I.
Dieser nachfolgende Text sollte nicht mehr Lesezeit in Anspruch nehmen als dieser "Stormy Weather"-Clip von einem Tokio Hotel Konzert in der Wien Arena im Jahr 2015 [1]:
Anlass dieses Textes ist, dass es eigentlich keinen Anlass für diesen Text gibt.
Er wäre nie entstanden, wenn es nicht in den letzten Tagen einen Orkan gegeben hätte, der dann am Donnerstag auch über Deutschland hinweggefegt wäre. Mit vielen Toten und Verletzten, Sachschäden für eine halbe Milliarde, und einem mancherorts kompletten Verkehrschaos.
II.
Mehrere Versuche, dennoch am Donnerstag, als auch am Freitag eine Reise nach Cottbus, Leipzig und München anzutreten, mussten immer wieder abgebrochen und in Folge dessen eine Reihe von Terminen und Verabredungen abgesagt werden.
Was alles noch ging: Das Telefon, das Internet, die W-LAN-Anbindungen, das alles funktionierte noch. Und so kommt es dazu, dass die letzten Tage als auch dieser Samstag plötzlich ganz ohne Agenda dastehen - und Freiräume bieten wie für einen Text wie diesen.
Die Zerstörung des Geplanten - und sei es sogar des sehnlichst Erwarteten - bietet zugleich einen Anlass für einen ganz und gar unverhofften Freiraum, der nun vom Suchen nach "Stormy Weather" - Songs ausgefüllt wird - bis zum Schreiben dieses Textes.
III.
Natürlich, dass in diesen Zeilen auch der Ärger über das Missmanagement der Deutschen Bahn zum Ausdruck kommt, auch wenn deren Agenten sich sicherlich mehr als nur Mühe geben haben, um die Situation nicht vollständig aus der Kontrolle zu verlieren.
Aber auch sie sind ihrerseits nicht länger nur Verwalter des Ungemachs der Naturmächte, sondern sie müssen auch noch auslöffeln, was die Leitsysteme des eigenen Hauses nicht zuzurichten in der Lage sind.
IV.
Ein Beispiel von vielen: Eine Stunde der vor Abfahrt wird heute in der Frühe ein ordnungsgemässer Zugverkehr ab Berlin Hbf in Richtung München angezeigt. Und als wir Fahrgäste für den Zug ab 8:30 Uhr dort rechtzeitig eintreffen, finden wir dort eine Lichttafel vor, auf der verkündet wird, dass dieser Zug nicht verkehren würde.
"Wie das", fragt eine Mitreisende in die Runde: "Vor fünf Minuten hat man mir noch oben am Schalter eine Platzkarte für diesen Zug verkauft, von dem ich jetzt erfahre, dass er gar nicht fährt..."
Dass es nur noch uns und kein Personal mehr auf den Bahnsteigen gibt, das für Informationen bereitstünde, ist inzwischen schon eine Binse. Es gibt ja schliesslich das Internet. Und die DB-App: Und so stehen wir alle beieinander und wischen auf unseren elektrifiziert leuchtenden Glasplatten herum und tauschen uns gegenseitig über die vorgefundenen Ergebnisse aus.
Die gefundenen Ergebnisse verstärken ebenso die gegenseitige Kommunikationsbereitschaft als auch die schlechte Laune: denn vieles von dem, was auf der App als noch betriebsbereit angezeigt wird, findet in der uns umgebenden Wirklichkeit eines winterwetterlichkalten Bahnhofsbahnsteiges nicht mehr statt.
V.
Also, ab zum "Aufenthaltszug", der auf Gleis 6 die ganze Nacht über bereitgestellt worden war. Dort gibt es im Zug gegen halb neun eine Ansage, dass dieser gleich vom Bahnsteig gefahren werde, man aber die Möglichkeit habe, einen Bahnsteig weiter einen Regionalzug zu nehmen, mit dessen Hilfe man - Zug um Zug - zumindest bis Leipzig kommen könne. Abfahrt: "in drei Minuten".
Dafür muss aber nicht nur der Wagon wieder verlassen, sondern auch die Empore darüber aufgesucht werden, über die dann der Weg zum Nachbargleis eingenommen werden kann.
Aber nicht nur, dass auf eben dieser Empore hohe gelbe Plastik-Bauzäune den Weg versperren. Selbst die Auffahrt dorthin mit der Rolltreppe ist nicht möglich, da diese - in Aufwärtsrichtung - still steht.
Bis das ganze Gepäck schliesslich die Treppe hinaufgewuchtet und der Weg auf der Empore durch die Menge gebahnt werden konnte. war der Regionalzug unten am Nachbargleis... schon abgefahren.
VI.
Dieses nur als ein klitzekleines Beispiel für tausende und abertausende von Geschichten, die in den letzten 24 Stunden erzählt worden sein werden.
Und nur die Spitze eines Eisbergs sind, der selbst erst dann erklommen wurde, als anschliessend versucht wurde, anstatt an den absolut überlasteten Bahn-Schaltern des Hauptbahnhofs an den Schaltern vom Bahnhof-Zoo das Ticket und die Reservierungen umschreiben zu lassen. Dort aber musste man gleich draussen vor er Türe stehen bleiben und diesen Meldezettel zur Kenntnis nehmen, der dort von innen angeheftet worden war:
Kurz und ungut: Es bedurfte gute vier Stunden, bevor die Folgen aus diesem Desaster soweit bewältigt worden waren, dass nun nicht die LMU in München, sondern doch wieder das Büro in Berlin angesteuert wurde, um von dort aus die weiteren Planungen vorzunehmen...
... und diesen Text zu schreiben, der - wie schon gesagt - sonst nie zustande gekommen wäre.
VII.
Und der uns was sagen will?
Auch das Nicht-Erreichen-Können eines fest ins Visier genommenen Zieles bedeutet weder das Ende der Welt noch das des eigenen Lebens. Sicherlich, eine solche Herausforderung zu bewältigen ist mehr, als nur eine kleine Unpässlichkeit zu überwinden. Aber wenn Wind und Wetter von ihrer Vorherrschaft Gebrauch machen, dann liegt es auch an uns, an den Auswirkungen nicht gleich zu verzweifeln, so dramatisch sie sich auch für den Moment darstellen mögen.
Wir haben immer noch ein Dach über dem Kopf, das Hab und Gut ist uns nicht abhanden gekommen. Und dass wir unser Ziel nicht erreicht haben bedeutet deshalb noch noch lange nicht, die gesetzten Ziele aufgeben zu müssen.
Im Gegenteil: Zeit gewonnen zu haben, bedeutet, diese nochmals überdenken zu können.
VIII.
Und: Ein weiteres Stück Musik zu hören, nachdem der Tokio-Hotel-Song, wenn er denn zu Beginn der Lektüre abgespielt worden wäre, nun sein Ende erreicht hat.
Hier also ein weiterer von den vielen möglichen und unmöglichen "Stormy Weather" - Songs, hier von vier jungen Leuten vorgetragen, die es den Alten mal so richtig zeigen, was für eine "reife Leistung" so eine junge Gruppe zu vollbringen vermag: