Heute: http://dmexco.de/ in Köln oder OVEGAMES in Berlin?
Die Entscheidung fällt für die OVERGAMES-Aufführung im Studio der Akademie der Künste am Hanseatenweg im Rahmen der Berlin Art Week 2015:
Dieser Besuch des Studios der Akademie schliesst sich an den Besuch der Aufführung vom 13. Juni 2015: Confusion/Diffusion: Was ist "Ein audiovisueller Essay"? .
Auch dieser Abend nimmt einen ungewöhnlichen Verlauf: Durch die Länge des Filmes. Und durch seine Anlage: Nein, dies sei kein "Raketenfilm" geworden, der in 40 Minuten direkt ins Ziel trifft, so Lutz Dammbeck im anschliessenden Gespräch auf der Bühne. Vielmehr sei es darum gegangen, gleich drei Geschichten zu erzählen. Und diese alle immer wieder mit dem Leitmotiv der "permanenten Revolution" zu verbinden.
Nein, sagt er weiter, vom "Kapitalismus" habe er nie gesprochen, sondern Bilder gezeigt von dem neuen Bürgertum, die zunächst die eigentlichen "Revolutionäre und Anarchisten" gewesen seinen.
Wir werden in seinen Rückblicken und Bibliotheksbesuchen konfrontiert mit dem Loch, das die Enthauptung von Ludwig XIV gelassen habe [1]. Und mit den missglückten Versuchen, dieses durch die Inszenierungen eines Robespierres und der Intronisierung (s)eines "Höchsten Wesens" zu ersetzen.
Wir lernen, was passiert, wenn so eine Show keine richtige "Bibel" hat - so lautet der Regelkatalog der Spielemacher - und nicht ausreichend in Probeläufen eingeübt worden sei, wenn sie keine einfachen Botschaften habe und keine Möglichkeit anbietet, sich als Zuschauer in die Lage der Mit-Spieler hinein zu versetzen.
Wir lernen die Macher der grossen US-amerikanischen-Spiele-Shows kennen, wir erfahren, was "Das Grösste Glück der Grössten Zahl" konkret für die Menschen in den USA, die darauf hoffen, bedeutet: Für die im Studio wie auch all die Anderen "an den Fernsehempfängern".
Wir erleben in diesem, wie Lutz sagt, "modernen Film", den authentischen Einblick in eine Branche - und was dahinter steckt. Und erleben den Autor, dass er darin noch viel mehr dahinter sieht als jene, die diese Produktionen via Bildschirm in die Wohnzimmer gebracht haben. [2]
All das erleben wir auf dem Hintergrund einer Branche, die aus Sicht des Autors nur noch bei den Fünfzig- bis Siebzigjährigen stattfindet. Bei jenen, die damals in den letzten Kriegsjahren oder kurz danach geboren wurden. In diesem Film geht es um diese "unsere" Leute und um die Mittel und den Zweck eines grossen US-amerikanischen Versuchs einer kompletten Umerziehung eines ganzen Volkes. Reeducation, das ist die Überschrift eines Versuchsaufbaus, dem eine ganze Nation unterworfen wurde - eben auch, damit sie den Glauben an sich selbst als Nation für immer und ewig verlöre.
Das spannendste Meta-Thema dieses Filmes aber ist, dass es gelungen ist, bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern und den Filmförderungsanstalten nach einer Reihe von Jahren soviel Geld zusammenzukratzen, um das Projekt schliesslich umzusetzen. Mit vielen beglückenden Vorgesprächen, einer überbordenden Menge an Material und Meinungen und einer Arbeitsweise, die fast zu einer Art Selbstläufer wird, die wie in "Trance" von statten geht und dann nur noch von den rund 60 Drehtagen allein im Atelier getoppt wird.
So entstand ein Film, der in dieser Länge gar nicht mehr so "richtig" ins Fernsehen passt. Wohl aber als "Sondervorführung" auf die Bühne dieses Hauses. Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Spricht er doch auch über die Ursprünge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland.
Er macht uns mit diesem Blick zurück deutlich, wie es zur Gründung der Rundfunkanstalten nach dem letzten Krieg gekommen ist - und von welchem Geist diese Gründungen getragen waren. Wenn heute überall in den Gremien um die Zukunft dieser "Anstalten" gerungen wird, dann geht es um noch viel mehr, als um neue Sendetechnik und die Folgen der Digitalisierung. Es geht um den Verlust des Publikums und der Mission, die nicht mehr länger allein aus der Nach-Kriegs-Geschichte abgeleitet werden kann.
Dass die ARD jetzt so einen Film finanziert hat, zeigt, dass sie erwachsen geworden ist. Dass sie ihn aber vielleicht noch weniger verstehen wird als das Publikum dieses Abends, ist wahrscheinlich. Dann dafür müsste man reif sein - für Veränderungen, die mehr abverlangen als eine neue Kosmetik oder eine grössere Menge an Pixeln.
"Overgame", dieser Titel bedeutet eben auch: Game over. Der deutsche - preussische - Patient bedeutet eben auch der Patient Deutschland. Es gibt Wirtschaftswunder und Pfingstwunder. Die, die sich auf den Weg in die Rekonvaleszenz gemacht und diesen erfolgreich begangen haben, stehen heute als "Gemachte Leute" da. Und wir erleben sie heute als Menschen, die Angst davor haben, jetzt noch einmal ein neues "Blaues Wunder" erleben zu müssen.