Nachfolgend der Überblick über eine Veranstaltung in München, die - trotz mehrfacher herzlicher Ansprachen - nicht hat besucht werden können. Dabei wurde im Vorfeld ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei dieser Veranstaltung auch den Stimmen aus dem Publikum viel Zeit eingeräumt werden soll.
Und es ist klar, dass bei diesem Thema es nicht bei einer still-schweigenden Berichterstattung geblieben wäre.
Es hätte nur einen Grund gegeben, allen Widerständen zum Trotz, dennoch dieser Veranstaltung beizuwohnen: Wenn es das Angebot zu einem Streit-Gespräch mit Cherno Jobatey gegeben hätte.
Lesen Sie also an dieser Stelle was das Programm dieses Tages anbietet und was danach von Seiten des Veranstalters in der Presse-Erklärung ab dem 21. Mai 2015 besonders herausgestellt wurde:
Medienindustrie neu interpretiert – vom klassischen Content zum Consumer-Web
09:15 Begrüßung durch MÜNCHNER KREIS und IBC sowie IDG
– Prof. Dr. Michael Dowling, Universität Regensburg, IBC und MÜNCHNER KREIS
– Michael Beilfuß, IDG Business Media GmbH
09:30 Einführung in das Thema: Inhalte, Medien und das Selbstverständnis der Medienbranche
– Prof. Dr. Thomas Hess, Ludwig-Maximilians-Universität München, IBC
und MÜNCHNER KREIS
10:00 Keynote I:
Computation and innovation in journalism: A view from The New York Times
– Sarah Cohen, New York Times / Columbia University
Block I: Digitale Wertschöpfungssysteme und die Medienwirtschaft
Moderation: Dr. Mathias Wahrenberger, Burda Digital GmbH
Teilnehmer:
• Prof. Dr. Alexander Benlian: Best Practice im Plattformmanagement
Technische Universität Darmstadt
• Cherno Jobatey: Nutzerintegration in die Wertschöpfung: Beispiel Huffington Post
Huffington Post Deutschland [1]
• Dr. Christoph Schneider: Content-Plattformen und lineares TV: Erfahrungen
Amazon Instant Video Germany GmbH
11:15 Input-Statements der Teilnehmer
11:45 Diskussion auf dem Panel und mit den Teilnehmern
13:00 Keynote II: Digitalisierung „At a Glance“
Dr. Christian Wegner, ProSiebenSat.1 Media AG, München
Block II: Datenbasierte Geschäftsmodelle und die Medienwirtschaft
Moderation: Prof. Dr. Martin Spann, Ludwig-Maximilians-Universität München
Teilnehmer:
• Dr. Markus Eberl:
Best-practice der Auswertung großer heterogener Datenmengen: Dos and don’ts
TNS Deutschland GmbH
• Gerhard Thomas: Big Data in der klassischen Verlagslandschaft
Burda Direct Services GmbH
• Thomas Mendrina: Real-Time Pricing: Modelle für den User-Markt?
Google Deutschland GmbH
• Dr. Alexander Duisberg: Rechtlicher Rahmen der Auswertung großer Datenmengen Bird&Bird LLP
13:45 Input-Statements der Teilnehmer
14:30 Diskussion auf dem Panel und mit den Teilnehmern
15.30 Keynote III: Studio71 als Beispiel für ein Startup im Content-Bereich
– Dr. Sebastian Weil, Studio 71
Block III: Digitales Leben und die Medienwirtschaft
Moderation: Dr. Alexandra Borchardt, Süddeutsche Zeitung
Teilnehmer:
• Tony Douglas: Content-Dienste im vernetzten Auto
BMW AG
• Holger Knöpke: Content im vernetzen Haus am Beispiel Qivicon
Telekom AG
• Thomas Hinrichs: Trimedial und digital – News Content auf allen Kanälen (BR)
Bayerischer Rundfunk
16:15 Input-Statements der Teilnehmer
16:45 Diskussion auf dem Panel und mit den Teilnehmern
17:15 Verabschiedung
– Prof. Dr. Michael Dowling, Universität Regensburg, IBC und MÜNCHNER KREIS
Content User is king! – Wie die Digitalisierung die Grundfeste der Medienwelt in Frage stellt
München, 21. Mai 2015 – „Content is king“ – mit diesem Zitat von Bill Gates aus dem Jahre 1996 lässt sich die Medienwelt heute sicherlich noch treffender beschreiben als damals. Nur dass der Content heute nicht mehr ausschließlich von den Medien bereitgestellt wird, sondern sich im Zuge der Digitalisierung neue Player und somit Content-Lieferanten etabliert haben. Dazu gehören Blogger, die Nutzer selbst und Unternehmen ebenso wie YouTube- Stars. Content wird zudem in völlig neuen Umfeldern genutzt – wie dem Smart Home oder dem vernetzen Auto. Die Medienunternehmen selbst sind mittlerweile Teil des Consumer Webs geworden. Auf der Fachkonferenz des MÜNCHNER KREIS und des Internet Business Cluster (IBC) diskutierten Experten aus Medienwelt, Wirtschaft und Wissenschaft unter dem Titel „Medienindustrie neu interpretiert – vom klassischen Content zum Consumer Web“ die bereits offenkundigen und zukünftigen Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Medienbranche. Bewusst ging der Fokus über viel diskutierte Themen wie etwa Cross-Media hinaus.
Wohl mehr als jede andere Branche hat die Digitalisierung heute schon die Medienindustrie erfasst und wird sie in ihrer Entwicklung auch weiterhin stark beeinflussen. Prof. Dr. Thomas Hess von der Ludwig-Maximilians-Universität München identifizierte in seiner Einführung verschiedene Herausforderungen für die Medienschaffenden: Der Computer nimmt immer neue und weitreichendere Aufgaben wahr und generiert als Roboterjournalist zukünftig auch Inhalte. Darüber hinaus entsteht eine zweite Generation von Medienunternehmen, die optimierte Inhalte produzieren und einen Plattform-Ansatz verfolgen, der die Nutzer miteinbezieht. Medien werden zukünftig nicht mehr ausschließlich für die Verbreitung von Content genutzt, sondern auch für private Kommunikation (Facebook, Skype) oder e- Commerce (Amazon, ebay). Die steigende Mediennutzung kommt damit nicht mehr automatisch den Medienunternehmen zugute. Eine weitere bedeutende Herausforderung ist die Entstehung von neuen Anwendungskontexten für Inhalte wie das vernetzte Haus oder Auto. Ein ganz anderer Aspekt ist die umstrittene Sammlung von Nutzerdaten. Die immer umfassendere Aufzeichnungen von Datenflüssen bietet einerseits neue Chancen der Personalisierung von Inhalten und Werbung, andererseits gehen mit diesen Optimierungen kritische Themen einher, wie eine abnehmende Privatsphäre, potenzieller Datenmissbrauch und der „gläserne Kunde“. Chancen und Risiken der Digitalisierung würfen laut Thomas Hess in unterschiedlichsten Bereichen Fragen auf, wie die nach den künftigen Erfolgsfaktoren für Medienunternehmen, der Identifikation von Konkurrenten aber auch Partnern oder die Frage nach der Notwendigkeit der Transformation bestehender respektive der Gründung neuer Unternehmen im Medienbereich. Die Referenten und Teilnehmer diskutierten diese Aspekte auf der Fachkonferenz in drei verschiedenen Themenblöcken.
„Snow Fall“ – multimediales Storytelling par excellence
Vorab gab Sarah Cohen, Redakteurin im Team für Datenjournalismus der New York Times und Professorin für Journalistik an der Columbia University, in ihrer Keynote spannende Einblicke, wie sich die renommierte amerikanische Tageszeitung der digitalen Transformation erfolgreich stellte. Mit dem multimedialen Feature „Snow Fall“ setzte die Zeitung bereits 2012 Maßstäbe, die auch deutsche Medien dazu animierten, sich mit multimedialem Storytelling zu befassen. Mit ihrem „Innovation Report“ adressierte die New York Times 2014 in einem interdisziplinären Projekt kritisch die eigene Digitalisierung und versuchte zu ergründen, wie die Leserschaft weiterhin erreicht werden könne. Dazu baute das Medium eine sogenannte Audience-Engagement Abteilung auf und setzt auf Facebook-
Chats mit der Leserschaft sowie Tweets über die Hintergründe einer Geschichte. Die reine Bereitstellung von Content reiche nicht mehr aus, Medien müssten heutzutage aktiv auf die Leserschaft zugehen, brachte Sarah Cohen es auf den Punkt. Eine gute (multimediale) Geschichte erfordere heute nicht mehr nur eine fundierte Recherche, sondern auch die Auswertung von großen Mengen an Daten.
Fehler müssen erlaubt sein
„Der technische Fortschritt beeinflusst die inhaltliche Aufbereitung“, wusste auch Cherno Jobatey, Herausgeber der Huffington Post Deutschland und Journalist beim ZDF, in seiner Keynote zum ersten Themenblock „Digitale Wertschöpfung und die Medienwirtschaft“ zu berichten. Er sprach von einem neuen „solution-oriented journalism“, der sich mehr um seine Leserschaft kümmern und auch Lösungen bieten müsse, anstatt ausschließlich Informationen bereitzustellen. Etablierte Medien hätten eigentlich keine andere Wahl, als sich der neuen, durch die Digitalisierung entstandenen Kultur zu stellen. Andernfalls würden neue Player traditionelle Rollen übernehmen, wie man es im Fiction-Bereich gerade mit Netflix und Amazon verfolgen kann.
Datennutzung, Mobile und Globalisierungseinflüsse – das seien die Faktoren, die unsere Fernsehlandschaft heute veränderten, stellte Dr. Christian Wegner von der ProSiebenSat.1 Media AG in seiner Keynote „Digitalisierung ‚at a glance‘“ fest. „Die Wertsteigerung der vier Internetfirmen Google, Apple, Facebook und Amazon hat in den vergangenen fünf Jahren stetig zugenommen und ist mittlerweile doppelt so hoch wie die aller DAX 30 Unternehmen zusammen im gleichen Zeitraum“, erklärte Wegner. Als wichtigste Erfolgsfaktoren für die Digitalisierung determinierte er Kompetenzen in den Bereichen Technologie und Daten auszubilden, lokal mit globalen Playern zu konkurrieren, intelligente Partnerschaften einzugehen sowie – als wichtigsten Faktor – offen mit Fehlern umzugehen. Wegner hielt fest:
„Fehler machen – das muss erlaubt und sogar willkommen sein, um aus ihnen lernen zu können.“ ProSiebenSat.1 stelle sich der Digitalisierung, indem das Unternehmen ungenutzte Werbekapazitäten – im Wert von rund einer Milliarde Euro – zu verwerten versuche. Dafür ließen sich vorhandene Inhalte verwenden oder international agierende Unternehmen würden beim Zugang zu lokalen Kunden unterstützt. Eine weitere wichtige Maßnahme seien Investments in Wachstumsmärkte getreu dem Motto „Media for Equity“. Das Münchner Unternehmen übernahm so beispielsweise 2013 den Erlebnisanbieter MyDays.
Wie aus Big Data Smart Data wirdAuch im zweiten Panel „Datenbasierte Geschäftsmodelle und die Medienwirtschaft“ waren sich die Teilnehmer einig, dass es der Mut zum Scheitern sei, der den Unterschied zwischen Europa und dem Silicon Valley ausmache. Die Krux sei es, die vielen Daten, die zur Verfügung ständen, sinnvoll zu verwerten und die richtigen Fragen zu stellen, um geschäftsrelevante Erkenntnisse aus ihnen zu generieren. Dr. Markus Eberl von TNS Infratest erklärte anschaulich: „200 Gigabyte können für ein Unternehmen wertlos oder unschätzbar wertvoll sein – es kommt auf den Inhalt dieser 200 Gigabyte an.“ Die richtige Fragestellung spiele dabei eine entscheidende Rolle. „Wir haben die Aufgabe aus Big Data Smart Data zu destillieren“, führte Eberl weiter aus. Dazu benötige man die richtige Kombination aus Technik und menschlicher Analysefähigkeit. Features, auf die es auch beim sogenannten Real Time Bidding ankommt, über das Thomas Mendrina von Google berichtete. Dieser Verkauf von digitaler Werbung in Echtzeit verändert den Werbemarkt tiefgreifend und die Nutzerprofile spielen eine immer entscheidendere Rolle. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum waren Daten deshalb auch das größte Thema. Die Teilnehmer erörterten das kontroverse Sujet Datenschutz und die Möglichkeit, die Nutzer am Profit, der mittels ihrer Daten generiert wird, zu beteiligen.
„Make it snackable“
Als Beispiel für ein Start-Up im Content-Bereich stellte Dr. Sebastian Weil (Studio 71) in seiner Keynote die Arbeit eines neuen Broadcasters der Online-Video-Welt – eines sogenannten Multi-Channel-Networks – vor. Inhalte produzieren, aggregieren und
vermarkten – das seien die Kernaufgaben von Studio 71. Die Herausforderung sei es vor allem, die Inhalte im World Wide Web auffindbar zu machen. „‚Trial and Error‘ ist ein wichtiges Credo bei uns im Unternehmen. Das unmittelbare Feedback der Nutzer spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle, um unsere Produkte zu optimieren“, erklärt Weil. Studio 71, ein Tochterunternehmen der ProSiebenSat.1 Media AG, unterstützt unter anderem die Content-Distribution und Vermarktung seiner Partner über Drittplattformen wie YouTube. Dabei bringt das junge Unternehmen YouTube-Stars wie Gronkh, der Computerspiele spielt, sich dabei filmt und diese Videos auf YouTube hochlädt, und Marken zusammen.
In der dritten Diskussionsrunde „Digitales Leben und die Medienwirtschaft“ erfuhren die Teilnehmer von Holger Knöpke (Deutsche Telekom AG), wie es um die Entwicklungen in der Heimvernetzung steht. „Wir haben erkannt, dass wir US-Plattformen auf dem Smart Home- Markt besser entgegnen können, wenn wir uns mit Partnern zusammenschließen und unsere Stärken bündeln. Bei unserer Plattform Qivicon sind wir unter anderem Partnerschaften mit Energieversorgern und Geräteherstellern eingegangen, um den Kunden bestmögliche Dienste zu bieten“, so Knöpke. Der Datenschutz darf als Basis der Vernetzung hierbei nicht vernachlässigt werden, betonte der Telekom-Experte.
Wie sich eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt der Digitalisierung stellt, skizzierte im Anschluss Thomas Hinrichs vom Bayerischen Rundfunk (BR). Einer der wichtigsten Aufträge der Öffentlich-Rechtlichen sei auch in Zeiten der Digitalisierung die Herstellung von Kohärenz in der Gesellschaft, damit Themen über alle Generationen hinweg und durch alle Gesellschaftsschichten hindurch diskutiert werden könnten. Das Silicon Valley gebe die Geschwindigkeit vor und der Bayerische Rundfunk müsse nachziehen. Hinrichs betont: „Wir brauchen einen Digital Mindset. ‚Make it snackable‘ heißt die Devise. Das neue Zauberwort ist Digital Story Telling.“ Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten müssten ihre distanzierte Haltung ablegen und mehr auf die Bedürfnisse des Publikums eingehen. „Die sozialen Medien können uns dabei helfen den Dialog mit dem Publikum aufzunehmen und zu erfahren, was von uns erwartet wird“, so Hinrichs weiter. Trotz allem bleibe die Qualität oberstes Ziel beim BR, vor allem in den Bereichen Einordnung von Inhalten, Analyse und Erklärung müsse der BR am besten sein. Die Trimedialität sei längst erreicht, denn Online spiele mittlerweile eine ebenso zentrale Rolle wie Fernsehen und Radio. Hinrichs ergänzte:
„Wir wollen unserem Publikum Lotsen sein in der digitalen Welt. Dabei müssen wir Medienmacher genauso lern- und veränderungsbereit bleiben wie die Medienkonsumenten.“Bleibt zu hoffen, dass sich dieser Satz Hinrichs zum Motto des digitalen Wandels der Medienbranche aufschwingen wird. Die New York Times hat es vorgemacht und Deutschland muss nachziehen: Wegschauen oder die Veränderungen kleinreden war gestern. Heute heißt es sich der voranschreitenden Digitalisierung zu stellen. Die Nutzer dürfen dabei nicht vernachlässigt werden. Gerade sie spielen zunehmend eine entscheidende Rolle. Prozesse und Geschäftsmodelle müssen hinterfragt werden. Selbstdisruption ist das Stichwort. Nur so kann die alte Medienwelt im neuen Zeitalter bestehen.