0.
Die nachfolgenden Äusserungen, Beobachtungen, Kommentare beziehen sich auf den letzten Tag der Veranstaltung:
New Technologies for the European Cinemas of the Future in den ARRI headquarters in der Türkenstrasse in München.
Sie erheben keinen Anspruch auf Objektivität oder darauf, des Erlebte wirklich repräsentativ abzubilden. Sondern sie sind vielmehr Anlass, am Beispiel dieses Tages darüber zu reflektieren, wie es heute um die Digitalisierung der Kino-Distribution bestellt ist - und was das für uns in Zukunft bedeuten wird.
1.
Der Ort für den letzten vollen Tag dieses MEDIA SALLES Trainings ist gleich aus mehreren Gründen gut ausgewählt worden: Wir sind hier im Hauptsitz der Firma ARRI sogleich in unmittelbarer Nähe von Universität wie der LMU und Kunsteinrichtungen wie der Pinakothek. In diesem räumlichen wie geistigen Spannungsfeld zu arbeiten ist eine grosse Herausforderung und Verpflichtung.
Und dann ist das ARRI Haus selber nicht mehr und nicht weniger als The Home of Cinema. Sich dort treffen und besprechen zu können, technisch und mit Speis und Trank betreut zu werden, ist ein Privileg erster Güte.
Und dabei lässt dieser Beitrag ausser Acht, dass mit Franz Kraus als der Seele des Hauses auch einer der weltweit qualifiziertesten Protagonisten dieses Gewerbes über die aktuellen Herausforderungen der Kino-Gewerke gesprochen hat. Und dies in einer Art und Weise, in der es nicht nur um die Promotion der Highlights des eigenen Hauses ging, sondern um eine Darstellung der Aufgaben, die sich für dieses Industrie insgesamt stellen. [1]
2.
Sich einen ganzen Tag lag in unterschiedlichen Kino-Sälen zu treffen, um über das Kino zu reden, ist aber auch ein grosses Handicap, denn eigentlich sind solche Räume für solch eine Form des Dialoges nicht gebaut.
Jeder der Sprecher- und RednerInnen steht irgendwo zwischen der Leinwand und dem Publikum. Und wenn dann auch noch von beiden Seiten versucht wird, diesen Dialog ohne Mikro zu führen, wird es ganz schlimm. Ja, man möchte gerne zeigen, dass man möglichst persönlich über dieses Thema reden will, und man merkt zugleich, dass das in solchen licht- und soundgedämpften Räumen eigentlich nicht (oder nur unter besonderen Anstrengungen) möglich ist.
Ab und zu kommt dann doch die Mikrofonie ins Spiel - aber immer erst dann, wenn das Wichtigste schon gesagt wurde und dann ganz am Schluss der Aussage oder der Frage noch eine Tonverstärkung bereitgestellt wird... vielleicht ist das weniger störend, wenn man in unmittelbarer Näher zueinander sitzt. Und da - unverständlicher Weise - keiner dieser Beiträge, Vorträge, aufgezeichnet wurde, auch nicht weiter ein Problem.
Und dennoch zeigt dieses aus der Position des Beobachters heraus skizzierte Dilemma ein Problem, das auch im Verlauf dieses Tages immer wieder angesprochen wurde: Die Aufgabe, aus dem Ort des Kinos in zunehmendem Masse auch einen Ort des Dialoges zu machen.
Das ist an diesem Tag im Verlauf der Veranstaltung sicherlich gelungen - zumal es auf der unteren Etage eine tolle Kaffee-Bar mit einer gelungenen Versorgung mit Getränken und Kleingebäck gab - und dennoch konnte man am eigenen Leibe spüren, wie wenig solche Räume für solche Aufgaben konzipiert sind.
3.
Dass dem so ist, ist wahrlich keine Vorwurf, weder an die Gastgeber noch an die Betreiber solcher Einrichtungen. Aber es ist interessant zu vermerken, dass im Verlauf ihrer Digitalisierung das Konzept der Unterhaltung des Publikums fast Eins zu Eins von der analogen in die digitale Welt übernommen worden ist.
Mehr noch, erst jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem dieser Prozess in grossen Zügen abgeschlossen ist, kommen all jene Fragestellungen und Aufgaben wieder verstärkt in den Vordergrund, die schon vor 15 Jahre virulent waren, dann aber ob der Herkulesaufgabe der Digitalisierung fast vollständig verdrängt worden sind.
Kein Wunder also, dass in dem mit Spannung erwarteten Vortrag von Dave Monk gerade diese Punkte wieder in den Vordergrund gerückt wurden. Seine An-Forderungen beziehen sich auf die geradezu "klassischen" Ansprüche auf gutes Sehen [2], gutes Hören [3] und besseres Sitzen [4] und kulminieren letztendlich in dem ur-alten Anspruch, dass es auch in Zukunft wieder gelingen sollte, für eine Kollektive in einer so noch nie dagewesenen Umgebung an-bieten zu können, was auch kein noch so ausgereifetes Home-Cinema-Konzept eines TV-Anbieters zu leisten vermag: einen Ort für ein einzigartiges gemeinsames Erlebnis von gut erzählten Geschichten zu schaffen.
4.
Genau das aber war nicht das Ziel dieses Tages. Hier und heute ging es vielmehr darum, mit welchen Mitteln dieses Ziel (wieder) erreicht werden kann. Es ging um neue Technologien, vor allem bei der Bild- und Ton-Wiedergabe - aber auch darum, wie und mit welchem Ziel diese eingesetzt werden sollten.
Als pars pro toto gab es immer wieder Bezüge auf die aktuellen von Barco, Dolby und anderen ins Rennen geschickten Systeme für "immersiven Sound": für den Versuch also, auch akustisch das abbilden zu können, was zuvor mit dem dreidimensionalen Sehen des Leinwandbildes erreicht werden sollte.
Und um an dieser Stelle eine sehr lange und bis ins Detail interessante Diskussion auf den Punkt zu bringen - zumal sich die Ausflüge ins Detail sehr bald als sehr delikat erwiesen, als klar wurde, dass all diese neuen Aufgaben eines object basesed sound designs noch gar nicht alle in den auszuliefernden Composition Playlist (CPL) mit ihrem Digital Cinema Packages (DCP)s erfasst und dargestellt werden können ("It’s a complete mass") - oft wäre es von Vorteil, wenn der Sound nicht noch mächtiger, noch lauter, noch dynamischer daher käme, sondern wenn es gelänge, endlich die Dialoge wieder verständlicher zu machen, die Menschen wieder in den Vordergrund zu rücken, ihr Reden, und selbst ihr Schweigen.
Gefordert wurde gleich mehrmals, dass es endlich mit diesen neuen Technologien gelingen möge, wieder der Stille den ihr angemessenen Raum zu verleihen, aus dem heraus dann auch einzelne kleine Elemente neu zur Geltung gebracht werden können, wie das Knistern eines Zweiges, das Fallen eines Regentropfens, der Atemzug eines Menschen...
5.
Ja, es wurde hier schon angedeutet: Natürlich war es im Verlauf eines solchen Trainings und eines solchen Tages auch wichtig, darauf hinzuweisen, was sich mit der Digitalisierung der Kinodistribution alles verändert hat, wie es sich verändert hat, und welche Folgen diese Veränderungen für die Kinobetreiber mit sich bringen - wofür sich in ausnehmend qualifizierter und eloquenter Weise Michael Karagosian bereit erklärt und dafür auch die Anreise aus den USA nicht gescheut hatte. [5]
Dabei wird auch alsbald klar, dass die "Dummen" im Rahmen dieser Entwicklungen sehr schnell vor allem die "Kleinen" sind. Die Art-House-Kinos, die Eigentümergeführten, die Filmlichtspielhäuser im ländlichen Raum.
Um so beeindruckender und ermutigender war es zu sehen und zu hören, dass an diesem Punkt sich Alternativen heraus entwickelt haben, die gerade auch diesen Einrichtungen eine Chance versprechen. Und nicht nur eine Chance auf Überleben - wie vor allem die Beispiele aus den Niederlanden an diesem Tage eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben - sondern auch auf eine aktive Neu-Inszenierung des Kinoerlebnisses.
So gesehen waren die Beiträge von Klaudia Elsässer von Pannonia Entertainment und Isabelle FAUCHET von Live Digital Cinema der Höhepunkt dieses Tages. Denn sie machen beide, jede an ihren eigenen Anstrengungen und Gewerken deutlich, dass es Alternativen zur herkömmlichen Kino-Nutzung gibt: Als Ort der Begegnung. Als Ort der Erfahrung von Ereignissen, die sonst so nicht erlebt werden könnten. Als Ort der Vermittlung von Erfahrungen. Als Ort des gemeinsamen Erlebens, das schon vor dem Event einsetzt und sich danach ganz eigenständig fortsetzt.
Das sind natürlich die klassischen Aufführungen aus der Met oder dem Royal Opera House, die Tanzaufführungen, die Rockkonzerte und die Sportevents, die mit zunehmender Begeisterung und dem jeweils entsprechenden Outfit angenommen werden: Ja, viele der Kinobesucher ziehen sich für die Opernaufführung einen Anzug oder das "Kleine Schwarze" an. Das ist aber auch und sogar die Möglichkeit, sich seinen eigenen Lieblingsfim auszusuchen, zu bestellen und diesen dann mit Gleichgesinnten in einem solchen Kinoraum erleben zu können [6]
Hier an dieser Stelle wird exemplarisch deutlich, was mit den neuen Mitteln dieser neuen Technik auch alles möglich wird. Was damit an neuen Möglichkeiten der Kommunikation und Zuschauerbindung geschaffen wird:
Man höre und staune über die vorgetragenen Zahlen: bis zu 85% der so angesprochenen Kinogäste waren noch nie zuvor in einem solchen Etablissement zu finden gewesen. Es werden also ganz neue Besuchergruppen angesprochen. Und es wird eine grosse Dichte von neuen Zuschauer"gemeinden" geschaffen, die nach den ersten zwei, drei positiven Erfahrungen bereit sind, regelmässig wiederzukommen. Ja, die sich sogar auf den Kauf von surprise ticktets einlassen mit Veranstaltungen, deren Inhalt ihnen vorher nicht bekannt ist: eine Art "sneak preview 2.0".
Aber auch das wird klar: die Bereitschaft, solche ein Konzept erfolgreich umsetzen zu wollen, setzt die Bereitschaft voraus, sich wieder mit unendlich viel Arbeit und Engagement in der Community zu engagieren, um so aus dem globalen Angebot das herausdestillieren und aufbereiten zu können, was dann vor Ort auch wirklich ankommt.
Während auf der einen Seite die Gruppe der Kinovorführer längst entlassen und allenfalls durch einen IT-Spezialisten ersetzt wurde, kommt es an anderer Stelle zu einer Wiedergeburt des oder der "Theater-Direktoren 2.0".
PS:
Hier nochmals ein Einblick in das Programm des heutigen Tages. Auch wenn es sich im Verlauf ganz und gar anders entwickelte als hier ausgewiesen, gibt es doch einen exemplarischen Einblick der vorgestellten Themen. Dass dabei in vielen Fällen die Power-Point-Slides auf einer Kino-Leinwand zur Darstellung kamen, war und bleibt eine seltsame Erfahrung. Und als am Abend dann der Abschluss des Tages in einem grossen Gasthaus begonnen wurde, setzte sich diese verkehrte Welt nochmals fort: mit der Projektion von Fussball-Spiel-Bewegtbildern an allen Ecken und Enden dieser Gastwirtschaft.
Die digitale Projektion, so war an diesem Tage ebenso sinnfällig wie verstörend zu erleben, macht an keiner Stelle und vor keinem klassischen Format mehr halt. Sie ist allgegenwärtig: Im Licht-Spiel-Haus wie im Gast-haus, auf dem Fern-seher wie auf dem Smart-phone. Dies stellt das Kino vor grosse neue Herausforderungen - aber eröffnet auch neue Chancen. Und darüber gab es an diesem Tag eine Menge zu erfahren.
LINKS:
Alle Beiträge des Veranstalters zu diesen Tagen in München und Konstanz vom 9. - 12. Juli 2014 können nachgelesen werden unter den Links:
9.00 a.m.
Accessibility in Cinemas
Presentation for CCAP, by Daniel Vogl, Sound Division Manager of ARRI
9.40 a.m. (at Dubbing Studio)
How digital cinema standards have reduced the cost of this technology to make it practical for cinema owners, by Michael Karagosian, MKPE
Q&A session
10.30 a.m.
Programme focused on the offer to the public: new content and new services
Exchange of experiences on:
Insight into electronic delivery in 2014 and beyond/New possibilites with Cinema on Demand, by Harry Schusterov, Director Business Development of Gofilex Germany GmbH
Event cinema
Added content and its role for the enhancement of the social and cultural role of cinemas, by Klaudia Elsässer, Pannonia Entertainment and
Isabelle Fauchet, Founder and CEO of Live Digital CinemaGaming - A case study by Tom de Bont, Heerenstraat Theater b.v.
Munich - at ARRI headquarters (Dubbing Studio)
2.00 p.m.
Group work based on experiences of participants. Introduction by Pilar Sierra and Vittorio Polin
3.00 p.m.
Restored film: a new opportunity for cinemagoers, by Tereza Czesany Dvorakova, National Film Archive
The use of social media for theatre marketing and audience development, by Marian Plieštik, Kino Aero
4.45 p.m.
Panel: How to contain the costs of managing a digital cinema
— Till Cussmann, dcinex,
— Gerrit Doorn and Albert Jan Vos, JT CinemaQ&A Session
6.30 p.m.
In collaboration with EDCF
The European cinemas of the future: which prospects for cinema experience?
by Dave Monk, EDCF