I
Hier zunächst nochmals die bislang am Tag zuvor eingestellte Ankündigung des Vortrags von Dirk Baecker
Digitalisierung und die nächste Gesellschaft
ab 19.00 Uhr | Einlass ab 18.30 Uhr | im HAU Hebbel am Ufer (HAU 1) | Stresemannstraße 29 | 10963 Berlin [1]
Der derzeit rapide voranschreitende technologische Wandel ruft enorme Ungewissheiten hervor. Umfassende Erklärungen werden notwendig, um die Veränderungen besser verstehen und eine gemeinsame Zukunft gestalten zu können. Das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) führen daher auch in diesem Jahr die 2017 ins Leben gerufene Redenreihe Making sense of the digital society fort. Ziel ist es, eine europäische Perspektive auf den gegenwärtigen Transformationsprozess unserer Zeit und dessen gesellschaftliche Auswirkungen zu entwickeln.
Mit den digitalen Medien beginnt eine neue Epoche der menschlichen Gesellschaft. War diese bisher durch Sprache, Schrift und Buchdruck geprägt, so beteiligen sich erstmals Maschinen an der Kommunikation. Wird die Gesellschaft zukünftig maßgeblich von Netzwerken und künstlichen Intelligenzen bestimmt? Im Zentrum der Kognitionswissenschaften steht die Beobachtung einer komplexen Synchronisation von organischer, neuronaler, mentaler, emotionaler und künstlicher Intelligenz. Doch wie können wir die Herausforderung der Künstlichen Intelligenz meistern? Dirk Baecker wird in seinen Vortrag ein präziseres Bild menschlicher Intelligenz wie auch sozialer Intelligenz zeichnen, denn nur durch ein genaueres Verständnis dieser können wir auf die neuen Herausforderungen angemessen reagieren.
II.
Am Ende des Vortrages waren die TeilnehmerInnen des voll besetzten Auditoriums eingeladen, an einem Empfang teilzunehmen. Stattdessen wurde ein kurzes Gespräch mit dem Redner geführt und am Ende von beiden in Aussicht gestellt, dieses zu einen späteren Zeitpunkt - vielleicht auch als Streitgespräch vor dem Mikro - fortzuführen.
Da es aber im weiteren Verlauf sowohl eine Aufzeichnung des Vortrages und darüber hinaus ein eigenes Interview des Veranstalters geben soll, werden wir zunächst der Umsetzung dieser Versprechungen entgegensehen und dann die entsprechenden Quellen auch hier zitieren.
Stattdessen in den nachfolgenden Punkten einige kommentierende Anmerkungen des Autors.
III.
In seinem Vortrag - hinter einem Pult und nicht im TED-Style, wie gleich eingangs bemerkt - erklärt sich Professor Baecker damit einverstanden, dass es legitim sei, auch dann Kant zu lesen, wenn man Nicht von seinen Vordenkern gelesen habe und nichts von der Wirkung seines Werkes wisse. Die Wirkung, die es auf den Leser, die Leserin in dem Moment der Rezeption, und auch danach habe, sei legitim genug, um darüber nachgedacht und dazu eine Meinung zu haben.
Damit schliesst er an an seine Schrift anno 2000 zur Frage: "Wozu Kultur?" über die die Anmod des Verlages erklärt:
Es geht, so Baecker, darum, »den Blick für eine Gegenwart zu schärfen, die wir aus den Augen verloren haben, weil wir in der Vergangenheit jene Absicherung und in der Zukunft jene Möglichkeiten suchen, die uns die Gegenwart vorenthält«.
Was bedeutet, dass es legitim ist, auch dann über den heute gehörten Vortrag zu schreiben, wenn man nicht das letzte Buch des Redners gelesen hat, das dann im Anschlussgespräch auf der Bühne auch noch so hoch gelobt wurde. Vor allem, weil das darin Gesagte am Schluss nochmals so konkret und bildhaft verständlich gemacht worden sei.
Ein Satz, der für diesen Abend so keine Verwendung hätte finden können.
Hilfreich dagegen war die Erinnerung an die Lektüre von Gelegenheits-Texten in "Wozu Theater?" in Theater der Zeit, Berlin 2013.
Schon im Vorwort zu diesem Buch ist von der "heraufziehenden ’nächsten’ Gesellschaft die Rede, die "das nächste Theater" durchzuspielen in der Lage sei:
Im antiken Theater wird tragisch und komödiantisch das Schicksal herausgefordert, im klassisch modernen Theater wird Kontingenz inszeniert, und im ‚nächsten‘ Theater wird das Spiel selber auf seine Unvermeidlichkeit zurückbuchstabiert, ohne dass zwischen Sein und Schein irgendein verlässlicher Trennstrich zu ziehen wäre.
Die These des Soziologen ist, dass das Theater nicht nur seine Rolle in der Gesellschaft in Frage stelle, sondern auch seine Formate. Und er behauptet:
Nur Formate geben die Antwort auf die Frage, wie strenge Kunst und schonungslose Öffnung miteinander Hand in Hand gehen können.
Um so enttäuschender, ja umso bitterer war es an diesem Abend zu erleben, wie in diesem Theater-Raum so Nichts, aber auch gar nichts von dem aufgegriffen/genutzt wurde, was das Theater anzubieten gehabt hätte. Der Redner verzichtete - schon mit seinem Hinweis wider die TED-Talks - voll und ganz auf jegliche Format-Angebote eines solchen Hauses und verlässt sich stattdessen voll und ganz auf seine Kunstfertigkeit der Forumulierungen.
Diese, seine Rede ist im unmittelbaren Sinne des Wortes "gross"-"artig". Sie ist gross, weil sie den ganzen Horizont der Soziologischen Systemtheorie auszumessen versteht. Und sie ist dennoch sogleich artig in dem Sinne, dass sie auf der Kongruenz dieser Systeme aufsetzt und sich aus ihren selbst heraus fortzuschreiben bemüht ist.
Auf den Schultern eines Kant und eines Luhmann spricht er über die "Matrix" und fragt: "Was wollen Roboter?" In seiner Schrift: "Wozu Systeme?" sagt er gleich zu Beginn auf Seite 7f über den System-Begriff:
Er spricht von der Ordnung, um sich die Unordnung anzuschauen, zu der diese sich durchringen muß, um auf das reagieren zu können, was sie ausschließt. Er beobachtet eine Kommunikation, von der nur der Traum etwas weiß, der diesseits der Wirklichkeit von Raum und Zeit, von Ursache und Wirkung seine eigene Wirklichkeit kennt
Das war zwei Jahre nach der "Wozu Kultur"-Frage. Damals schrieb Jens Kiefer in der Literaturkritik den schönen Satz:
Dieses Offenlassen gestellter Fragen ist jedoch nicht Produkt eines Vergessens, sondern scheint mir programmatisch für eine paradoxieverliebte Theorie zu sein, die Wissenschaft betreiben eben nicht als Vermehrung von Wissen, sondern als Vermehrung von Nicht-Wissen begreift und die eigene Theoriepraxis als Mogelpackung charakterisiert
IV.
Was also hat an diesem Abend auf dieser Bühne stattgefunden? Dirk Baecker spricht über Formen der Wirklichkeitsbewältigung, in dem er über das Durchdringen ihrer Grenzen fabuliert. Er referiert die Gedankenwelten zwischen Sinnlichkeit und Sinngebung. Er spielt mit den Worten, mit unserer Projektion auf diese und er inszeniert damit sein eigenes Wissenschaftstheater: Das Ganze ein Theater-Abend, der so gar nicht mit "dem Theater" zu tun hatte.
Nach dem Schlussapplaus und einer Reihe von Begegnungen vor der Bühnenempore werden die Mikrofonie abgebaut, der Tisch und die zwei Stühle abgeräumt. Und dann, zu guter Letzt, wird das vorne an der Rampe errichtete "Bühnenbild" eingesammelt: Das aus einzelnen Holzbuchstaben zusammengesetzte Wort #DIGITALSOCIETY.