Review: Kommunikations-Kongress

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 21 Uhr 41 Minuten

 

O.

Wer "DaybyDay" schon über die Jahre verfolgt hat weiss, dass es immer wieder Vorankündigungen zu Terminen und Veranstaltungen gibt, die schon auf den Kalenderseiten erscheinen, bevor der entsprechende Tag angebrochen ist.

Zu Beginn wurden für diese Vorankündigungen immer kleine Fotos in Form von sinn-optischen Vor-Bildern eingestellt. Später wurden diese weitestgehend gelöscht und dann durch eine Überschrift als Text ersetzt. Diese wurden dann bis zum Tag des zu kommentierenden Ereignisses mit dem Wort "Preview" ergänzt.

I.

Heute nun geht es anders herum: die diesjährige - und angeblich Europas grösste - Fachtagung für professionelle Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher (BdP) wurde am 09. und 10. Oktober 2008 zum fünften Mal unter dem Titel KOMMUNIKATIONS KONGRESS 2008 durchgeführt, aber weder vorher angekündigt noch besucht.

In diesem Fall kommt es erst im Nachgang zu dieser Veranstaltung zu Gesprächen mit TeilnehmerInnen, die eh’ in Berlin leben oder ihren Aufenthalt auf das Wochenende ausgedeht haben. Und diese - jenseits aller Branchenverpflichtungen - erweisen sich als ebenso angenehm wie ergiebig.

In einem Fall sitzen wir gemeinsam im Büro an einem Rechner mit zwei Bildschirmen und lassen einige der Vorträge, Frage- und Gesprächsrunden nochmals Revue passieren. [1] Und das ist für beide Seiten spannend. Die Person, die teilgenommen hatte, erlebt über das Internet diese Darstellung nochmals neu und für den Autor kommt es zu der interessanten Situation, dass er sowohl auf die Reaktion dieser Person bei der Betrachtung des bereits Erlebten schaut als auch auf das im Vortrag vorgestellte Thema selber. Eine solche "Kleingruppensituation" ist eine deutlich andere und weitaus kommunikativere, als wenn man sich diese Aufzeichnung alleine vor seinen Monitoren angeschaut hätte.

II.

Bei der Auswahl aus den Beiträgen der "100 hochkarätige[n] Referenten und mehr als 1.500 Kommunikatoren aus Wirtschaft, Gesellschaft, Medien und Politik über die neuesten Trends und Techniken der Public Relations" wollen wir es an dieser Stelle auf die Kommentierung der sogenannten "Keynote" von Prof. Dr. Peter Kruse beschränken. [2]

Mit insgesamt 100 "Slides" - von der kurzen Vorstellung der Unternehmensgruppe auf Bild zwei bis hin zum vorletzten Chard mit der Überschrift "Lösung des Semantik-Problems" - gelingt es dem Referenten in komprimierter Form und unter Einsatz aller Mittel der menthalen wie methologischen Verdichtung einen Einblick zu geben in die Herausforderungen einer sich zunehmend vernetzenden Gesellschaft: Und einen Ausblick auf die Herausforderungen, Konsequenzen und Folgen, die dieses hat bzw. noch haben wird.

Wer sich mit den nachfolgende Gesagen näher beschäftigen will, dem sei ans Herz gelegt, sich selber die Zeit zu nehmen, sich diesen Vortrag nochmals auf seinen Rechner zu ziehen: selbst wenn er oder sie nur einen Bildschirm zur Verfügung haben sollte und vielleicht nicht das Privileg hat, neben sich einen Teilnehmer sitzen zu haben, mit dem das Gespräch fortgesetzt werden könnte.

Leider - und damit kommen wir auch an die notwendige Kritik an dieser insgesamt wirklich hilfreichen Präsentation und ihre Techniken - bietet sich keine Möglichkeit für Internetnutzer an, ihre Kommentare und Fragen an den Vortragenden oder die Anwesenden zu richten. Dabeisein, so scheint es, ist doch immer noch "alles". Und wenn einem der Kameramann nicht einmal die Sicht auf die gesamte Bühne gestattet, auf der neben dem Referenten auch noch eine Reihe von Bewegtbildern und Graphen gezeigt werden, die die durchaus sinnvoll eingesetzte Seite mit den Slides nicht wiederzugeben in der Lage ist, wird das mehr als deutlich: Hier ist eine durchaus aufgefeilte Technik in ausreichend guter Qualität konzipiert und eingesetzt worden, und dann sind die Operatoren nicht in der Lage, diese auch richtig - will sagen, im Interesse des Internet-Nutzers - zu bedienen. [3]

III.

Hier gleich noch eine zweite Bemerkung vorab: aus eigner Erfahrung und Praxis gibt es immer wieder wahre Horrorszenarien, in denen die Menschen auf den Podien durch ihren Vortrag hetzen und immer mehr Text und Grafik auf den Folien anbieten, als was überhaupt erfasst, geschweige denn verarbeitet werden kann. Das Drama dieser Präsentationen ist nämlich die Vernknüpfung von mangelnder Vortragspraxis mit einem Mangel als Souveränität und Sachautorität - letzter wird dann durch ungeheuere Konvolute mit dem Ziel eines "medialen Overkills" eingesetzt.

Aber in diesem Vortrag ist alles ganz anders: alle Informationen sind ebenso vielfältig wie notwendig, sie stehen in einem ständigen Dialog mit dem Vortragenden, sind sozusagen sein multimedials Double und helfen dort weiter, wo Bilder mehr zu sagen verstehen als tausend Worte. Sie sind repräsentativ für das Gesagte, aber nie dominant, sie sind illustrativ, aber die Person des Vortragenden bleibt die "illustre".

Als dann ein gewisser Herr "Obermayer" [4] zu Beginn seiner Einlassung anmerkt: "Wenn Sie es nur halb so schnell gemacht hätten, dann hätten wir wahrscheinlich noch viel mehr von dem gehabt", erhält er auf seine daran im Anschluss gestellte Frage nach der ökonomischen Werthaltigkeit dieser methodologischen wie empathischen Leistung zur Antwort:
 "Ich glaube, es gibt tatsächlich eine Gruppe von Menschen, denen wird man - entschuldigen [Sie] wenn ich das [so] sage - in den nächsten Jahrzehnten den Arsch vergolden: Das sind die, die Komplexität reduzieren können. Also insofern ist mein Optimismus, dass derjenige, der in der Lage ist Komplexität zu reduzieren - ob [nun] methodisch oder weil er gut wahrnimmt - derjenige sein wird, der dafür auch bezahlt wird, relativ hoch.
 "Und um auf die Schnelligkeit nochmals kurz einzugehen: glauben Sie mir, wenn man sich entspannt der Schnelligkeit überlässt: Das Gehirn ist am besten am Rande der Überforderung."

IV.

Wie gesagt - oder hier geschrieben - schauen Sie sich diesen Vortrag selber noch einmal an. An dieser Stelle werden nur zum Ausklang dieser kurzen Darstellung und doch eigentlich erste als Eröffnungsakkorde einen interessanten neuen Wertschöpfungsstrategie noch einmal jene Sätze wiederholt, die so eins zu eins in dem Kontext der eigenen Überlegungen schon so hätten gesagt werden können und - wenn vielleicht auch nicht wortwörtlich - schon gesagt wurden:

 Kurze Vorstellung - Idee:
"Unsere Grundthematik ist eigentlich: Wie kann man Menschen und Computer so miteinander verbinden, dass das Ganze mehr ist als die Summe der Teile. Es geht also um das Stichwort: Kollektive Intelligenz."

 Resonanzbildung = überraschende Erfolgsgeschichen III:
"Da sitze ich irgenwo in China, schaue CNN und kriege dort diesen kleinen Eisbären Knut bei CNN in den Nachrichten gezeigt. "
"In der globalen Vernetzung können eher nebensächliche Ereignisse sich zu einem Riesenhype aufschaukeln. Aber - und das ist der interessante Teil - manchmals sind wirklich gut gemachte Kampagnen nicht mehr in der Lage einen Bruchteil davon [von dieser Aufmerksamkeit] zu erzeugen. "

 Vernetzung:
"In der Netzwerkökonomie - und das muss man sich glaube ich auf der Zunge zergehen lassen - wechselt die Macht vom Anbieter auf den Nachfrager."

 Vernetzung = informierter, aktiver, einflussreicher III:
"Wann immer jemand eine Information zurückhält, seien Sie sicher, die Information ist in den Netzen ganz ganz schnell da. Die Leute sind sehr sehr mächtig an diesem Punkt." [5]

 Herausforderung globales Netzwerk:
"Die Komplexität und die Dynamik der Erlebniswirklichkeit der Menschen explodiert. [...] Die Menschen können sich beteiligen wie niemals zuvor, aber gleichzeitig erzeugen Sie mit ihrer Beteiligung eine ungeheuere Komplexität: Und diese Komplexität sprengt alle Erfahrungswerte."

 Emotionale Bewertung:
"Wie gehen die Menschen mit dieser Komplexität um?"
"Die 5. Strategie - und das ist die an die ich wirklich noch glaube: Das ist die intuitive Einschätzung von Komplexität über Musterbildung. Menschen sind phantastisch da drin durch emotionale Bewertung Komplexitäten zu reduzieren."

 Identität, Werte, Sinn:
"Und an diesem Punkt sehen wir glaube ich vor einer besonderen historischen Situation: Wir haben in den letzten Jahren alles dafür getan, diese Welt zu vernetzen. In den nächsten Jahren wird das grosse Thema sein: Indentität, Werte, Sinnstiftung. [...] Wenn man heue erfolgreich sein will, muss man eigentlich die Wertesysteme der Menschen kennen - und zwar die, die im lymbischen System verankert sind."

 Herausforderung globales Netzwerk:
"Wer in den globalen Netzen erfolgreich sein will, als Unternehmer, als Politiker als was-auch-immer, der sollte ein sehr gutes Einfühlungsvermögen haben in das, was die Menschen an Wertesystemen haben."

V.

Im weiteren Verlauf des Vortrages macht Peter Kruse auf die notwendigen gedanklichen, empathigestützten und methodologischen Schritte aufmerksam und gibt einen knappen Einblick in die Art der Verfahren, mit denen sich seine Firma dieser Aufgabe im Interesse seiner Kunden stellt. Fragebögen sind out: die Klientel selbst zum Master-Mind ihrer Bewertungen zu machen ist in. Das Ergebnis ist ein Leitsatz wie dieser "Die Bedeutung des Autos wird sinken."

"Wenn Sie die Menschen intuitiv befragen, dann finden Sie die Schlagzeilen von morgen bereits in den Köpfen der Leute von heute."

 Lösungsweg kollektive Intuition
" Ich glaube, wir sind in einer Situation, wo die Welt sich unglaublich schnell ändert. Und wenn wir wirklich noch in der Lage sein wollen herauszufinden, "what’s next", dann müssen wir eigentlich dicht dran an die Wertesysteme der Menschen. Das heisst: der grosse Wert, um den es im Moment geht, ist Empathie..."

Prof. Dr. Peter Kruse...
... sagt - und zeigt - in Berlin am 10.10.2008 das Wort "Empathie"
Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

" ...sich einfühlen können in die Wertesysteme der Menschen, die Resonanzen entdecken, bevor sie in den Schlagzeilen vorhanden sind. Das ist die grosse Kunst. Wenn Sie so wollen, geht es darum, auf eine systhematische Art Menschen zuzuhören."

Aber er spricht auch über sein eigenes Interesse und darüber, sich im letzten Jahr alle Plattformen sehr genau angesehen zu haben, die sich mit kollektiver Intelligenz beschäftigen. Und das Ergebnis ist nach seinen Worten "sehr eindeutig: gute Mobilisierung, gute Vernetzung - aber die Bewertungprinzipien, die wir haben, sind meistens statistischer Art, es werden einfach Skalen abgefragt." Das Thema aber sei die "Inhaltliche Bearbeitung über Gremien". Und er fährt fort: "Glauben Sie mir, wir werden in den nächsten Jahren eine absolute Renaissance des qualitativen Journalismus’ erleben. Weil die Leute merken werden, dass die normalen statistischen Prinzipien dort keine Wirkung mehr haben und wir angewiesen sind auf Menschen, die in der Lage sind, Musterbildungen zu betreiben."

Thank You, Sir.

Also stimmt es doch, was mit den eigenen Worten bisher zum Beispiel so zum Ausdruck gebracht wurde: je grösser das Chaos, desto stärker die Möglichkeiten, durch emotionale Intelligenz in der Mimikri der Phänomene die Makrostrukturen von vorweggenommenen Zukünften zu entdecken (R&D), zu destilieren (ART) und zu nutzen (DESIGN).

Peter Kruse hat zu diesem Zweck gerade in der ersten Hälfte seines Vortrages solche Ton- und Bildbeispiele vorgeführt, in denen diese Phänomene vorgeführt werden, sei es in der epischen Breite einer ganzen Filmszene oder mit der der komprimierten Würze eines Werbespots.

Wie schon eingangs gesagt: All diese Beispiele hatten - vordergründige gesehen und nacherlebt - illustrativen Charakter, ohne dadurch dem Referenten die Schau zu stehlen. All diese audiovisuellen Botschafter wurden in diesem Zusammenspiel mit dem Vortrag in noch einer ganz anderen Funktion eingesetzt. Sie waren nicht nur das multimediale Pendant zu einem "Öffentlichkeitsarbeiter" aus Fleisch und Blut, sondern sie wurden zugleich durch diesen Vortrag die Zur-Schau-Steller von Einsichten, die sich aus den von ihnen vermittelten Ansichten ableiten lassen: sublim und substanziell zugleich.

VI.

Weder exklusive Expertengruppen noch "social tagging" können hier die Schlüssel für diese Einsichten liefern, da ein automatisches Bedeutungsverstehen im Internet nicht stattfindet. Nein, die sozialen Netze werden nicht sprachlos werden, sondern bedeutungslos.

Und was bedeutet das?

Gewiss: Die Hoffnung auf die Journalisten als die Regeneratoren von Bedeutung ist eine der möglichen, ja not-wendigen Folgen dieser Entwicklungen. Aber wird der Journalist oder die Journalistin dieser Aufgabe und der damit einhergehenden Verantwortung gerecht werden können? Werden sie ihrer Rolle als Gatekeeper gegenüber dieser Massen an Informationen überhaupt nachkommen können? Denn die ihnen bereits heute mental zugewiesene Rolle ist ja nicht mehr und nicht weniger die, das Netz aus der Phase der Pubertät herauszuführen. [6]

Auch nach dem Angebots- und dem Empfehlungs-boom im Internet ist die Frage nach Bewertung und Bedeutung der Inhalte noch wichtiger geworden. Bei Prof. Dr. Kruse ist abschliessend und zusammenfassend nochmals von der Notwendigkeit die Rede, die Komplexität reduzieren und die Bedeutung von Inhalten gewichten zu können - bei dem Geheimen Rat von Goethe von dem Streben und Suchen nach der Erkenntnis, was die Welt im Innersten zusammenhält. Bei Kruse ist an diesem Punkt sein Vortrag beendet. Bei Goethe hängt an dieser Frage - ein ganzes Lebenswerk, bei Kruse sind es inzwischen 60 Arbeitsplätze.

WS.

Anmerkungen

[1Diese Beiträge waren zunächst noch als "Livestreams" auf der Hauptseite angekündigt und konnten auch direkt darüber abgerufen werden. Im Nachgang zu dieser Veranstaltung sind die Links zu diesen Vorträgen in die Rubrik RÜCKBLICK 2004-2008 verschoben worden und heissen irrititierenderweise immer noch "Livestream".
Never mind: es ist gut, dass es sie gibt und bei Interesse nochmals nachgesehen und nachgehört werden können.

[2Der direkte Link kann HIER aktiviert werden - wenn auch ohne Erfolgsgarantie...

[3Sorry, Folks, aber diese Mannöverkritik muss sein. Ihr könnt froh sein, wenn Euch der Veranstalter nach einer solchen Leistung einen gewissen Betrag des vereinbarten Budgets nicht vorenthält. Denn gerade weil die Technik so viele Möglichkeiten anbietet fällt es umso mehr auf, wenn bei deren Einsatz die ganz klassischen Möglichkeiten und Qualitätsstandards nicht (mehr) Berücksichtigung finden - und es ist darüber hinaus eine Missachtung der Leistung des Vortragenden und des ganzen Teams, das normalerweiser hinter einer solchen Arbeit steht, wenn diese dann zwar im Zuschauerraum ankommen aber nicht über die "digitale Rampe" kommt. Es gibt also, wie man hier sehen kann, noch viel zu tun...

[4Die richtige Schreibweise des Namens kann hier vom "Hörensagen" nicht abgeleitet werden...

[5Und eben deshalb, verehrter Herr Vortragender, sind massive "Strömungen" dabei, diese Macht zu brechen. Yahoo hat schon jetzt vor der himmlischen Toren der VR China kapituliert und Cisco hat dafür die notwendigen Gewerke erbracht.

[6Ist es also vielleicht nicht nur ein Zufall, dass unser Büro in der "Kant"-Strasse zu finden ist, unweit jenes Hauses, in der auch die "Weltbühne" bis zu ihrem Verbot erdacht und geschrieben worden war?


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