Poem_110728

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 14 Uhr 40 Minuten

 

I.

Nichts mehr zu sehen,
von der DDR

Alles runderneuert,
spurenlos

Wurde aus Alt-wie-Neu
ein Neuanfang?

II.

Auf alten Vorstadtszuggeleisen:
Stromlinienförimge Dieseltriebler

Mit Rauchverbot in allen Zügen
Und schweigenden Mitfahrern

Die neuen Regenschutzhäuschen:
Graffitikunstmerkmale

III.

Das Investorenrisikoprojekt
als Wessiwohlfühloase

Statt Menschenfreundlichkeitsgetue:
Aufmerksame Bedienung

Der Gastgeber, der das Geld da lässt
Als wohlgelitt’ner Bote des Westens

IV.

So bringt der alte Wessi wieder mit
Was vor Ort schon vergessen ward

Mit seinen Erinnerungen erkundet er
Die Spuren eines überlebten Gestern

Und bereitet nach dem Kapitalfluss vor
Den Ostalgiestrom kollektiver Empathie

V.

Die Gegenwart zeigt, ohne Sinn und Verstand
Die Spuren sinnloser Verstandesverhetzung

Die Vergangenheit ist Trasch
Die Zukunft ein Updade

Von dem Reload der Geschichte erzählen
Nur noch nicht auferstandene Ruinen. [1]

Anmerkungen

[1PS.

Dieses Poem_110728 entstand in zwei regnerischen Tagen in Neuruppin und wurde am 30. Juli 2011 auf der frühmorgendlichen Rückfahrt mit dem DB-Region nach Berlin-Spandau fertiggestellt.

Es ist der Versuch, in einer fast unmöglichen Verknappung darauf zu verweisen, mit welchen Eindrücken der Reisende eine Gegend verlässt, die ihre eigene Geschichte von der Garnisonsstadt bis zur DDR-Provinz-Gemeinde dem Aussenstehenden in einer Vielfalt von herausgeputzten Versatzstücken präsentiert: Sammlungen, Denkmälern, beleuchteten Gebäuden.

Dort, wo früher die Parteikader sassen, bietet heute der ADAC Reisen in die weite Welt an, mit Gratistransfer bis zum Flughafen und retour. Und im neu errichteten Seehotel spielt der zur morgendlichen mentalen Animation einbestellte Pianist seine Frühstücksmelodien wie ein Uhrwerk ab. Selbst die Kunst-Pausen sind vorprogrammiert und selbst die Totalitätssprünge haben auch keine wirklich belebende Wirkung mehr. Am liebsten möchte man den Herren mal fragen, ob er nicht einmal noch davon erzählen möchte, als ihm einst Genosse Honnecker zu seinem Spiel aufgefordert und dessen Frau ihm danach dazu gratuliert hatte.

Und als dann am Abend der USA-verwöhnte Gesangsbarde mit Familie und einem um Klassen besseren aber Namenlosen Alter Ego auf der Bühne des Hotels auftritt, scheint er alles richtig und das auch noch richtig gut zu machen. Ausser, dass er vor einem wahrlich überschaubaren Publikum auftritt, während die Art seines Spiels die Anwesenheit von Hunderten, ja Tausenden zu suggerieren bemüht ist und die – wenn auch gut eingestellte – Beschallung auch.

Was für eine verkehrte Welt. Die Geschichte ist abgeschaltet und stattdessen wird der ganze Ort mit Geschichten aufgeladen: von Parzival bis Faustus, von Atlantis bis Fontane. Selbst das Saunaerlebnis mit Blick auf den Ruppiner See wird von jungen Animateuren zum Programmpunkt mit einem Südamerika-Schwerpunkt erhoben.

Heute scheinen diese Disknotinuitäten nicht mehr zu scheren. Und man kann sich – scheinbar beruhigt – bei der Massage der Elliminierung der eigenen schmerzenden Triggerpunkte an seiner Schulter zuwenden.

Der noch junge Masseur weiss nichts mehr von der DDR. Er hat sein Leben zunächst als Computer-Nerd gefristet, dann aber die Computerschule abgebrochen und die Hinwendung zum Menschen als eine sinnvollere Alternative ins Visier genommen. So hat er gelernt, zumindest seine eigene Geschichte in den Griff zu bekommen. Das lässt hoffen…


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