Es ist an vielen Stellen von "DaybyDay" immer wieder auf das Themenspektrum von Urheberrechtsschutz bis Piraterie im Internet eingegangen worden. Und es ist auch nach den lange im Verborgenen geführten Diskussionen der letzten Jahre [1] zwischen und mit Providern und Carriern - also den Inhalte-Anbietern und jenen, die für deren Transport zuständig sind - endlich auch im öffentlichen Raum Bewegung in die Sache gekommen. Und das nicht nur von Seiten der Verbände, sondern auch in und zwischen den Ministerien - des Inneren, für Justiz, für Kultur, für Wirtschaft [2] und für Verbraucherschutz.
Jetzt aber hat - nach dem Schock und der Erschütterung der Diplomatie durch die Publikation (Publikation?) von vertraulichen diplomatischen Dokumenten - diese Enthüllung eine Dimension erreicht, wie sie so von der Öffentlichkeit bislang nicht hätte wahrgenommen werden können, wenn sich nicht (fast) alle Medien wie ein begieriges Fressen darauf gestürzt hätten.
Die Publizisten (Publizisten?) und Quellenschützer liegen nun nicht nur im Streit, sondern es kommt zu einer solch massiven Parteinahme der Carrier und Gatekeeper zum Schutz der Vertraulichkeit und Rechtssicherheit der Inhalte, die sich noch vor Monaten kaum jemand hätte vorstellen können.
Nachdem es bereits als Kurz-"Meldungen" die Vögel von den Dächern gezwitschert hatten, meldet auch die Agentur Associated Press in Gestalt von Peter Svensson und unter Mitarbeit von "AP Technology Writer Rachel Metz in San Francisco":
Amazon.com Inc. forced WikiLeaks to stop using the U.S. company’s computers to distribute embarrassing State Department communications and other documents, WikiLeaks said Wednesday.
Worauf versucht wird, all die Inhalte nun auf anderen Servern zu platzieren, solchen, die in Europa stationiert sind.
Wagen wir aber einen Blick über dieses aktuelle Gezwitscher hinaus, so seien die folgenden Hypothesen aufgestellt:
Es wird weitere agressive Massnahmen gegen die Publizisten (Publizisten?) geben:
– denial of service Angriffe, um den Betrieb, auch welchem neuen Server auch immer, technisch zu torpedieren
– die Verfolgung des in kurzer Zeit zum Star avancierten Publizisten (Publizisten) wird noch schärfer werden, unabhängig davon, ob Vorwürfe gegen ihn stichhaltig sind oder nicht
– die Entscheidungen von Bankhäusern und Brokern, den weiteren Zugriff der Publizisten (Publizisten?) auf ihre Gelder zu kappen wird nicht lange auf sich warten lassen [3]
Aber nicht nur das: die Aus-Wirkungen werden noch sehr viel weitreichender sein:
– die Behauptung zur Einhaltung einer Neutralitätspflicht bei der Kennzeichnung und Durchleitung von Inhalten wird seitens aller an diesem System Beteiligten in Frage gestellt werden
– ja, es wird zu massiven Veränderungen in der zukünftigen Neubewertung und Organisation "Des Internets" kommen, es wird eine ICANN 2.0 geben müssen
– Yes, we "can": Mit der Intervention des Internets in der Politik wurde spätestens 2009 in den USA die Büchse der Pandora geöffnet. Das Volk hatte nicht nur über zwei Kandidaten abgestimmt, sondern Viele der bis dahin Sprachlosen glaubten und hofften, mit ihrem Dialogbeitrag im Netz bei ihrer Abstimmung Jenem eine Stimme zu geben, der es in ihrem Namen wage, die eigene Stimme nicht nur virtuell, sondern als Person zu erheben: über das Netz hinaus und doch ohne doppelten Boden.
– die Intervention der US-amerikanischen Regierung auf die Enthüllung ihrer Dokumente ist vordergründig verständlich, strategiepolitisch aber fast "tragisch" zu nennen. Den Schaden, die sie jetzt anrichtet, ist ärger noch als der ihrer nicht zur Veröffentlichung freigegebenen Dokumente.
– Barack Hussein Obama, mit dem Internet an die Macht gekommen, wird nun in den Fängen eben dieses Netzes an re(a)gieren müssen.
So werden wir ab jetzt zu-sehend beginnen zu verstehen, dass jede Technologie-Revolution auch zu nachhaltigen Veränderung von "Sitte" und "Moral" führen wird. Und dies schneller als je zuvor. Wir erleben erstmals einen kompletten Paradigmenwechsel im Zeitraffer einer einzigen Generation. Mit diesem neuen Jahrtausend werden die Verursacher von jenen Geistern, die sie selbst gerufen haben, mit ihren eigenen Worten zur Rede gestellt werden.
Auch wenn nicht klar ist, wie lange diese Links im Netz verbleiben werden, hier der Hinweis auf drei Beiträge, die am 4. Dezember 2010 im Deutschlandfunk gesendet wurden, in der Reihenfolge einer zunehmenden Subjektivität geordnet:
Von Peter Welchering: Weggelöscht und abgedreht. Die Ereignisse um die Webpräsenz von WikiLeaks
Von Maximilian Schönherr: Digitales Logbuch: Leak-Tweets
Von Burkhard Müller-Ulrich: Die Offenheit diplomatischer Erklärungen. Einordnung der Wikileaks-Veröffentlichungen
Zum Abschluss seines Beitrags schrieb und sagt er:
Tatsächlich führte er uns diese Woche die Möglichkeiten einer neuen Instant-Weltkommunikation vor Augen, die im Hinblick auf künftige Informationskriege von größtem Interesse sind.
„Der Krieg" so Carl von Clausewitz in seinem Buch vom Kriege, "ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.” [4] und er begänne erst in jenem Moment, in dem sich der Angegriffene beginnen würde, zu verteidigen. [5].
Demnach hängt es also davon ab, ob und wie sich die Herausgeber (Publizisten?) dieser wohlsondierten diplomatischen Dokumente verhalten werden um später einmal sagen zu können, dass diese Ereignisse bereits die Zeugnisse eines schon in Gang gesetzten Krieges sind oder "nur" die Vor-Zeichen eines solchen.
WS.
PS.
Dieser Beitrag liesse sich durch ein grosse Anzahl von Beiträgen und Beobachtungen fortsetzen.
Hier einer als pars pro toto, der sich wahrscheinlich nicht im Internet so schnell wird finden lassen. Es geht um das Presse-Anschreiben der berliner Firma Ferrari electronic AG vom Mittwoch, den 15. Dezember 2010:
Die lose Hacker-Gruppierung "Anonymous" sendet Amazon, Mastercard, Visa und Paypal seit kurzem massenhaft anonyme Faxe. Anlass ist das Verhalten dieser Firmen im Zusammenhang mit Wikileaks. Nach Johann Deutinger, Vorstand des Computerfax-Pionier und -Marktführer Ferrari electronic, läuft die Aktion ins Leere.
"Die erste Welle der Angriffe auf Webseiten lief erfolgreich, aber ist schnell verebbt.
Hacker wollen nun auf ein anderes Medium ausweichen. Doch mit Fax kennen sie sich offenbar schlecht aus. Größere Unternehmen setzen längst Computerfax-Lösungen ein. Es wird kein Papier mehr bedruckt, und bei professionellen Lösungen kann auch – anders als bei Denial-of-Service-Attacken auf Webseiten – die Infrastruktur nicht zusammenbrechen.
Fax funktioniert ganz anders als Internetprotokolle oder E-Mail. Auch wenn alle Eingangskanäle besetzt sind, bleiben reservierte Leitungen frei, um Faxe nach außen zu senden.
Den legitimen Absendern von Faxen an die betroffenen Unternehmen droht dennoch ein wenig Unbill: Wenn das sendende Faxgerät nach mehreren Zustellversuchen nicht durchkommt, erhält ein Absender einen Fehlerbericht, dass das Fax nicht zugestellt worden ist. Im Gegensatz zu E-Mail weiß ein Absender aber immer, ob das Fax angekommen ist. Im schlimmsten Fall muss ein regulärer Absender einfach einige Stunden später erneut faxen.
Das Schlimmste, was den angegriffenen Firmen passieren kann, ist, dass sie einige hundert elektronische Faxe darauf untersuchen müssen, ob relevante Nachrichten dabei sind. Hier bedarf es manueller Arbeit. Die Unternehmen haben sich offenbar gegen die Hackerangriffe mittlerweile so gut gewappnet, dass die Angreifer auf unbekanntes Terrain ausgewichen sind. Die jungen Hacker von Anonymous haben von Fax keine Ahnung."
Tja, liebe Hacker, mit den "OfficeMaster"-Produkten von Ferrari wäre das mehr passiert. Frage an den Hersteller: Seitdem die Spenden-Konten gesperrt sind, wie wäre es mit einer Sachspende - als proof of concept?!