Berlinale 2015/8 Frauen Filme Französinnen

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 16. Februar 2015 um 23 Uhr 31 Minuten

 

Werkstattgespräch über Gleichberechtigung in der Filmbranche

Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW), offizieller Partner der Berlinale, und die Perspektive Deutsches Kino laden im Rahmen der 65. Berlinale zu einer öffentlichen Diskussion über die Gleichberechtigung der Geschlechter im deutschen und französischen Filmbetrieb ein. Denn die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Magere elf Prozent der Sendeminuten im deutschen Primetime-Programm der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender stammen von Regisseurinnen. Im Kinobereich sind es mit 22 Prozent nur geringfügig mehr. Ist es also Zeit für eine Frauenquote im Filmbetrieb?

Werkstattgespräch am 12. Februar 2015 von 15:00 bis 16:30 Uhr in der Deutschen Kinemathek (4. OG), Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin, mit Übersetzung ins Deutsche und Französische.

Moderiert wird die Diskussion von Frédéric Jaeger, Chefredakteur von critic.de.

Auf dem Podium sitzen:

Julie Gayet
Die französische Schauspielerin und Produzentin gab ihr Berlinale-Debüt 1994 in A la belle étoile von Antoine Desrosières. Es folgten zahlreiche weitere erfolgreiche Spielfilme. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Mathieu Busson drehte sie 2013 die Dokumentation Cinéast(e)s über die Erfahrungen von 20 Regisseurinnen.

Axelle Ropert
Die Französin machte sich vor allem als Journalistin und Filmkritikerin einen Namen. Sie schreibt unter anderem für das Filmmagazin La Lettre du cinéma sowie Les Inrockuptibles. Darüber hinaus ist Ropert als Drehbuchautorin und Regisseurin tätig – oft in Zusammenarbeit mit ihrem Mann, dem Regisseur Serge Bozon.

Claudia Tronnier
Die Medienwissenschaftlerin Tronnier kam 1990 zunächst als freie Mitarbeiterin zum ZDF-„Das kleine Fernsehspiel“ und betreute dort unter anderem die Berlinale-Filme Sehnsucht (Re: Valeska Grisebach, Wettbewerb 2006) oder Töchter (Re: Maria Speth, Forum 2014). Seit 2008 ist Tronnier Redaktionsleiterin vom ZDF-„Das kleine Fernsehspiel“.

Annekatrin Hendel
Die Berliner Mitinitiatorin des „Theater 89“ ist als Produzentin, Regisseurin und Drehbuchautorin tätig. 2011 zeigte sie Vaterlandsverräter in der Perspektive Deutsches Kino und war 2014 mit Anderson im Panorama vertreten. Seit 2001 ist Hendel Mitglied der Deutschen Filmakademie.

Beim - pünktlichen Eintreffen - ist der Saal schon brechend voll. Und es stehen Frauen vor dem Podium und sprechen bereits über das Thema. Und angeblich sei zu diesem Thema auch schon ein Film gezeigt werden... und dann sprechen die Generalsekretäre aus Frankreich und aus Deutschland.

Hier einige Sätze, die im Gedächtnis verhaftet sind:

— Auch in Deutschland gibt es eine grosse Reaktion... mit 260 Regisseurinnen, die bislang unterschrieben haben. Sie sind in öffentlich-rechtlichen TV nur mit 11% der Aufträge vertreten.

— Das Kino ist am deutlichsten sex-spezifisch aufgestellt. Und dass man in diesem oft erotisierenden Genre deutlich mehr Frauen auf der Leinwand erlebt, als Männer, ist als solches noch keine Problem. Der "Bechtel"-Test fragt, ob die Frauen in den Filmen über andere(s) sprechen, als die Männer.

— Es geht nicht um "Frauenfilme", sondern um die FilmarbeiterINNEN. "Ich habe gar nichts dagegen, dass der deutsche Film erotischer wäre."

— Als Redaktionleiterin in einer Redaktion zu arbeiten ist von Bedeutung, da es auch früher gar keine Redakteurinnen gab. Oft lassen sich Autorenschaft und Regie gar nicht voneinander trennen. "Ich habe mich gefreut, zu diesem Thema eingeladen worden zu sein, aber ich bin keine Expertin".

— Als Produzentin komme ich gerade aus dem Scheideraum ... und bin auch keine Expertin. Entscheidend ist nicht die Frage nach dem Geschlecht, sondern danach, was das Ergebnis sein soll.

— Wenn endlich mehr Frauen Filme machen könnten, hätte man es leichter, auch den Film von einer Frau schrecklich zu finden.

— Filmemachen ist auch irgendwo eine Orgie. Und ich finde diese Diskussion über dieses Thema total unerotisch.

— In der Kalkulation kann man auch Extras für Frauen verhandeln. Und dazu gehört auch die Kinderbetreuung.

— Zahlen: 22% der "Zeigeminuten" sind im Kino von Frauen gemacht. Abgeschlossen an der Schule haben über 40%. Registrierte Regisseurinnen in Deutschland: gut 30%
In Frankreich ist der mittlere Wert, 3.45 Mio Euro, bei Männern, über 5 Euro pro Budget.
Regisseurinnen werden 31,5% schlecher bezahlt als ihre männlichen Kollegen.

— Der Kultusminister hat nun beschlossen, dass sich auf jede Position zwei Männer UND zwei Frauen bewerben müssen. Und das haben schon jetzt zu einem signifikanten Anstieg geführt.

— Als Organisator von Filmfestivals brauche ich keine Quote. Ich habe auch ohne diese eine grosse Zahl von Regisseurinnen.

— Fakt ist, dass nach dem Debut-Filmen die Abbrecherquote bei Frauen viel höher ist als bei den Männern.

— Ich bin tendenziell schon für eine Quote, weil sich sonst erst in tausend Jahren was verändern wird.

— Die Filmkust ist kein HandwerkerInnen-Beruf.

— Viele nicht-arbeitende Frauen sind das Thema, nicht die, die schon im Beruf sind.

— Die französische Frau ist nach wie vor im Kino: die Heroine. Und die Frauen sind immer noch die Schöneren von beiden Geschlechtern.

— Frauen sind keine Minderheit. Wenn wir eine Quote für Frauen schaffen, sagen wir dann nicht, dass es die Frauen alleine nicht schaffen? Aber mit einer Quote haben wir vielleicht die Chance, "dem System" endlich Beine zu machen. Quoten sind vor allem wichtig: in den Entscheidungsgremien.

— Es gibt im Film keine männliche und eine weibliche Sensibilität. Aber Frauen werden kaum nach ihrer Regiearbeit befragt - im Gegensatz zu den Männern.

— Es ist nicht unsere Aufgabe, charmant zu sein, um unsere politische Forderungen durchzusetzen. Und manchmals bedarf es der Brechstange, um die Forderungen durchzusetzen.

— Die Quote ist eine Krücke. Seit der Entstehung des Privatfernsehens ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen das Nadelöhr. Und das ist - inhaltlich - immer enger geworden. Und die 42% der Frauen, die die Ausbildung abgeschlossen haben, kommen dennoch nicht an. Warum?

— Warum soll die Kunst darunter leiden, wenn es mehr Filme von Frauen gibt?

— "Je suis hyper-feminist"... und dennoch glaube ich nicht, dass das Recht, Kino zu machen, das jedem zugestanden werden sollte. Das ist schockierend? Ja. So ist es.

— Es geht nicht darum, dass mit mehr Frauen die Niveau der Produktion sinken würde, es geht um die Ressourcen.

— Für das Fernsehen braucht man technisches Verständnis - für das Kino muss man ein Genie sein.


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