Drei Tage wurden jetzt Gottes-Dienste abgehalten. In allen Gottes-Häusern. Und auch an vielen anderen Orten ausserhalb derselben. Selbst in vielen Haushalten.
In diesem Jahr wurde sogar die grosse Coca-Cola-Weihnachts-Party aus Gründen der Pietät in ein Gedenk-Konzert an die Opfer des Attentats am Breitscheidplatz umgewidmet [1]
Man findet sich zusammen, in der Gemeinde, in der Familie, selbst an "fremden" Plätzen, um "Das Fest der Liebe" zu feiern. Und sich im Abglanz dieses Ereignisses und seiner Botschaft selbst wieder als Liebende(r) erleben zu können: Den Anderen gegenüber - und vielleicht sogar sich selbst gegenüber.
Soweit, so gut.
Dass jede(r) von uns angehalten wird, inne zu halten und sich zugleich seinen Mitmenschen zu öffnen, ist gut so.
Wenn man aber die Texte der Rituale, der Predigten und Gebete, die in den letzten Tagen gesprochen wurden in ihrem Kern aufschliesst, wird erkenntlich, dass dieses Reden um die Erneuerung der Menschenliebe und -freundlichkeit immer gesehen - und gepriesen - wird im Zusammenhang eines allmächtigen Gottes. Der, in diesen Tagen sinnbildlich wieder einmal, zum Menschen geworden sei.
Ja, so ist es auch heute wieder zu hören: die Menschwerdung Gottes sei es, die uns dazu nötigen würde, von dem falschen Tun abzulassen, die falschen Wege zu verlassen und uns wieder jenen Qualitäten und Handlungen zuzuwenden, die uns Menschen "menschlich" machen.
Es ist von Vergebung die Rede, von der Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, Feindschaften aufzukündigen, davon, sich wieder begegnen zu können.
Mag sein, dass das gelingen kann.
— In dem "Späti" gegenüber der Synagoge holen sich die Polizisten, die den Eingang bewachen müssen, einen Kaffee während vor der Tür des Geschäftes Leute herumstehen, die den Passanten eine frohes Fest wünschen.
— Die Verbundmächte rund um Syrien wollen sich erneut treffen, um nach dem nicht enden wollenden Bombardement des Landes dieses wieder zu befrieden.
Wir hören diesen Stimmen, diese Nachrichten wohl; allein, mir fehlt der Glaube an ihren positiven Sinngehalt.
Es ist legitim, ja vielleicht sogar beglückend, wenn zumindest einmal im Jahr der Versuch unternommen wird, das Glück des Menschen als kollektive Veranstaltung zu loben und zu preisen.
Es ist nachvollziehbar, ja vielleicht sogar not-wendig, dass diese Bemühungen in Rituale ganz unterschiedlicher Couleur und Qualität eingebunden und über Jahre so eingeübt werden, dass sie auch dann noch eine Dauer versprechen, wenn das ihnen zu Grunde liegende gute Gefühl eben nicht mehr von dieser Dauer sein wird.
Allein das Mantra, die ständige Wiederholung einer Aussage, eines Verses, eines Liedes, führt zu einem eigenen Flow, der weissagt - uns weissmanchen will - wie richtig und wichtig unser Tun sei.
Und wenn es zur beständigen Wiederholung des Mantra vor Ort nicht mehr reicht, dann wissen wir immer noch, dass im nächsten Jahr ein erneuter Versuch der Beschwörung des Guten unternommen wird.
So weit, so gut?
Wenn etwas in all diesen Predigten, Versen und Liedern der letzten Tage zum Ausdruck gekommen ist, dann, dass wir diese "Verkündigung grosser Freude" nur dadurch, ja, nur dann erleben können (und dürfen - sic!), wenn wir die Herrschaft eines Gottes, des "Allmächtigen" anerkennen.
Selbst diejenigen unter uns, die mit der Kirche im Besonderen, ja mit der Religion im Allgemeinen nicht viel am Hut haben mögen, können sich auf Passagen beziehen, in denen die Macht des Herren gepriesen und die Ohnmacht des Menschen als Pendant dazu festgestellt wird.
"Gott ist der König der Welt". Unserer Welt? Warum ist eine Demokratisierung nicht möglich? Warum können wir uns nur in diesem Zustand der Abhängigkeit wieder "dem Guten" zuwenden, die falschen Wege verlassen?
Anstatt diese Fragen und das darin verborgene Dilemma noch weiter ausufern zu lassen, bringen wir es sogleich auf den Punkt: Wieso kann der Mensch nicht wirklich "gut" sein" Weil ihm letztendlich durch seine permanente Abhängigkeit zur Kirche und zu einer Gott-Vater-Figur die Souveränität dazu abgesprochen wird. Weil sie ihm, sagen wir es etwas vorsichtiger, nicht wirklich zugeeignet wird.
Gut zu sein, bedarf es wenig...
Das Dilemma, das sich an dieser Stelle entfaltet, wird im Nachgang zu dieser hier skizzierten Überlegung nicht sogleich aufgelöst werden können. Aber vielleicht ist schon diese Darstellung hier ein Stück des Weges auf der Suche nach einer eigenen, adäquaten Lösung.
Denn die Befähigung zu all diese positiven Handlungen, um die wir da in den Gottes-Diensten bitten, setze eines voraus: Souveränität. Souveränität im Umgang mit den Anderen und bestenfalls, wie schon gesagt, im Umgang mit sich selber.
Und den Glauben? Brauchen wir den Glauben - in welcher religiösen Konnotation auch immer - um Gutes tun zu können?
Als Antwort auf diese Frage eine weiteres Zitat, das uns aus den Kirchen zugerufen wird, wenn Weihnachten vorbei und das höchste aller religiösen Feste der Christenheit angesagt ist: Ostern.
Wir sehen Jesus am Kreuz. Aus dem Baby ist ein Mann geworden. Sein Leben ist eine Lebende. Und sein Tod? Als er an das Kreuz genagelt wurde und sich selber überlassen ward, rief er: "Herr, warum hast Du mich verlassen"?
Diese Verzweiflung ist eine Provokation für den Gläubigen. Und zeigt zugleich den Weg, denn es zu gehen gilt, so lange für uns Lebende noch Zeit dazu ist.
Gekreuzigt wird jeden Tag. Und wenn es schon nicht gelingt, Verrat und Mord zu verhindern, können wir vielleicht zumindest verstehen, wie es dazu kommt. Und daraus lernen. Und: Aus dieser Einsicht handeln. Und: Gutes tun, ohne selbst damit einen göttlichen Anspruch erfüllt zu haben, gut zu sein.
Gut so?
WS.