt, mit einem Ein-Blick in die Zeit jenseits des Todes.
Jeder Moment, den wir er-leben, ist gut für solche Ein-Blicke in jene Momente der Erfahrungen einer Art des Nichts, denen der französische Begriff "la petite mort" am nächsten kommen mag. Die körperliche Erfahrung des Selbst im Moment einer lebensbejahenden Grenzüberschreitung.
Können uns Grenzüberschreitung dieser Art, markiert von den Schlagbäumen der Moral, im Vor-Leben jenseits des Todes, von diesem Selbstverständnis einer Sicherheit im Hier und Jetzt befreien? Was, wenn der Gevatter Tod selbst als Mörder gedungen wird?
Lebende wie wir - und ihr alle, die dieses lest, ihr seid die Lebenden - haben in jedem Moment die Möglichkeit, über das Weiter-Leben zu entscheiden. Diese Freiheit schließt auch den Freitod mit ein. Aber haben wir das Recht, über unser Leben auch dann zu entscheiden, wenn es eben um dieses Leben selbst geht? Nicht mehr nur um das Surrogat, sondern um die Substanz?
Menschen sind Substanz, ein "denkendes Ding", wie Descartes es sah; was aber, wenn diese verlebendigte Substanz das Denken nicht mehr ermöglicht, oder aber, wenn wir die im Verlauf des Denkprozesses getroffenen Entscheidungen nicht (mehr) umsetzen können?
Nichts trennt die Einheit von Körper und Geist mehr als die Idee von der Unvereinbarkeit dieser Einheit.
Oder wir lassen sie zu: Selbst in den nur scheinbar so banalen kulminierenden Momenten wie in einem Rockkonzert, in dem uns der Bass durch die Füße bis in alle Glieder fährt, während der Kopf vor lauter von den höchsten Tönen befeuerten Glückseligkeit fast zerspringen könnte.
Pause: Schweigen ist Gold. Die Ruhe vor dem Sturm oder das windstille Auge im Mittelpunkt des Orkans? Die Natur lehrt(e) uns zu sein, weil wir gelernt haben, aus ihr heraus unsere Existenz abzuleiten. Und uns vor allen er-denklichen Gefahren der Natur zu schützen. Aber wer schützt sie vor uns?
Quantensprünge sind in der Natur das einzige physikalische - so gesehen also körperliche - Phänomen, das in der Lage ist, Licht zu produzieren. Wenn Elektronen, sich durch einen Atomkern bewegend, von ihrem bisherigen Energiezustand "herunterfallen", dann produzieren sie Licht [1].
Richtig gute Ideen entstanden, weil einem "ein Licht aufgegangen" ist, die Idee von einer Lichtgestalt überhöht diesen Gedanken in eine Welt, in der Körper und Geist wieder-vereinigt sind.
Seppuku, 切腹, ist der end- und letztgültige Sieg des Geistes über den Körper, der, ggf. durch einen Sekundanten unterstützt, mit dem Leben "bezahlt" wird. Der "Freitod" als Sieg über das Nichts?
Tot, 死, sein zu wollen als der letzte ausgeführte Wille, der mehr gilt als jedweder Sieg über andere Lebende? In Japan gibt es mit den Kanjis zumindest Sprachbilder für das in Worten schier Unsagbare, das Nichts.
Unter keinen Umständen sollst Du Dir - so das Gebot - ein Bild machen von dem Göttlichen, denn Gott sei - so Johannes 1:1-18 HFA - das Wort selbst. Kann also ein Text - selbst dieser - der Wahrheit näher kommen als ein Kirchenfenster? Selbst dann, wenn es keine Bilder-Geschichten mehr erzählt, sondern ’nur noch’ vielfarbig leuchtet?
Vielleicht haben all jene, die bis hierher mitgelesen haben - selbst anders als der Faust bei Goethe - des "Pudels Kern" entdeckt: Was unsere eigene Innen-Welt zusammenhält, das ist das Nichtwissen, das ist die Anerkennung unseres Scheiterns vor dem Nichts. Und das ist die aus der Anerkennung dieser Kapitulation geschöpften Kraft.
Wir können aus Fehlern lernen. Immer? Wäre der Freitod ein Fehler gewesen, bliebe das Daraus-Lernen den Lebenden überlassen.
XYZ:
Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluß. [...]
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!