I.
Eigentlich könnten diese nachfolgenden Zeilen auch mit der Überschrift „offline“ gekennzeichnet werden, entsteht doch dieser Text nicht direkt auf dem „DaybyDay“ Portal, sondern in einer Word-Datei, um danach in diese dann zur Veröffentlichung freigegebene Oberfläche zu exportieren.
Damit stellt sich schon beim Schreiben der Eindruck ein, dass hier ein gewichtiger Text entstehen würde. Denn die freie Schreibfläche ist geradezu umzingelt mit allerlei Funktionssymbolen, die im Verlauf der Genese und Aufbereitung eines Textes wichtig und / oder nützlich sein könn(t)en – und von denen die meisten Nutzer oft nur die Wenigsten kennen. [1]
Und doch ist die Situation alles andere als eine, die mit den Anforderungen des professionellen Schreibens verbunden wäre. Es gehört vielmehr zu den nachhaltigsten Veränderungen – im Sinne von Verbesserungen – dass beim Verfassen von Texten jetzt auch die Liege, ja selbst das Bett, ein durchaus angemessener „Arbeits“-„Platz“ hat werden können. Ein Kissen im Rücken, eine Decke über den Knien und die Tastatur des Laptops darauf in 15 Grad Schräglage angebracht – und es ist ein Vergnügen, auf diesem Wege den Gedanken ihren Lauf zu lassen und ihren Verlauf in dieser Form des Schreibens zu fixieren, [2]
II.
Was hinter diesen Zeilen steckt, ist die uns so selbstverständlich erscheinende – und eigentlich doch so ganz und gar neuzeitliche – Praxis, dass wir nur noch schreiben können, indem wir eine vom elektrischen Strom betriebene Maschine in Gang setzen – denn auch der Laptop ist letztendlich nichts anderes als eine elektrische Schreibmaschine, die das Ergebnis der Arbeit nicht mehr auf ein Blatt Papier fixiert, sondern auf einem „paperwhite“ Monitor-Screen, während die Text-Daten unabhängig von dieser Darstellungsebene auf einer Festplatte – und alsbald auf einem Flash-Speicher – festgehalten werden. Heute erscheint uns diese Elektrifizierung des Schreibens, bzw. der Fixierung des Geschriebenen ganz und gar selbst-verständlich.
Und auch die Trennung des geschriebenen Wortes von seinem Trägermedium Papier macht uns nicht wirklich Sorgen – zumindest so lange nicht, so lange wir nicht davon leben müssen, das Ganze noch in Form von Zeitungen oder Zeitschriften, von Katalogen oder Büchern verkaufen zu müssen. Im Gegenteil, es macht durchaus gute Laune, wenn Du in einer komfortablem Position auf der Liege sitzt, einen neuen Text auf dem Bildschirm entstehen lässt – und wenn dann neben Dir eine aktuelle Zeitung liegt in der etwas darüber geschrieben steht, an dem Du oder Deine Freunde noch kurz davor selber beteiligt waren.
So ein Stück Zeitung, das neben einem liegt, ist etwas anderes als die Mail, oder das PDF, oder der Link, in dem über das noch vor kurzem selbst miterlebte Geschehen berichtet wird. Zwar sind alle diese elektronisch übermittelten Medien-Partikel schneller auf dem Rechner angekommen als so ein Stück Zeitung. Und doch ist da in dem Stück Papier neben Dir etwas enthalten, ja, eine Dimension vertreten, die das direkt übermittelten Wort – und Bild – entbehrt.
Vielleicht klingt das jetzt Gesagte nach Kitsch, vielleicht sind in den folgenden Worten auch Spuren einer Wahrheit versteckt, von der man noch einst die Krokodilstränen der Nostalgiker wird abwischen müssen. Aber wenn nach dem ersten Beschreiben eines Ereignisses vor Ort – landläufig als live-blogging benannt – zwei Tage später ein anderer Kollege in einem anderen Medium auf eine andere Art und Weise das gleiche Thema wieder aufgreift, an dem Du Dich schon unmittelbar am Tat-Ort abgearbeitet hast, dann hat dieses eine Güte und eine Qualität, die etwas ganz besonderes hat, was Du eigentlich auch in der digitalen Zukunft nicht missen möchtest. Oder, um es anders zu formulieren, was in der Zukunft einer ganz und gar digitalisierten Presse auf andere Art und Weise wird wieder erfunden werden müssen. Das Leben mit dem zeitlichen Abstand zu einem Geschehen, das sich durch die Sicht aus diesem Abstand in seiner Qualität, Aussage und Wirkung noch mal deutlich verändert.
III.
Also nichts gegen die Spontanität [3] [4] der eigenen Schreibe direkt „vor Ort“ und unmittelbar am Platz des Geschehens. Ausser dass dieses dazu führt, dass auch die Pausen mit dem Querlesen draufgehen und der zweitwichtigste Anlass eines solchen Kongresses, das in-den-Pausen-miteinander-reden-können nicht wahrgenommen werden kann.
Ohne Fleiss kein Preis? Nun gut. Zumindest kommt ein Mensch in den leeren Zuschauerraum und bemerkt mit einem fröhlich neckenden Kompliment, dass dies ja nun wirklich der Beweis sei für das aktive Live-Blogging. Und zugleich kommt beim Schreiben der Gedanke, ob es denn richtig sei, sich mit diesem Dialog über die Szene so sehr aus eben dieser herauszukatapultieren, dass man nur noch insoweit zu ihr dazugehört, als dass man über sie schreibt.
Der Versuch, besonders zeitnah zu sein und zu schreiben, hat seinen Preis. Solange sich die Leute noch die Beine beim Warten vor der Essensausgabe in den Bauch stehen, mag es ja noch ein Vorteil sein, in der eigenen selbst gewählten „splendid isolation“ zu verbleiben, aber wenn es dann darum geht, in der sogenannten Mittagspause auch durch gezielte Gesprächskontakte das Eine oder Andere anzustossen oder sogar – und sei es zunächst nur informell – unter „Dach und Fach“ zu bringen, dann zeigt sich, dass eine solches konsequentes Engagement eigentlich ein Fehler ist, oder, sagen wir es so, auch sicher seine Nachteile mit sich bringt.
So gut es ist, schnell und auf den Punkt und „sofort“ schreiben zu können, während andere gerade mit dem Reden fertig geworden sind, so ermutigend es auch ist erfahren zu können, dass die eigenen Finger so schnell über die Tasten gleiten, ja „tanzen“ können, dass der Textfluss vor den Mikrofonen sich alsbald in konkrete Wortgebilde auf dem „white screen“ übersetzten lässt, so deutlich wird im nachdenklichen Rückblick auch, dass es eigentlich wichtiger gewesen wäre, die „Gunst der Stunde“ für das informelle Gespräch zu suchen, anstatt nach missglückten Satzstellungen, Formulierungen und Schreibfehlern zu suchen, die durch das direkte Online-Schreiben auch sogleich online gestellt wurden.
IV.
An all das lässt die nebenliegende Zeitung denken, noch bevor der infragekommende Artikel überhaupt wirklich inhaltlich zur Kenntnis genommen wurde. Und dabei ist er nicht lang, hat nur eine Spalte, und füllt mit dieser nur die Hälfte der Seite aus.
Er bietet an, was in den eigenen Worten und in der Kürze der Zeit so nicht gesagt werden konnte. Und doch macht er das selbst Geschriebene damit nicht obsolet. Denn das Eigene lebt davon, spontan und unmittelbar zum Ausdruck zu bringen, was der Augenblick in sich birgt. Einen Moment der Wahrheit, der auf dem Horizont der Zeitachse einer sorgfältigeren Betrachtung allzu schnell zu zerfliessen, zu zerfallen droht. Und der letztendlich in der gut aufgesetzten Schreibe wie hier des Kollegen Wolfgang Luef in der Süddeutschen vom 12. März 2010 durch den Titel „Quatsch“ und die daran angebundene Schlusszeile wieder aufgenommen, zu neuem Leben erweckt wird für die, die an diesem „dialogue de sourdes“ nicht persönlich haben teilnehmen können. „Herr Stadelmaier“, so wird sein Gegenüber zitiert, „Herr Stadelmaier, Sie machen mir wirklich Spaß“. [5]
Es ist gut, diesen hier nachfolgend zitierten Bericht nochmals aus der Distanz der Zeit und des Papiers und des Drucks und der Liege-Position zu lesen. Denn was dem Autor und Beisitzer an dieser bühnenreifen Veranstaltung durch den Kopf ging, war eine arge Betroffenheit über die Unfähigkeit des Dialoges – und über den Mut der Kontrahenten, dieses auch noch öffentlich vorzuführen.