Fr: L’ARBORE DI DIANA | Sa: WEISSE WÜSTE

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 22. Februar 2015 um 19 Uhr 27 Minuten

 

An diesem Wochenende gibt es in München zwei neue Einstudierungen zu besichtigen:

Am Freitag die Premiere des Studiengangs Musiktheater/Operngesang bei der Bayerischen Theaterakademie August Everding
L’ARBORE DI DIANA [Drama docoso in zwei Akten
Eine Komische Oper des Mozart-Zeitgenossen Vicente Martín y Soler mit einem Libretto von Lorenzo da Ponte
Musikalische Leitung: Paolo Carignani
Inszenierung: Balázs Kovalik
 [1]
In Kooperation mit dem Münchner Rundfunkorchester

Und am Samstag die erste Aufführung nach der Uraufführung des Studiengangs Regie der Bayerischen Theaterakademie August Everding
WEISSE WÜSTE
Schauspiel von Laura Schubert
vom 19. Februar 2015 im Akademietheater
Regie Annalena Maas (3. Jahrgang Regie)
Bühne und Kostüme: Bettina Kirmair
Dramaturgie: Antonia Tretter

Doch dazu später: Denn zunächst an dieser Stelle der Aufruf, sich "L’arbore di Diana", dieses wunderbare Spektakel grosser Stimmen von noch jungen Leuten mit hohen Ambitionen und grossem Können, nicht entgehen zu lassen.

Dieser Aufruf ist vor allem an jene gerichtet, die der Meinung sind, dass die Arbeit an solchen Ausbildungshäusern immer noch mit dem Mantel der Toleranz zu überdecken sei, um darunter dann das Potential der Protagonisten entdecken zu können.
Und auch an jene, die mit der "klassischen Musikszene" der Mozart-Zeit eigentlich nicht viel anzufangen wissen, denen die Geschichten von Göttern und Inseln reichlich egal sind - und auch das ewige Techtelmechtel, in dem es um nichts anderes geht als die Liebe.

Denn was hier gelungen ist, das ist der Versuch, all diese klassischen Themen einer anderen Zeit in die "Welt von heute" mit ihren aktuellen Bezügen und Requisiten zu übersetzen. Das Kostüm des - wunderbar gesungenen - Amor zum Beispiel wird in dem - hervorragend in Form einer Zeitschrift à la "Bravo" aufgemachten - Programm in all seine Einzelteile zerlegt und mit der Überschrift "DEIN AMOR-LOOK unter 130 €" zur Disposition gestellt.

Will sagen: Auch ein Amor, das könn(t)en Leute sein wie Du und ich. Selbst wenn der Amor sich im Laufe der Vorstellung mit all den Protagonisten zum Gruppenbild aufstellt und dieses in Form vielfältiger Handy-Fotos auf den Chip gebannt wird, ist dieses Aktualisierung statthaft. Weil, ja weil sie nicht das Wesentliche dieser Aufführung verdrängt, sondern in den Facetten und Gadgets unsere Zeit widerspiegelt.

Denn eigentlich, sagen wir’s frank und frei heraus, ist das Libretto ein fast un-möglicher Stoff: von einer Göttin und ihrer Insel, von Männern mit Macho-Allüren und Elfen im Liebestaumel.. und es erscheint geradezu notwendig, all dies in das Heute zu verlegen, um zumindest noch andeutungsweise verstehen und nachvollziehen zu können, wie damals stage-entertainment funktionierte.

Aber diese Identifikationsmomente sind mehr als nur aufgesetzt, die Spielfreude ist echt, der Team-Spirit glaubhaft... und all das - und noch vieles mehr, was hier an dieser Stelle nicht lobend aufgeführt werden kann - führt dazu, dass wir uns in die tiefergreifenden und wirkenden Konflikte vertiefen können, die entstehen, wenn eine Göttin, Herrscherin über die Elemente und Kräfte der Natur, in sich selbst Elemente und Kräfte entdeckt, die eher der Natur des Menschen zuzuschreiben sind.

Zu erleben, wie sie davon so verwirrt wird, dass sie sich erschiesst - um dann auf wundersame und in der Inszenierung nicht erklärte Weise weiterleben zu können - ist toll! Es ist gute Unterhaltung. Denn sie hält uns den Spiegel vor. Uns, die wir sonst immer nur im Spiegel der Monitore (auf der Bühne noch als Gehäuse an der hinteren Bergwand ausgestellt) und der Werbebanner (als Teil der Bühnenbildkonstruktion in vielfältiger Form und Farbe zur Geltung gebracht) "unsere" zu eigen gemachte Welt erkennen. [2]

Unterstützt von einer ausgeklügelten Lichtregie wird ins Licht gesetzt, was uns im Alltägliche schon längst qua Verblendung ausgetrieben wurde: die frohgemute Erkenntnis von der Machbarkeit des Glücks.

Achtung: Das Ganze wird auf Italienisch gesungen. Das macht frei, auch einmal das verstehen zu dürfen, was man an der einen oder anderen Stelle selbst gerne herausgehört hätte. Wer es aber ganz genau wissen will, was da auf der Bühne "gesagt" wird, hat die Möglichkeit, all dies in einer Art Über-Titel-Projektion auf deutsch mitzulesen: Einschliesslich einem "POW", wenn geschossen wird, und der Aufforderung, den Refrain mitzusingen: Dieses dann aber auf Italienisch!

"Che bella sorpresa, grazie!"

So und jetzt - ohne dass dieser Text in unerträgliche Längen ausartet - doch noch einige Zeilen zu der bemerkenswerten Leistung der beiden Schauspieler Leonie Merlin Young und Simon Heinle in dem Schauspiel von Laura Schubert: WEISSE WÜSTE in der Regie von Annalena Maas.

Wie gut, dass wir uns an diesem Samstag zuvor die Zeit genommen haben, um zuzuhören, was uns die Dramaturgin Antonia Tretter zu sagen hatte. [3] Ihre Ausführungen über die Entstehung des Textes, die Motivationen, die besonderen Herausforderungen, der Verzicht auf viele der "klassischen" Mittel einer Theater-Erzählung gaben eine gute Möglichkeit, sich wirklich neugierig und zugleich unbefangen auf diesen Theaterabend einzulassen.

Und da diese Zeilen nicht den Anspruch - und die allzu oft lähmende Wirkung - einer Theater-Kritik erheben, hier stattdessen einige Notate zu dem Erlebten:
— Toll: Die Torte. Wer sich mit dem Thema der Depression, der fehlenden Orientierung in einer Überflussgesellschaft, dem Unvermögen, der Allgegenwärtigkeit des "Überkandidelten" etwas entgegenzusetzen zu können, wer sich so mutig und entschieden mit diesen Themen auf der Bühne auseinandersetzen will, muss dafür ein dreidimensionales Bild finden, das funktioniert. Und diese Torte tut das.
— Das Ständig-Reden-Wollen der Einen und das Nicht-Reden-Können des Anderen führen dazu, dass ihre Dialoge sich wie Monologe an uns wenden und ihre Monologe als versteckte Hilferufe für einen Dialog mit dem/der Anderen erlebt werden. Und auch das ist ein Erlebnis, selbst wenn es sich nicht in der traditionellen Darstellungswelt eines Bühnenerlebnisses einfangen und vermitteln lässt.
— Der Versuch, die persönlichen Befindlichkeiten ob dieser Welt des Überflusses - und der Unmöglichkeit, all den sich bietenden Möglichkeiten etwas Eigenes abgewinnen zu können - eine eigene verdichtete Antwort entgegenzusetzen, ist in sich schlüssig. Aber diese im dialogue de sourds entdeckte Selbstverständigung über das eigene Befinden, sie gelingt um den Preis, als Inszenierung nicht mehr unmittelbar verständlich zu sein, sich verständlich machen zu können. Dieses dennoch versucht zu haben, ist das grosse Privileg einer "Probebühne". Und das Angebot, diesen Prozess öffentlich zu machen - selbst wenn es sich hier eher um ein friends-&-familiy-Angebot handeln mag, ist richtig und gut so.
— Doch auch als Aussenstehende werden wir durchaus in das Geschehen einbezogen und mitgenommen; wenngleich auch auf eine ganz andere Art und Weise, als erwartet: Durch minuntenlanges, fast provozierendes Anschweigen in Folge der davor ausgesprochenen Behauptung, dass "Die Anderen" an dieser Misere Schuld seien, die wir da auf dieser Top-Torte erleben, also wir, die Zuschauer, das Publikum: Weil wir nicht eingreifen?
Oder durch eine fetzende Techno-Nummer, die die beiden Akteure vollständig in Bewegung hält, jede(n) auf seine Art und Weise (und wer sich davon ansprechen lässt, wie der Autor dieser Zeilen, den Zuschauer auch).
— An dieser Stelle ein grosses Lob nicht nur für das dreidimensionale Bühnen-"Bild", sondern auch für das Sound-Design dieser Aufführung. Es ist wirklich eine Freude mitzuerleben, wie die technisch hochwertige Ton-Ausstattung des Bühnenraumes auch wirklich zu einem guten Einsatz gebracht wird. Das gilt auch für die sehr expressive Mikro-Loop-Nummer der Schauspielerin, vielleicht auch für die kleine e-Piano-Darbietung des Schauspielers, das gilt aber vor allem für den lupenreinen und durchsichtigen Bassdrive im Verlauf der "Tanzeinlage", der mit kalkulierter Präzision und hochdynamischer Anmache daherkam: vom Feinsten!

So, wie gesagt, soweit diese Notate anstatt einer herkömmlichen Kritik: Schon gar nicht bei einem solchen Projekt, das den un-möglichen Diskurs in Szene setzt und eben daher einen Dialog erfordert und herausfordert: mit der Einführung davor ebenso wie einem Gespräch danach, wozu dieser Beitrag hier verfasst worden ist.

"LIFE IN A LOOP".
Wäre dieser Text für eine Zeitung der herkömmlichen Art verfasst worden (wobei es schwer fällt zu glauben, dass sich eine Redaktion einen solchen Text zu eigen gemacht hätte), hätten diese Zeilen mit dieser Überschrift versehen werden können.

Anmerkungen

[1"Balázs Kovalik, international renommierter Regisseur und Studiengangsleiter des Master-Studiengangs Musiktheater/Operngesang erhält in diesem Jahr den diesjährigen Moholy-Nagy-Preis der Moholy-Nagy Universität für Kunst und Design für sein Lebenswerk. Mit diesem Preis werden seit 2006 herausragende Persönlichkeiten geehrt, deren künstlerische Arbeit eng mit der Universität verbunden ist."

[2Beim sich anschliessenden Nachdenken über Dramaturgie und Inszenierung tun sich dann eine Reihe von Fragen auf, die sich auch bei der wechselnde Perücken auf, steht das im Zusammenhang mit ihrem unterschiedlichen Gemütszustand? Warum packt Amor seine "Äpfel", oder Rückbesinnung auf das Erlebte nicht beantworten lassen. Einige von diesen werden hier noch gestellt werden, aber sie alle sind keine Grund, dass das Erlebte dadurch "Schaden" genommen hätte: Warum haben die Elfen was immer er da in seiner Gemüsekiste mit sich herumträgt, in Goldpapier ein, bevor er sie verteilt, und warum gelingt es jenen, die sie erhalten, dieses wieder zu entfernen, bevor sie diese dann als "Geschosse"(?) zum Einsatz bringen? Wo kommen plötzlich die Waffen her, die auf der Insel zum Einsatz gegen die Eindringlinge gebracht werden sollen (dass diese ihre Smartphones mit auf die Insel gebracht haben, mag ja noch angehen)? Wo und wann wird überhaupt einmal deutlich gemacht, dass sich die ganze Szenerie auf einer Insel abspielt (gewiss, diese Frage ist immer noch geprägt von der Inszenierung des "Sturms" Ende der 60er Jahre an den Bühnen der Freien und Hansestadt Bremen)? Wenn schon auf der Hinterbühne dieser Mont Klamott-Berg aufgebaut und mit Auf- und Abgängen bespielt wird, warum dann nicht auch das Gipfelkreuz? Vor allem aber: Warum steht der für den Titel des Stückes bezeichnende Baum als eine Art Palme in der Szenerie herum, ohne je wirklich in das Spiel mit eingebunden zu werden (allenfalls um sich dahinter mal zu verstecken, wobei auch das kaum einsichtig ist, wie das wohl funktionieren kann...); auch die zeitweise illuminierten Früchte unterhalb der Palmenwedel gaben dem Ganzen nicht das vom Titel her angekündigte Gewicht. Und vor allem: wo und wann wird - für die in all diese Welt des Altertums nicht Eingeweihten - deutlich, dass dieser komische Typ mit seinem leeren Obstkasten und die Frau im Schottenrock, die aussieht wir ihre Begleiterinnen, zwei Götter sind - und miteinander im Streit?
Die Frage nochmals auf einem abststrakteren Niveau gestellt: Wenn man es bewusst und mit Vergnügen unternimmt, gegen die klassischen Bilder und Bedeutungen einer solchen Oper anzuspielen, geht man aber immer noch davon aus, dass diese mehr oder weniger bekannt sind. Kann man das aber wirklich noch bei den Youngsters voraussetzen? Und was wäre, wenn nicht???

[3Wirklich gut und erstaunlich zu sehen, dass in diese beiden Inszenierungen die DramaturgInnen immer auch on stage zu sehen und zu erleben waren. Das kommt diesem Metier und jenen, die sich zu dessen Ausführung entschlossen haben, sicherlich zu Gute.


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