Innovationsforum VR Babelsberg

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 9. Juni 2017 um 20 Uhr 47 Minutenzum Post-Scriptum

 

Sie sind eingeladen zum Abschluss-Symposium des INNOVATIONSFORUM VIRTUAL REALITY Babelsberg
am: Donnerstag, 1. Juni 2017
um: 10.00 Uhr (bis ca. 17.00 Uhr)
in: Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, Marlene-Dietrich-Allee 11, 14482 Potsdam

Anmeldungen zur Veranstaltung sind bis zum 29. Mai über Eventbrite möglich. Die Teilnahme ist kostenlos. Bitte gehen Sie für Ihre Anmeldung auf den "Anmeldung" Button.

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Bei Rückfragen wenden Sie sich gerne an Katharina Schwarz:
katharina.schwarz@innovationsforum-vr.de

Anstatt an dieser Stelle den gesamten Verlauf dieser Veranstaltung zu referieren - in der Hoffnung, dass das an anderer Stelle geschehen wird, da das hier entfalteten Spektrum der Möglichkeiten und der Bereitschaft zur Umsetzung wirklich beeindruckend war - anstatt an dieser Stelle also Rolle des Berichterstatters einzunehmen, geht es hier und heute um eine nachfolgend kurz skizzierte eigene Einlassung zu diesem Thema.

Ausgangspunkt dazu waren die Ausführungen von Antoine Cayrol, einer der drei Partner des [OKIO-Studio]s in Paris. An den Ausführungen seines Gastbeitrags fiel vor allem die pragmatische Haltung auf, mit der auf die neuen Herausforderungen der Produktion von und in virtuellen Welten reagiert wurde.

Er war in dem von ihm skizzierten Vorgehen viel pragmatischer, konkreter und realistischer als viele der in Deutschland angesiedelten Projekte. VR war und ist aus seiner Sicht immer Mittel zu Zweck, nicht Selbstzweck. Es wurde deutlich, dass eine Grossteil ihrer Arbeit zunächst einmal der Beantwortung der Frage gewidmet wird, zu welchem Zweck diese neuen Mittel der Darstellung und Wahrnehmung überhaupt eingesetzt werden sollen.

Aus Sicht des überwiegend deutschen Teilnehmerschaft war vor allem immer wieder zu vernehmen, dass sich mit dieser neuen Technologie vor allem eine neue Sicht- und Produktionsweise entfalten würde, die ... ja, die vieles von dem wieder möglich machen würde, was man offensichtlich bei den zuvor erstellten audiovisuellen Gewerken vermisst habe: von der Herausforderung, endlich wieder Fehler machen zu dürfen, um sich mit denen neuen Darstellungsmöglichkeiten vertraut zu machen, bis zu der Bereitschaft, das Ego des kunstschaffenden Individuums zurückzustellen zu Gunsten eines kollektiven Dialoges mit einem zunächst noch offenen Ausgang.

Ja, man hat sogar der Eindruck, dass die Arbeit mit AR und vor allem mit VR geradezu gefeiert wird als ein Stück Wirklichkeit gewordener Utopie der Medienproduzenten, die nach der Zerschlagung ihrer traditionellen Gewerkstrukturen endlich eine Gelegenheit zu verspüren scheinen, die immer mehr fraktalisierten Produktionsprozesse in eine neue Qualität zu überführen - und diese dann auch in ihren neuen Produkten und Produktionen sichtbar und hörbar werden zu lassen.

Diejenigen von uns, die schon den Übergang vom Film zum Video miterlebt, mitgemacht und mit gestaltet haben, werden wahrlich nicht erstaunt sein, aus jener Zeit eine Reihe von Erfahrungsprozessketten wiederzuerkennen, die sich hier und heute - wenn auch in einem neuen Gewand - zu neu zu entfalten scheinen.

Nein, Film-Produktions-Geschichte wiederholt sich nicht. Aber die Projektion von Hoffnungen und Erwartungen auf eine erst noch zu entdeckende audiovisuelle Vermittlungsinstanz ist derzeit noch so dynamisch, dass die in ihr innewohnende Kraft dazu verrühren mag, die objektiven Tatbestände und Nutzungserfahrungen mit dieser Technologie in ein allzu schimmerndes Licht zu tauchen.

Also wird einerseits die Wissenschaft bemüht, nach Erklärungszusammenhängen zu suchen, die sich diesen neuen Bedeutungswandels schon zu eigen gemacht haben - während auf der anderen Seite immer noch mit den "Basics" gekämpft wird, die es zu erfüllen gilt, bevor hier aus dem Hype eine längerfristige gültige eigenständige Form des Erzählens abgeleitet werden kann.

Storytelling in VR, eines der Lieblingsthemen dieses Tages. Von dem Vorschlag, endlich einen Blog dazu zum Leben zu erwecken bis hin zu einem Studentenprojekt, mit klassischer 2D-Animation in eine 3D-Unterwasserwelt einzutauchen und die VR-Brille in eine Taucherbrille zu verwandeln, die wiederum in eine der "klassischen" Taucherglocken einmontiert sind.

Auf der einen Seite ist es erfreulich und ermutigend zu sehen und zu erleben, wie aus allen Ecken und Enden dieser unendlich breiten Palette von Mediennutzung - vom Film über TV bis hin zur Animation und Games - neue Ideen vorgestellt werden. Auf der anderen Seite lässt sich schon jetzt vorhersagen, dass es bei dieser mentalen Goldgräberstimmung nicht bleiben wird. Bedingt von den nach wie vor bestehenden technologischen Hemmnissen, fehlenden Standards, usw. bis hin zur einer veränderten Erwartungshaltung der Investoren und Risikokapitalgeber.

Das aber mag aber noch begründet werden mit der "klassischen" Abfallkurve, die sich nach einem ersten Hype immer wieder einstellt, bevor es dann zum sogenannten Hockeystick-Effekt kommt. Entscheidend aber für den zukünftigen Erfolg oder Misserfolg einer solchen bislang so positiv prognostizierten Entwicklung werden andere Faktoren sind, beyond technology.

In einem längeren Aufsatz würden an dieser Stelle jetzt Antworten eingespielt werden zu der Frage, warum "plötzlich" im Kino die "3D" Projektion wiederentdeckt wurde und warum sich "3D" im Fernsehen nicht hat durchsetzen lassen.

An dieser Stelle aber soll lediglich an einen kurz aufflammenden und dann aber abgebrochenen Diskurs mit dem Publikum darüber angeknüpft werden, was denn das Thema der Immersion bei dem Erleben solcher Produktionen wirklich zu bedeuten habe.

Dabei wurde immer wieder darüber gerätselt, aber auch gefachsimpelt, wie es gelingen könne, dem Umstand zu begegnen, dass immer noch vielen Leuten beim Eintauchen in die Virtuellen Welten schlecht werde.... ja, physisch schlecht wird. Und es wird darauf verwiesen, dass es auch bei der "Erfindung" des Filmes mehrere Jahrzehnte gedauert habe, dass sich diese Technik so habe entwickeln und durchsetzen können, dass sie als etwas Positives empfunden und wirtschaftlich erfolgreich verwertet werden konnte.

Und es wurde auf dem Podium darauf verwiesen, dass die Wahrnehmung von VR-Angeboten umso schwieriger sei, je älter die Personen seien, die sich auf diese neue Form der Wahrnehmung einlassen würden. Selbst "wir", so die Stimmen der jungen Erwachsenen auf ihren Stühlen zwischen Publikum und Leinwand... selbst wir sind dafür schon viel zu alt. Das sei ganz anders mit der ihr nachfolgenden Generation, in der man schon als Kind gelernt habe, sich in solchen Welten zu bewegen, die ihnen durch eine VR-Brillen nahe gebracht würden.

Positionen wie diese gehen davon aus, dass diese Technologien Teil einer neuen "zweiten Natur" werden, so wie es zur Zeit zum Beispiel gerade die Smartphones geworden seien. Und sie legen den Schluss nahe, dass mit der Vermittlung dieser neuen Technologien auch neue identitätsstiftenden Modelle einhergehen, die die eigene Existenz auf eine neue Weise beeinflussen, oder vielleicht sogar prägen werden.

Vordergründig lässt sich eine solche Erwartungshaltung daran festmachen, dass allzu gerne von den Vorteilen und Erfolgen die Rede ist, die der Tatsache geschuldet sind, dass es nun endlich möglich sei, Immersion zu betreiben - und zur realisieren. Und, indem man sie realisiert, die Menschen in Räume zu ver-führen, die eben alles andere als real sind. Und diesen Prozess sogar noch dadurch zu unterstützen, in denen man sie mit ihren Brillen in eine Welt stellt, in der dann sogar körperlich, haptisch zu spüren sei, was einem über die Brille in den Kopf eingespielt wird [1].

Wir kennen aus der klassischen Welt der Flmrezeption den Begriff und die Beschreibung, dass es gelungen sei, dass die Ereignisse auf der Leinwand es vermocht haben, die Zuschauer "in ihren Bann" zu ziehen und sie darin "gefangen zu halten". Und das in solch einer Art und Weise. dass diese nach dem Ende der Vorstellung das so Erlebte als ein gelungenes Unterfangen goutieren und weiter empfehlen.

Auch an dieser Stelle wird jetzt darauf verzichtet die vielen "klassischen" Beispiel und Zitate dafür nochmals ins Feld zu führen. Denn es soll hier am Schluss dieses Textes ein Ausblick gegeben werden in einen Diskurs, den heute noch kaum eine(r) führen, geschweige denn verstehen mag, der aber im nächsten Jahrzehnt von hoher Bedeutung sein wird. Die Frage nämlich, in welchen Verhältnis bei solchen Strategien der Organisation von Wahrnehmung das fremde (360°) Bild und die Abbildung des eigenen Ichs als Projektion in dieses Abenteuer der Wahrnehmung (in) einer VR-Welt miteinander in Zusammenhang stehen.

Sagen wir es ganz schlicht und in einer nicht ganz zulässigen Art und Weise: derzeit wird der Erfolg der VR-Projekte der ersten Generation gerne noch daran gemessen, dass wir uns als Betrachter in dieser so künstlich generierten Welt möglichst gut zurechtfinden können, uns darin im besten Falle wohlfühlen, uns darin angenommen und aufgenommen fühlen.

Erst später werden wir mit dem wachsenden Mass an Erfahrungen merken, dass dieses eine conditio sine qua non für den Erfolg der Arbeit in und mit VR ist, aber noch lange nicht das Ziel. Derzeit geht es noch darum, überzeugende Erfahrungsszenarien zu schaffen, die den Menschen erläutern, dass auch die Zugfahrt auf einer Schienenstrecke in einem Eisenbahnwagon nicht zu unendlicher Übelkeit und Unverträglichkeit führt.

Es wird von hier aus noch eine ganze Zeit brauchen, bis dass der Blick aus dem Fenster während einer Zugfahrt als ein Erlebnis, als eine Bereicherung wird wahrgenommen werden können. [2]

Gegenwärtig ist an allen Ecken und Enden davon die Rede, welch neue Möglichkeiten es geben wird, oder auch jetzt schon zur Verfügung gestellt werden können, dass wir endlich in einem ganz neuen konsensualen und kontextuellen Umfeld in der Lage sein werden, zu begreifen, was "jenseits" von uns geschieht: sei des durch das Eintauchen in einer Unterwasserwelt, oder durch den Aufenthalt in einem Flüchtlingscamp.

Wenn wir aber der Hypothese folgen, dass in der uns nachfolgenden Generation der Umgang mit VR etwas "ganz normales" sein werde, dann wird die Bedeutung des Aussergewöhnlichen einer solchen Erfahrung mit und via VR nicht mehr die gleiche sein.

Und dann - und vielleicht erst dann - wird es möglich sein zu verstehen, dass auch in der Welt der Immersion die eigene und eigenständige Sicht auf das vorgeführte Szenarium / Ereignis nicht aufgehoben ist, sondern, dass sie sich vielmehr in diesen neuen Zusammenhängen auch neu, also anders, artikulieren wird.

Derzeit - auch dieses sehr verkürzt gesagt - macht sich dieses in der Immersion vergewaltigte Ich durch Schwindelgefühle bemerkbar, setzt sich gar durch das Bedürfnis, sich Erbrechen zu müssen, zur Wehr. Derzeit reden wir noch über Tücken und Tricks, wie diesem Phänomen beizukommen ist... bis wir begriffen haben, dass wir erst noch in die Zeit einer Aufklärung darüber werden eintreten müssen, in der uns klar wird, was wir da eigentlich gerade veranstalten.

Und bis wir dahin kommen, werden wird noch eine ganze lange Reise unternehmen, die wir in unserer klassischen deutschen Kulturgeschichte schon einmal unternommen haben - von Kant bis Brecht [3]

So. Und mit dieser kühnen Hypothese bricht dieser Text ab.

Nur soviel noch: Wenn es gelänge, im Rekurs und in Kenntnis dieser klassischen deutschen Kulturgeschichte learnings zu synthetisieren, die uns als tools bereitstünden, den Erkenntnisgewinn im Umgang mit Virtual Reality schneller, effektiver und auch wirtschaftlich erfolgreicher zu gestalten als an anderen Ecken der Welt, namentlich in den USA und in China, hätten wir eine Chance, auch in diesem internationalen Wettbewerb nicht nur "ein Wörtchen mitzureden" - das geschieht ja schon durch so einen Text wie diesen - sondern auch ein competitive edge für den zukünftigen Einsatz von und mit VR zu definieren.

Also keine Angst vor "me too" - Produkten und Produktionen aus Kalifornien oder Korea. Respekt und Dialogbereitschaft vor und mit all jenen, die sich derzeit für diese Themen interessieren, die dort Zeit und Geld, Produktionsmittel und Phantasie investieren. Aber wenn wir heute nicht nur technologisch, sondern auch methodisch neuen Wege suchen und erproben, dann sollten auch solchen Chancen wahrgenommen werden, wie sie in Design Thinking oder Serendipity stecken, um einen eigenen Weg zu finden. Einen Weg, in dem der Rückgriff auf die eigene Geschichte zu einem ganz eigenen Accelerator wird, um in dieser neuen Welt aus der technologischen Vision auch eine Perspektive abzuleiten, die aus der Quantität an Pixeln und Bytes eine neue Qualität erwachsen lässt, die etwas mit dem Leben, mit unser aller Lebensqualität zu tun haben - in der virtuellen Welt, wie in der realen.

P.S.

Vielen Dank für die vielen und vielfältigen Reaktionen und Anregungen von jenen, die sich nach der Lektüre dieser Zeilen gemeldet haben. Auf die Frage, ob es sich bei dem VR-Thema wieder "nur" um einen Hype handeln würde, wie wir ihn zuvor im Bereich home-entertainment mit den 3D-Produkten erlebt haben, wurde mit dem Verweis auf die neue Seite der MediaMarkt E-Business GmbH geantwortet, die unter der URL: vr-world.com/ gelaunched worden ist. WS.

Anmerkungen

[1So wie diese ja heute schon bei den US-Militärs geschieht, die sich in stadiongrossen Hallen in solchen Simulations-Szenarien auf Häuserkämpfe und Terrorabwehr vorbereiten.

[2Die Schlussredaktion dieses Textes geschieht in einem Eisenbahnzug - dem ICE 1515 - in dem das Eisenbahnfahren als Bedrohung der Sinne kaum noch eine Rolle spielt. Vielmehr gibt es einen Tisch an einem Fensterplatz, auf dem der Rechner steht. Dieser wird sogar mit Strom und Internet versorgt. Und aus dem Fenster ist immer wieder ein Landschaftsblick möglich, der vom Denken nicht ablenkt, sondern dazu anregt...

[3Und auch diese beiden Protagonisten werden hier nicht ohne Grund genannt, da sich ihre Namen direkt aus den auf dem Panel vorgetragenen Positionen ableiten lassen. Ging es doch um das Thema der Verklärung versus Aufklärung. Und ging es um die These, dass mit VR die Bereiche Film und Theater dabei seien, eine neue Synthese einzugehen.


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