Review: Die 5-Sonnen-Tage-Woche

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 22 Uhr 45 Minuten

 

Vielleicht ist es das Beste, diese Seite mit der Überschrift "Kommentar" zu versehen.
Das ist neu. Und ebenso ungewohnt ist es, wenn am Schluss einer Woche nochmals Rückblick gehalten und sogar ein wenig über das "The Making Of" geplaudert wird.
Aber diese Woche hatte ihre besonderen Herausforderungen [1] und ihre ganz besondere Prägung.

1.

Ab dem Dienstag bis zum Sonnabend dieser Woche waren alle Tage reine Sonnentage. [2] Plötzlich war der Frühling da. Selbst die sonst stummen Mitfahrer im Büro-Fahrstuhl beginnen darüber zu reden. Und die "Kulturprotagonistin" des info-radios beim rbb mit Namen Zucker begann öffentlich darüber zu philosophieren, welche Auswirkungen diese so lang erhofften und dann doch so unerhofft beständigen Sonnenstrahlen im Geiste des Menschen so alles anzurichten vermögen. [3]

2.

Jeder dieser Tage dieser Woche war mit einer Veranstaltung gespickt, die hätte besucht werden sollen - und die dann noch nicht vor Ort erlebt werden konnte.

Als sich diese Entwicklung abzeichnete, entspann sich nach und nach eine ebenso angespannte wie spannende Situation, reflektiert durch die Frage
- ob und wie eine Berichterstattung / eine Reflektion darüber möglich sei, auch wenn es keine Möglichkeit zu einer persönlichen Teilnahme gegeben hatte
- ob es denn wirklich notwendig gewesen wäre, an der einen oder der anderen dieser Veranstaltungen persönlich zugegen zu sein, oder nicht
- nach welchen Kriterien die Entscheidungen über Teilnahme und Berichterstattung denn getroffen werden würden.

3.

Schliesslich nahm diese Problem- und Aufgabenstellung einen solchen Umfang an, dass es eines erheblichen Zeitaufwands bedurfte, um sich dieser zu stellen.

Las Vegas, San Francisco, München, Berlin, keiner von diesen in diesen Städten liegenden Veranstaltungs-Orten wurde letztendlich aufgesucht. Entscheidend aber ist,
- dass sie alle - auch die in den USA - aus früheren Besuchen bekannt sind
- dass es möglich war bzw. gewesen wäre, mit den auf diesen Forum auftretenden Personen auch ausserhalb dieser Veranstaltungen ins Gespräch zu kommen.

Also wurde das Risiko eingegangen, aus dem Buero heraus zu schreiben: Ohne so tun zu wollen, was wäre man doch DA gewesen, aber doch mit einem gewissen Verständnis für die Situationen und Atmosphären, die mit diesen diesen Orten in Verbindung gebracht weden können.

4.

So schwierig es war, sich dieser besonderen Herausforderung zu stellen, so interessant war sie es - eben deshalb. Es zeigt sich nämlich, wie wichtig - und zeitaufwendig - es ist, selbst das Wenige von diesen Veranstaltungen "Aufgeschnappte" sinnvoll und produktiv verarbeiten zu können. Das heisst - und sei es auch nur vom Anspruch her - das über andere Quellen und Kontakte so Erfahrene so darzustellen, dass es als verständlich und nachvollziehbar wahrgenommen werden kann [4].

Damit relativiert sich auch das Bedauern über die Nicht-Teilnahme: wie in einem der Interviews von der re:publica exemplarisch zu erfahren war, ist es gut, dass man heute mit den "Bordmitteln" von Computer samt darin heute schon eingebauter Ton- und Bildaufzeichnung und Internet "sein eigener Reporter" werden könne, dass aber eben dieses Bemühen zur Konsequenz habe, dass man sich doch allzu sehr um die Technik und die Frage nach der erfolgreichen Datenübermittlung zu kümmern habe, als dass man noch wirklich Zeit gehabt hätte, zuhören zu können oder Gespräche mit Anderen zu führen.

5.

Und es zeigt sich im Nachherein,
- wie wichtig es ist, dass das von einer der jeweiligen Veranstaltungen "Preisgegebene" mit Sorgfalt und Besonnenheit und mit Gespür für die Umstände und die Mittel, die ihre Reflektion erfordern, herausgestellt werden kann
- warum es für den eigenen Weg wichtig und richtig war, den vor mehr als zwei Jahren schon enteckten und versuchsweise praktizierten "Twitter-Trend" weder vorwegzulaufen, noch ihm zu einem späteren Zeitpunkt hinterher zu laufen
- dass das Singen der Vögel lieblicher und intimer klingen kann als all das Gezwitscher, das der Augenblick der Wort-Eingebung auch an möglichen Wohlklang auslösen könnte
- dass Wert- und Nachhaltigkeit mehr denn je als "mentale Besteuerungsinstanzen der Selbstreflektion" ihre Bedeutung behalten werden, auch wenn die aktuellen Trends und Themen einer "Cloud Comtemplation" [5] dem zu widersprechen scheinen
- dass schon das Widersprechen-können und das den Widerspruch-aushalten-können Qualitäten von immer grösserem Seltenheitswert sind, sowohl im externen Dialog als auch im inneren Monolog [6]. [7]

6.

Im Verlauf der Re-Publica in Berlin kann man am EDV-Monitor mitverfolgen, wie dort die Menschen auf der Bühne reden und sogar, wie ihnen zugehört wird.
An einem Punkt, am Endpunkt seiner Geschichte, schrieb [8] und sagte Peter Glaser:

Vor einiger Zeit berichtete der britische “Guardian” von einem Mann, der seit 40 Jahren seine Nachbarschaft unterminiert. William Lyttle, den die Nachbarn den Maulwurfmann nennen, gräbt von seinem Haus im Londoner Stadtteil Hackney aus seit den späten sechziger Jahren Tunnel. Er vernetzt den Untergrund. Behördliche Messungen mit Ultraschallscannern gaben Hinweise auf bis zu acht Meter tiefe Tunnels, die von Lyttles Haus an die 20 Meter in alle Richtungen ausstrahlen. Ein Nachbar berichtet, dass der Strom auf einer Straßenseite ausgefallen war, als der Maulwurfmann einmal eine Starkstromleitung angegraben hatte. Lyttle behauptet, er habe sich ursprünglich einen Weinkeller graben wollen, der im Lauf der Zeit etwas größer geworden sei. Vor fünf Jahren war der Gehsteig vor dem Haus eingebrochen. “Man konnte die ganzen Tunnel darunter sehen”, sagt eine Nachbarin. Ein anderer Nachbar bringt zum Ausdruck, was Briten für Exzentriker empfinden: “Wir möchten nicht, dass diesem Mann etwas Böses geschieht. Er arbeitet hart. Bedauerlicher Weise setzt er seine Energien nicht in die richtige Richtung ein.”

Das ist Gemeinschaftsgeist. In einer solchen vernetzten Gesellschaft möchte ich leben. [9]

7.

Der Weg zurück aus Austria führte die Bahnfahrt von St. Poelten auch über Amstatten. Ja, DAS Amstetten. Und jede(r) der an diesem Ort ein- oder aussteigt obliegt der Gefahr, sofort, unvermittelt und ohne Scham auf DIE Tat jenes dort ansässigen Tunnelbauers angesprochen zu werden, über die hier in "DaybyDay" auch nicht ein ein Satz gesagt worden ist und hiernach auch nicht gesagt werden wird.

Zurück in Deutschland liegt in einer in dieser Woche aufgesuchten Arztpraxis eine Ausgabe der Zeitschrift STERN. Und darin gibt es ein Interview mit jener Psychologin, die DEN Täter über viele viele Stunden in Gespräche eingebunden - und ihn zugleich damit von seinem Tun ein Stück weit entbunden - hatte.

Nach all dem "Blätterrauschen" ist dieses Interview ist das Einzigartige, das einen Einblick gibt in eine Leben, das vielen von uns unverständlich, anderen ungeheuerlich vorkommt. Und das doch so geführt werden konnte, da die handelnde Person in der Lage war, zwischen seiner Welt des Untergrunds und der zu ebener Erde einen vollständigen Schnitt zu machen, die eine vollständig "unabhängig" von der andere leben zu können.

An was denken wir: an die Tunnel, die unter der berliner Mauer gegraben worden sind, an die, die jetzt von den israelischen Kampfbombern zerstört werden sollen, an die Untertunnelung des IP-Stroms durch "Virtual Private Neworks" - oder auch an den Zeittunnel, durch den wir selber geschleust werden, ohne seinen Anfang erlebt zu haben noch sein Ende erleben zu können?

8.

Seit dem letzten Auslands-Aufenthalt vor einer Woche in Austria ist es im Verlauf der dort durchgeführten Unterrichtstätigkeit ebenso klar wie beschwerlich geworden, verstanden zu haben, wie wichtig es ist, das zu vermittelnde Wissen so vermitteln zu können, dass es wirklich Wissen in Form von kompromierter, analysierter und kollektivierter Erfahrung schafft.

Diesen Prozess anzuregen, zu moderieren, zu beschleunigen oder auch wieder anzuhalten, zu reflektieren und zu einem Vergnügen für die Er-Kenntnis stiftende Tätigkeit auszugestalten, ist eine ebenso grosse wie lohnende Herausforderung: Sie stellt sich den Wissbegierigen genau so wie dem Wissens-Vermittler. Wird sie von beiden Seiten angenommen und gelingt es, dass über diesen Annahme-Prozess auch die Persönlichkeit eines Jeden, einer Jeden, mit zur Sprache gebracht wird, dann wird in einem solchen "Unterricht" die eigene Erfahrung zu einem konstitutiven Bestandteil des Dialoges.

9.

Der Wert des Informationszeitalters - so haben all diese Veranstaltungen immer wieder erfahren lassen - ist nicht allein die zunehmende Möglichkeit, all-gegen-wärtig auf aller-welts-wissende Information zugreifen zu können. Sein Wert wird entschieden über die Frage nach der Verfügungsgewalt in Bezug auf dieses "World-Wide-Wissen" geregelt. Und diese wird nicht nur durch die technische Verfügbarkeit bestimmt, sondern auch, ja entscheidend davon, wie "man" selber mit dieser Verfügbarkeit umgeht, umzugehen gelernt hat - oder und noch zu lernen bereit ist.

DAS ist einer jener Sätze, die so leicht gesagt und so schwer sind, gelebt zu werden. Ein solcher Satz mag banal klingen. Aber was für eine Aufgabe:Wissen zu wollen, was zum Über-Leben not-wendig ist und wissen zu können, wie man das Wissenswerte als Mittel der Schaffung von Lebensqualität zum Einsatz bringen kann.

10.

Wir haben jetzt über die Frage der Teilnahme (oder auch nicht) gesprochen, über die Teilhabe (ohne Teilnehmer gesesen zu sein) und über die An-Teil-Nahme, die in einem solchen Monolog/ Diaolg zum Tragen kommen kann.

Nicht gesprochen haben wir über die Barrieren zwischen jenen, die in der "digitalen Welt" aufwachsen und jenen, die in sie hineingewachsen sind. Und gar nicht war hier die Rede von jenen, die all das "digiale Zeugs" nichts angeht oder die sich dem bewusst entgegensetzen.

In Zukunft aber wird mehr und mehr über jene Zeit zu sprechen sein, in der die "digital natives" beginnen werden wieder-zu-entdecken, was ihnen aus der der "linear natives" nicht mehr herangetragen wurde: Begriffe und Werte wie "Kontinuität" und "Revolution", wie "Lebensmittelpunkt" oder gar "Heimat".

Das wird aber erst dann geschehen können, wenn nicht mehr länger - im übertragenen Wortsinn gesprochen - mit motorisierten Droschken herumgerfahren wird. Aber es gibt die ersten Anzeichen für solche Entwicklungen: Dass die Betätigung von mechanischen Schaltern und Taten verdrängt wird durch sogenannte "Touchpoints": an den "all-in-one"-Monitoren, an den "Handies", auf der "Windows 7"-Oberfläche, ja, selbst im Modellversuch der Deutschen Bahn.

Irgenwann wird der "Pinball Wizard" der Gruppe "The Who" [10]" seine "Wiederauferstehung" feiern: Vielleicht als "digital interactive android widget" - oder als eine neue per Avatar verkündete Heilslehre, die einmal mehr die Massen erfassen wird?

WS.

Anmerkungen

[1Auch wenn auf die persönlichen Auswirkungen derselben an dieser Stelle nicht weiter eingegangen wird - "DaybyDay" war und ist kein "Tagebuch" in klassischen Sinne, vielmehr soll im besten Fall aus den Anlässen und Anregungen - und auch Beschwernissen - eines jeden Tages etwas abgeleitet und hier niegergelegt werden, was über den Tag hinaus von Gewicht bleiben könnte. WS.

[2Daher auch der Titel dieser Überschrift von der Fünf-Sonnen-Tage-Woche.

[3Der Beitrag Hellblaurosa Frühlingsideenhttp://www.inforadio.de/static/dyn2sta_article/931/514931_article.shtml] wurde am 1. April .2009 um 06:30 Uhr " in der Reihe "Hundert Sekunden Leben" ausgestraht.

[4Wobei dieser Nachvollzug nicht bedeuten muss, dass der Rezipient mit dem hier Geschriebenen in Übereinstimmung stehen sollte - oder gar muss.

[5Dieser Begriff ist eine "Eigenmarke". Er bezieht sich auf díe inhaltliche Seite des sogenannten "cloud computing", dass nicht nur technische Interoperabiltät herstellt, sondern auf die Möglichkeit einer zunehmend kollektiven und zeitnahen heterogenen Meinungsbildung zu Themen des aktuellen Interesses. Ein sehr akttraktives Thema, das aber alsbald auch um einen weiteren Eigenbegriff erweitert werden wird, das "Mental Backstage Monitoring". Hier geht es um die wirtschaftliche und politische Auswertung dieser inter-netten volatilen Meinungscluster. In analytischer aber auch in einer zunehmend pradigmatischen Manier: als "brand-bulidig-process" einer neuen Generation.

[6Oft genug haben diese Dialoge einen eher mono-logischen Charakter und oft genug wird der Monolog nicht in seiner dialektischen Qualität erkannt und genutzt.

[7Es wird interessant sein zu verfolgen, ob die auf der re-publica aufgestellte These des ehemaligen rbb-Unterhaltungs-Chefs Lehnert - am 6. April bei Knüwer zitiert mit dem Worten "Alle chatten, alle twittern, nur hat keiner das Handwerk, mir etwas Sinnvolles zu sagen... Geschwindigkeit ist kein Wert an sich" - und dessen Widerspruch im Weblog des Handelsblatts mit Verweis auf die Experimente des "Guardian" und die G20-Proteste zu einem weiterführenden Dialog führen wird oder nicht.

[8Wie gut, dass man nicht das Stenograph hat verwenden müssen sondern nur "in Netz" nach dem zuvor verfassten Text hat suchen - und ihn hat finden - können.

[9Nachtrag: Hier eine kommentierenden Darstellung des Textes vom 10. April 2009 in der Technology Review. Aber auch Wolfgang Stieler beantwortet nicht Glasers im Nachgang zu seinem Vortrag gestellte Frage nach dem Ursprung der Geschichte mit den zwei Äpfeln...

[10Auf das YouTube-Video kann aufgrund der aktuellen Diskussionen nicht mehr verlinkt werden. Zitiat: "Dieses Video wurde aufgrund eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen entfernt."
Hier zumindest zwei Links als Alternative:
 mit "Elton John in Concert"
 mit "The Who in Concert.


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