Ist das nicht toll: Die Staatliche Graphische Sammlung München geht voll in die Digitale.
in ihrem Projekt 01 der Reihe OPEN BOXES geht es um LINIENLUST - SPUREN UND FORMEN:
Das Ganze wird vertrieben als eine "Kiosk-App", "digital optimiert für das hochauflösende Retina-Display des iPad."
Toll - oder?
Als Referenzen werden im Folder die folgenden URLs genannt:
– Stiftung Pinakothek der Moderne: stipimo.de [1]
– APPS FOR ART: apps-for-art.de
– Schaustelle: schaustelle-pdm.de [2]
So weit, so gut.
So gut?
Ja, viele gute Vorsätze: Wenn man all das liest und schaut und zu-hört, was alle diese Informationen und Auskünfte und Absichtserklärungen so rüberbringen wollen: "whow..."
So gut ... so lange man sich nicht selber auf den Weg macht, um die aktuelle Ausstellung zu besuchen.
Man wird in dem Haus selber nicht empfangen, da dieses wegen "Sanierung bis September 2013 geschlossen" sei.
Als Besucher kennt man keine Details, aber dass der Neubau nach gerade mal einem Jahrzehnt schon wieder repariert werden muss, wer will das verstehen - und wer wird das bezahlen?
Aber das muss man vielleicht auch nicht, wenn man sich auf den Weg zum Besuch der aktuellen Exponate der Schaustelle machen will.
Titel:
JEAN-CHARLES BLAIS UND CHRISTOPH BRECH. DIE DIGITALE LINIE [3]
Also gut: gehen Sie hin. Schauen Sie’s sich an. Machen Sie sich ihren eigenen Reim draus.
Aber fragen Sie den Autor dieser Zeilen nicht danach, was denn mit dem Begriff der "digitalen Linie" gemeint sei.
Gut, man kann sich als Kunsthistoriker oder als Kustos oder als Kurator aus seiner eigenen Lebens-Geschichte einen Reim machen. Und die Work-Life-Balance seines Lebens auf die neuen Protagonisten der neuen Kunst übertragen: Ihnen eine Chance an-bieten, sich in diesem Dschungel von Bezüglichkeiten und Beziehungen behaupten und präsentieren zu können.
Alles gut und recht.
Aber all dies macht eigentlich nur Sinn, wenn man sich auskennt. Wenn man dazugehört. Wenn man weiss, worum es geht. Wenn man aus der Geschichte der eigenen professionellen Wahrnehmung ableiten kann, was einem da gerade präsentiert wird.
Allein, wenn man als Besucher in dieses blankweisse Provisorium eintritt, dann findet da zunächst nichts statt: NICHTS. Die Bar ist nicht besetzt. Die Sitzplätze sind voll Öko-Papier-Design, laden aber nicht zum Verbleiben ein.
Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn man dort ankommen will, nicht mit den Exponaten konfrontiert zu werden, nicht mehr zu ihnen hingeführt zu werden, sondern in eine Lounge "eingeladen" zu werden, die weder eine Lounge ist noch in irgendeiner Weise einladend wirkt.
Ja, das ist es: Man wird als Besucher in keiner Weise eingeladen, geschweige denn willkommen geheissen.
Man wird eingeladen an sich eine neue Form der Ausgrenzung miterleben zu können.
Dann das Einzige, was zunächst zu sehen ist, sind Monitore.
Monitore! Gehen wir dafür in ein Museum, um dort im Stehen wieder jenen Bildschirmen zu begegnen, vor denen wir tagsüber mehr oder weniger permanent gefesselt werden.
Und dann das Übliche: die Monitore zeigen, dass sie nicht bereits sind, dass sie ebenso der Wartung bedürften wie die Gäste, die nicht begrüsst werden, eingeladen, angenommen.
Nein, es sind keine Microsoft-Installationen, sondern es ist alles "apple-like". Und funktioniert dennoch nicht.
Und nicht nur das: die Apps, die für die Nutzung vorbereitet wurden, sind ausschliesslich für Apple-Nutzer gedacht, für diejenigen, die sich schon ein iPad mit dem Retina-Display leisten können.
Die Öffnung der Archive für die Kunstinteressierten? Welch guter Ansatz.
Aber warum muss man neben dem Privileg, sich in der Kunst-Geschichte auszukennen nun auch zu jenen Privilegierten gehören, die sich so eine Apple-Gerät leisten können?
Die Demokratisierung der Kunst - für diejenigen, die sich die Demokratie leisten können?
Für all die Anderen, die auf die schriftlichen Unterlagen angewiesen sind, gibt es rechts und links neben dem Eingang eine ganz besondere Installation. Die so raffiniert ist, dass zunächst einmal gar nicht erkennbar ist, dass auf diesen Fahrradhalterungen auch Informationsbroschüren angeboten werden.
Kurz und ungut... es gäbe noch wahrlich viele weitere Details auszubreiten um nachzuweisen, wie hier mit den besten Absichten das Gegenteil der Intentionen erreicht wird.
Wir bleiben - als pars pro toto - bei dem Titel der Ausstellung, in dem schon der fatale Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit aufgerufen, aber eben nicht gelöst wird:
Die "digitale Linie": Sie gibt es nämlich nicht.
Es ist fast tragisch mitzuerleben, wie sich hier offensichtlich eine ganze Genrationen von Kuratoren darüber den Kopf machen, wie es möglich sein könne, in Zeiten nach der Digitalisierung ihr traditionelles Gefüge von Zeitlichkeit und Räumlichkeit wieder neu ins Lot zu bringen.
Aber dann, als es diese Projektionen einzurichten gab, im direkten technischen wie auch im übertragenen Sinne, werden sie selber gemerkt - zumindest aber gespürt - haben, dass sie gar nicht mehr in der Lage sind, mit diese Mitteln noch eine traditionell verstandene Linienführung an die Wand zu werfen.
Muss man diesen Spezialisten wirklich erläutern, dass es eigentlich gar nicht mehr möglich ist, im Digitalen wieder-zu-er-finden, was einst eine Linie gewesen ist?
Muss man diesen hochqualifizierten Festangestellten wirklich erklären, dass sie - bei allen Versuchen, sich und dem Publikum des Gegenteil zu beweisen - noch längst nicht dort angekommen sind, wo wir, die wir uns die digitale Welt zu eigen gemacht haben, inzwischen unsere eigenen Lebensräume entworfen haben?
Muss es wirklich so sein, dass in der Zeit nach der Post-Moderne der Bruch von Kontinuität und Konstanz, von Kausalität und Linearität nur in diesen ebenso bemühten wie hilflosen Versuchen zum Ausdruck gebracht werden kann?
Das Provisorium der Baustelle als Chance nutzen? JA!
Also nichts wie raus.
Aber wenn man dann sieht, mit welcher Präzision und Kompetenz dieses Gerüst zur Dokumentation des Provisorischen errichtet wurde, dann sollte einem doch klar werden, dass wir das Neue nicht im Schoss des Alten schon geboren haben.
Dieses Bau-Gerüst dieser Schaustelle erinnert echt an das Super-Provisorium eines Jahrmarktes. Man durchwandert ein Gewirr von Streben und Stufen. Und kommt schliesslich hochoben an einem Ping-Pong-Tisch an, der alles erlaubt, nur nicht Ping-Pong zu spielen.
Dies Erkenntnis ist gewollt. Und daher schon Kunst?
Und so stehst Du ratlos inmitten eines Provisoriums und fragst Dich, was das jetzt soll. Hochoben über München. Und doch verhaftet in der Provinz eines noch nicht - weder mental noch methodologisch - eroberten digitalen Raumes.
Wie gut, dass es Menschen, gibt, die sich davon die Laune nicht verderben lassen sondern die Ping-Pong-Platte für ihren eigenen Nutzen umwidmen: als Krabbelboden für die Kunstliebhaber von Morgen