Heute wird nachfolgend aus der Berliner Zeitung vom 6. Mai wird ein Artikel von Sabine Rennefanz zitiert, in dem unter der Überschrift "Zwischen Frosch und Beef" auf die zehnjährige Geschichte des Eurotunnels - bzw. des Kanaltunnels, wie die Briten sagen - Bezug genommen wird.
Mein Bezug auf diesen Artikel reicht auf den Beginn des Jahre 1986 zurück, genauer gesagt, auf den 12. Februar, an dem der "Fixed Link Teaty" zum Bau der insgesamt 3 Tunnelröhren in Canterbury, Kent unterzeichnet wurde.
In diesem Jahr pendelten meine Flieger im wöchentlichen Turnus zwischen Paris, London und Berlin, damit alle meine Jobs und privaten Verpflichtungen unter ein Dach gebracht werden konnten.
Als ich in einem dieser Flieger von Charles de Gaulle nach Heathrow aus der Zeitung von dem Vertragsabschluß erfahre, entschliesse ich mich noch am gleichen Tag mein erstes und einziges bis heute verbliebenes "Aktienpaket" zu ordern.
Der Wert dieser Aktie ist - und bleibt - bis heute ein symbolischer. Seit dem 1. Dezember des Jahres 1990 war es möglich, England (wieder:-) zu Fuß aus "vom Kontinent" aus zu erreichen - und vice versa. An diesem Tag wurde der Durchbruch zwischen den von beiden 40 Meter unter dem Wasserspiegel vorangetriebenen Tunnelröhren geschafft - mit nur 2 cm Abweichung von den Planungswerten.
WS.
BERLINER ZEITUNG, LONDON, 5. Mai. Vor 13 000 Jahren etwa trennten sich die britischen Inseln vom Festland - und seitdem ist jeder Annäherungsversuch ein Balanceakt. Auch wenn man heutzutage nicht mehr mit Kanonen aufeinander schießt wie zu Napoleons Zeiten, gehören Beleidigungen zum guten Ton. Es hebt offenbar den nationalen Wohlfühlfaktor, wenn sich "frogs" (Franzosen) und "les roast beefs" (Engländer) ein wenig necken. Insofern ist es erstaunlich, dass ein Projekt wie die feste Verbindung der beiden Länder, der Eurotunnel, überhaupt zustande kam. Schon am Sprachgebrauch merkt man die Differenzen: Während auf dem Festland der Begriff "Eurotunnel" gebräuchlich ist, spricht man in England öfter vom "Channel Tunnel", Kanaltunnel. Die Ablehnung des Euros sitzt eben sehr tief.
Am 6. Mai vor zehn Jahren wurde der insgesamt 50 Kilometer lange Tunnel, von dem 39 Kilometer unter dem Meeresspiegel verlaufen, von Königin Elizabeth II. und dem damaligen französischen Staatschef François Mitterand eingeweiht. Doch es wäre nicht die Geschichte einer französisch-englischen Kooperation, wenn sie nicht von Zwist und Animositäten und Größenwahn handeln würde. Zum Jubiläum steht die Betreiberfirma Eurotunnel kurz vor dem Konkurs, zu feiern gibt es deshalb wenig.
Drückende Schuldenlast
Der Bau des Prestigeprojekts erwies sich als langwieriger und kostspieliger als geplant. 1986 hatten die britische Premierministerin Margaret Thatcher und Mitterand den Vertrag von Canterbury unterzeichnet, der das Gemeinschaftswerk regelte. Dem waren jahrelange Verhandlungen voraus gegangen, mindestens ein Dutzend geplante Verträge wurden verworfen.
Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelten französische und englische Ingenieure Pläne für einen unterirdischen Tunnel zwischen der Grafschaft Kent und Nordfrankreich. An der schmalsten Stelle trennen die beiden Länder nur 28 Kilometer. Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnte die britische Regierung die Tunnelidee ab - aus Angst vor einer französischen Invasion. Später stritten Ingenieure auf beiden Seiten des Kanals über die ideale Konstruktion einer Verbindung, auch eine Brücke wurde in Erwägung gezogen. Schließlich entschied man sich für eine Konstruktion aus drei unterirdischen Röhren, von denen zwei für den täglichen Verkehr von Bahnen und Kraftfahrzeugen und eine als Servicetunnel genutzt werden sollten.
Sieben Jahre lang fraßen sich spezielle Tunnelbohrmaschinen 40 Meter unter dem Meeresspiegel vor und verbanden so den Ort Cheriton bei Folkstone in der englischen Grafschaft Kent mit Sangatte bei Calais in Nordfrankreich.
Der Eurotunnel mag bautechnisch ein Triumph sein, als Einnahmequelle ist er eine Enttäuschung. Zehn Jahre nach der Inbetriebnahme leidet die Betreiberfirma noch unter Schulden. Zwar läuft das Geschäft nicht schlecht, der operative Gewinn im vergangenen Jahr lag bei umgerechnet 258 Millionen Euro, aber die atemberaubenden Kosten der Zinsestilgung fressen jeden Profit. Der Schuldenberg beträgt derzeit immer noch rund neun Milliarden Euro. Um den drohenden Konkurs zu vermeiden, putschten vorrangig die französischen Kleinaktionäre Ende April den bisherigen Vorstandschef, den Briten Richard Shirrefs, aus dem Amt. An die Vorstandspitze wurde von den Rebellen der ehemalige Chef des Reisekonzerns Nouvelle Frontières, der Franzose Jacques Maillot, gewählt. Er bat bereits die Regierungen in Paris und London um Unterstützung, doch bisher blieben die Finanzminister hart. Derzeit arbeitet der neue Vorstand an einem Sanierungsplan, teilte der Sprecher des Unternehmens mit.
Keine größeren Unfälle
Die Ursache für das Debakel ist schlichte Fehlkalkulation: Der Eurotunnel generiert längst nicht so viel Einnahmen, wie in den Businessplänen prognostiziert. Zum einen sinkt die Nutzung des Hochgeschwindigkeitszuges Eurostar, der London mit Paris und Brüssel verbindet. Im vergangenen Jahr reisten 6,3 Millionen Menschen - weit weniger als die von Eurotunnel veranschlagten 16 Millionen Passagiere jährlich. Auch der Frachttransport, 1,7 Millionen Tonnen jährlich, liegt knapp zwei Drittel unter den Erwartungen. Das Geschäftsmodell habe versagt, stellte der Ex-Vorstandschef Shirrefs selbstkritisch fest.
Und was nun? Droht dem Tunnel, der von der American Society of Civil Engineers zu einem der modernen sieben Weltwunder erklärt wurde, gar die Schließung? Soweit wird es wohl nicht kommen. Der Eurotunnel ist inzwischen ein wichtiger Bestandteil des europäischen Verkehrsnetzes - und ein sicherer dazu. Dank starker Sicherheitsvorkehrungen haben sich größere Unfälle in den zehn Jahren nicht ereignet. Nicht zuletzt hat der Tunnel die Engländer auch ein bisschen näher an Europa gerückt: 80 Prozent der Reisenden stammen aus Großbritannien.