PYROMUSIKALE: GROSS-artig

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 23 Uhr 15 Minuten

 

0.

Vorwort: An allen Ecken und Enden wird über das „Ende der Kritik“ und das „Verenden der Kunst der Kritik“ und das „Beschneiden des Raums für Kunst-Kritik“ geredet und gejammert, Dennoch – und vielleicht auch gerade deshalb – soll hier der Versuch unternommen werden, im Nachgang zum vor vorangegangenen Text PYROMUSIKALE: Es werde Licht hier über den Horizont des reinen Bericht-Erstattens hinauszuschreiben. Ohne sich damit anmassen zu wollen, in den Rang jener Persönlichkeiten aufsteigen zu wollen, die für die Jury der „Musik-Feuerwerke“ ausgewählt worden sind [1] so sei es doch gestattet, hier über das Erlebte auf dem Hintergrund der eigenen langjährigen Erfahrungen mit Physik und Musik, mit Bühne und Kunstrezeption sprechen zu wollen.

1.

In dieser Nacht fand mit der dritten allabendlichen Inszenierung der „grandiosen Musik-Feuerwerke“ die erste Pyromusikale ihr Ende. Mit einem „Voting“ um die Publikumsgunst für das beste Feuerwerk und einem Riesenlob und Applaus für all jene, die auf, vor und hinter der Bühne massgeblich zu einem Erfolg dieser Veranstaltung beigetragen haben.

Denn ein Erfolg waren diese drei Tage auf jeden Fall – auch wenn zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Textes noch nicht eine Zeile der anderen öffentlichen Stellungnahmen zur Kenntnis genommen worden ist, auch wenn noch nicht Auskunft darüber eingeholt wurde, ob sich das ganze Unternehmen auch aus ökonomischer Sicht nun letztendlich gelohnt hat oder nicht.

Aber allein der Umstand, dass alle drei Abende ohne Regenschauer „über die Bühne“ gegangen und diese „Bühne“ nicht zusammengebrochen sondern von den Zuschauern als solche angenommen worden ist, all das sind Erfolg, der nicht als selbstverständlich hingenommen werden sollten.

Kaum auszudenken, was passiert wäre, wenn der Verlauf dieser drei Abende durch einen wolkenverhangenen Himmel oder gar von einer Dauerregenwand in Frage gestellt worden wäre: Es gehören eine grosse Portion von Wagemut, Risikobereitschaft und solide Kapitalgeber dazu, sich überhaupt auf ein solches Wagnis mit solchen nicht zu beinflussenden Parametern einzulassen, von denen man auf „Gedeih und Verderb“ abhängig ist.

2.

Aber keine dieser Katastrophen hat stattgefunden. Alle angekündigten Künstler – zumindest dieses Abends – waren anwesend. Alle angekündigten Feuerwerke konnten nach Plan gezündet werden. Und die Berliner Symphoniker spielten nach besten Kräften und mit aller Verve, die ihnen eigen ist.

Damit aber geht aber auch das Nachdenken über dieses Ereignis los, das hier am dieser Stelle öffentlich gemacht werden soll. Die Eingangsfrage lautet: Was nutzt einem all diese grossartige Orchester-Live-Musik, wenn es nicht möglich ist, sie auch wirklich hören zu können. Will sagen: alles was von dem Orchester zu sehen ist, kann aus der Ferne nur über die Monitorwände wahrgenommen werden. Und alles, was von ihnen zu hören ist, kommt letztendlich „nur“ aus den Lautsprechern.

Damit wir uns nicht missverstehen: die Video-Licht-Stärke der Leuchtwände als auch die Beschallung waren vom besten, was es so in diesem Umfeld an Veranstaltungstechnik zu geben hat. Dennoch bleibt die Frage im Raum, warum denn dann dieses Riesen-Live-Spektakel, wenn sich dieses letztendlich im Sinn-Bildlichen des eigenen Erlebens nicht hat wirklich widerspiegeln können? [2]

3.

Während des Zündens der grossen Feuerwerks-Inszenierungen spielen die Musiker „vom Blatt“ und schauen auf Noten und den Dirigenten, nicht aber auf das Feuerwerk, für das sie eigentlich ihre Musik erklingen lassen. Das Ganze ähnelt einer Open-Air-Oper-Inszenierung: mit U-Musik am Nachmittag und der E-Musik am Abend.

Auch die Solisten, die am Sonnabend jeweils den Beginn jedes der drei Feuerwerke begleiteten – Ramon Lopez, Majiid Bekkas und Matthias Schriefl – spielten nicht angesichts der sich vor dem Publikum entfaltenden Feuerwerksbildern, sondern angesichts des Publikums: Sie spielten für sich - und hinter ihnen spielte die Musik der feuerfarbenen Bewegtbilder und Klänge. All das Pfeifen und Knistern, Rauschen und Krachen der aufsteigenden erleuchtenden und verglühenden Leuchtkörper stand also nicht wirklich im Dialog mit ihrer Musik. Auch wenn dieses so – in den besten Momenten – hat wahrgenommen werden können.

Als „weltweit einzigartiges Experiment“ angekündigt: die Improvisation eines Solisten zu jeweils einem der sechs „Feuer-Kunstwerken“ – das war in seinem Anspruch sehr viel grossartiger intendiert als das letzendlich wahrnehmbare Ergebnis. Am besten von all den sechs Inszenierungen der Tage zwei und drei klappte das Zusammenspiel mit der Inszenierung des Tamaya Kitahara Fireworks Team aus Japan. Bedauerlich ist aber, dass die Voraussetzungen und Bedingungen für diese besondere Leistung gar nicht weiter von der Moderation angekündigt worden war. Es gab kein einziges Interview mit den Solisten [3], niemand der die Chance, sein Instrument vorzustellen, seine Arbeitsweise, seine Motivation.

Schade. Und mehr als das: Dass man sich im Vorprogramm stark um eine populäre Ausrichtung des Programms bemüht hat, mag ja angehen – nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen – und daher so richtig sein. Aber wenn es um ein als so gross-artig angekündigtes und erstmaliges und damit bislang einmaliges Ereignis geht, dann langt es eben doch nicht, einen noch so guten Null-Acht-Fünfzehn-Moderator auf die Bühne zu stellen, auch wenn er in der Lage sein mag, das Publikum zu animieren und das Programm geschickt und ansprechend „durchzupeitschen“. In solchen Momenten wäre es darum gegangen, etwas von der Seele eines solchen Ereignisses zum Leben zu erwecken: trotz der sterilen Null-Intimität dieses (ehemaligen Flug-) Platzes. Davon jedenfalls war an diesen Abenden nur selten etwas zu spüren gewesen.

4.

Kommen wir damit „ans Eingemachte“. (Sollte das Event letztendlich ein finanzieller Erfolg gewesen sein, mag Mancheiner diesen Kommentar einfach zur Seite legen. Und dennoch sie es hier gesagt:) Was nur in wenigen Momenten an all diesen drei Tagen zu entdecken war, das war die „Seele des Ganzen“.

Was immer wieder durchaus gut funktionierte – und vom Publikum dankend angenommen wurde – das waren einzelne Effekte, die gross-artigen Schlussbilder mit einem fast vollständig illuminierten Himmel, aber auch manche Momente der Ruhe und lyrischen Prägnanz, die sich vor dem fast schwarzen Hintergrund abzuzeichnen und abzusetzen vermochten.

Was dagegen nur selten funktionierte war das (worauf in der Werbung für diese Veranstaltung so gerne immer wieder verwiesen worden war) : Das „sekundengenaue“ Abfeuern der Lichtkörper im Takte mit der Musik. Ein eigentlich "taktlose" Formulierung, geht es doch im tieferen Sinne nicht um den "Gleichschritt" sondern um die Synchronizität mit der Musik.

Was für ein Irrtum. Hatte Georg Friedrich Händel seine Feuerwerksmusik wirklich geschrieben, weil er damit ein einmaliges Feuerwerk zu illuminieren hatte? [4]

Soweit das eigenen Wissen zurückreicht, wurde dem Komponisten vom König Georg dem Zweiten von England aus Anlass des „Aachener Friedens“ der Auftrag erteilt, eine "Feuer-Musik" zu schreiben, die dann vor einer grossen, eigens zu errichtenden Bühne im Londoner Green Park aufgeführt werden sollte. Als Ende April 1749 der grosse Tag gekommen war, hatte es den ganzen Tag geregnet - und schliesslich ging anstatt eines Feuerwerkes ein Teil der Bühnenkonstruktion in Flammen auf. Während sich die Verantwortlichen gegenseitig versuchten dafür die Schuld in die Schuhe zu schieben und diesen Streit schliesslich mit Waffengewalt zu „schlichten“ versuchten, erklang die Musik von Georg Friedrich Händel: damals aber noch ganz ohne den Einsatz von Geigern, sondern unter dem gezielten – und so gewünschten Einsatz – von „Pauken und Trompeten“. So eben kam es zu einem selten Moment des Einsatzes von Militärmusik aus Anlass einer Friedensfeier.

Und zu dem als „glücklich“ zu nennenden Umstand, dass es eben dieser „militärischen“ Durchsetzungskraft dieser Musik zu „verdanken“ war, dass sie in ihrer Wirkung letztendlich zu einem Erfolg der von Hof aus bestellten Veranstaltung beigetragen hatte..
Erst wer so etwas weiss und es dem Publikum auf unterhaltsame Weise zu Gehör bringt, wird zu schätzen wissen, wenn heute, im Juli des Jahres 2009, die Musik so nicht mehr „vorgeschrieben“ sondern in einem Wettbewerb eingefordert wird, wenn sie live gespielt wird, und wenn man als Veranstalter Raum lässt für die so begabten und begnadeten Musiker wie Conny Bauer oder den schon erwähnten Matthias Schriefl.

Während Kehses illustrierende Himmelsillumination am Abend des ersten Tages ebenso wuchtig wie traditionell an dieses Thema der Synchronizität herangeht, wird mit den Improvisationen an den zwei Folgetagen eine Tür aufgestossen – durch die sich aber noch niemand wirklich zu gehen gewagt hat.

5.

Diese erste PyroMusikale ist – bei allen Versuchen der Erneuerung – immer noch einem sehr traditionellen Konzept verhaftet, das sich bereits in der vorbürgerlichen Welt entwickelte – und wohl am überzeugendsten von allen Welten am japanischen Hof hat entfalten können. Vielleicht hätte man doch das Angebot wahrnehmen und mit Leuten wie Jonathan Park reden sollen [5] – nicht nur um dieses nachzuweisen, sondern um nach Konzepten und Möglichkeiten zu suchen, die über diese „klassische“ Sicht- und Darstellungsweise von Musik-Feuerwerken hinausgeht.
Denn, um es in aller Klarheit und Schärfe zu sagen: In den meisten Fällen bilden das Feuer-Werk und das Musik-Werk keine Symbiose, sondern stehen in Konkurrenz zu einander. Und die Aufgabe, eben diese Konkurrenz fruchtbar zu machen, gelingt nur den Allerwenigsten - und nur in den allerseltensten Augenblicken. Wenn diese Momente da sind, sind sie in der Tat Momente des Glücks, der Labsaal der Seele, der Erfüllung von inneren Wunschbildern die sich auf diese Art und Weise im Raum erfüllen. Aber im Verlauf der gesamten mehr als sechzig Minuten, die an diesem Sonnabend zu erleben waren, waren diese Momente die Ausnahme.

Eine Veranstaltung, die sich auf „Weltniveau“ platzieren will, ist heute nicht mehr auf dem Niveau der Zeit, wenn sie sich mit Inszenierungen abgibt, denen es trotz des jeweils enormen Aufwandes – nicht nur an Zeit und Geld, sondern auch – an Erfahrung und Einfühlung nicht wirklich gelingt, diesen Anspruch konsequent umzusetzen.

6.

Was heute von den Profis der neueren Generation dieses auch weiterhin lebendigen Kunst-Gewerbes (in seinem besten Sinne) gefordert werden kann:

 entweder Inszenierungen zu schaffen, die ganz bewusst auf den Elementen der Improvisation basieren, wohl wissend, dass die Improvisation nur dann gelingen kann, wenn das gesamte „Pflichtprogramm“ der Branche mit Erfolg und Einsicht absolviert worden ist, wohl wissend auch, dass eine solche Improvisation eine tatsächliche Interaktion von Musik und Lichtwerk, von Pauken und Böllerknallern erfordert, und das diese Hand in Hand und Arm in Arm zu geschehen hat, wenn man denn wirklich „die Welt“ der Zuschauererwartungen „in ihre Schranken“ verweisen will

 oder Inszenierungen zu schaffen, in denen endlich verstanden wird, dass auch Pausen Musik sind: Momente, in denen Zeit bleibt, das Wechselspiel von Musik und Licht wirklich als aufeinander bezogen in den Augen und Ohren des Betrachter wirksam werden zu lassen, in denen nicht der Zündzeitpunkt mit der Takt 135 synchronisiert wird, sondern der der Entfaltung des jeweiligen Effektes, in denen – kurz und knapp gesagt – endlich von der fixen Idee einer mathematisch gedachten Synchronizität Abstand genommen und verstanden wird, dass um mehr geht als um die Frage, wie sehr sich Licht und Ton einander gleichen: Sondern, dass vielmehr von den Regisseuren und Dirigenten, Ingenieuren und Musikern begriffen wird, das es um die jeweilige Einmaligkeit der von ihnen geschaffenen Elemente in Zeit und Raum geht, dass es um die Inszenierung ihrer kurzfristigen Vergänglichkeit geht, die so erfolgreich ist, dass das Ganze schliesslich zu einem in der persönlichen Erinnerung bleibenden Ereignis wird

 oder Inszenierung zu schaffen, in denen die Musik weder vorgeschrieben ist noch vorgespielt wird, sondern sich erst im Verlauf und im Abtasten der Geräusche der aufsteigenden, schwebenden, niederstürzenden und verlöschenden Feuerwerkselemente aus diesen heraus „komponiert“. So wie wir es schon aus vielen – heute schon fast wieder „klassisch“ zu nennenden - Strömungen in der Musik der Moderne finden, in der (oft mit dem Mikro aufgezeichnete) Ausgangsklänge zum Ausgangsmaterial für eine Anzahl von (oft elektronisch „verfremdeten“, weiter-entwickelten neuen) Klangideen wird. In einem solchen Fall sind die „Musiker“ die in Bewegung befindlichen Feuerwerkskörper selber, und der Orchesterleiter sitzt selber am „Synthie“ am Mischpult und ist weder "DJay" noch "VJay", sondern "FJay".

PS.

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Anmerkungen

[1warum ist eigentlich bei den insgesamt 15 nominierten Persönlichkeiten keine einzige Frau dabei – gerade bei so einem Thema wie diesem???

[2Gut: das ganze „Klassik-Jazz-Pop“-Programm dieser drei Tage wird in dieser Kommentierung voll ausgelassen und wenn man dieses alles mit einbezieht, ist es mehr als nur wahrscheinlich, dass es wohl gar nicht anders gehen mag.

[3auch hier einmal mehr: nur Männer…

[4Der Versuch, diese Musik in der ARD Mediathek als Interpretation des Freiburger Barockorchester und des Orchestra of the Age of Enlightenment vom Mai 2007 unter der Adresse
www.ardmediathek.de/ard/servlet/con... zu finden scheiterte mit der allbekannten „404“ Auskunft – und konnte alsdann nach weiteren Recherchen unter einer Adresse des Südwestrunfunks identifiziert werden.
Weitere eher illustrative Versionen finden sich aber auf Sevenload und auf Youtube.

[5dem der Rezensent sogar am Freitagabend auf dem U-Bahnsteig begegnet ist, den er aber nicht im Gespräch mit einer in weiss gekleideten Kollegin nicht hatte stören wollen…


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