I.
Wenn das Private als die Opposition des Öffentlichen definiert wird, wäre es eigentlich nicht opportun, dieses öffentlich zu definieren.
Es mag ein jeder eine Vorstellung von dem haben, wie er das Öffentliche erlebt und wahrnimmt, in der er diesen Moment mit uns teilt, weil wir dabei sind, oder ihn zumindest als Erlebnis mitteilt.
Aber welche Möglichkeit haben wir zu erleben und zu beschreiben, was wirklich privat ist?
Privat ist, wo kein anderer hinkommt, hinkommen darf. Wollen wir darüber reden?
Und wissen wir, wo wir wirklich selber ganz „privat“ sind, wo es einem jedem von uns gelingt, ganz bei sich selbst zu sein?
Und: Ist man eigentlich immer alleine, wenn man „privat“ ist. Wie verhält es sich mit der Einsamkeit und der Privatheit? Kann man sich auch gemeinsam als „privat“ erleben, mit einander offen sein, eben weil es keine Öffentlichkeit um einen herum gibt?
Gibt es Dinge, die nur im Privaten möglich sind - kann sich eine Freundschaft entwickeln ohne das Private? Hat die Liebe ein Privileg auf das Private? Und der Tot?
Selbst wenn es uns nicht gelänge, das Private zu definieren, so glauben wir doch alle zu wissen, dass es das gibt - und dass wir es brauchen.
II.
Wir wollen es nicht, wenn jemand anders das Geschenk öffnet, dass für einen selbst bestimmt ist. Und vielleicht wollen wir auch nicht, dass unser Geschenk von der anderen Person in der Öffentlichkeit geöffnet wird.
Auch wenn wir vielleicht nicht definieren können, was ein Geschenk ist, so ist es doch ganz sicher dann eines, wenn es eine - zumeist verdinglichet - Schnittstelle markiert zwischen zwei Privat-Sphären, Privat-Räumen, ja, zweier Leben.
In einem Geschenk begegnet sich das Surrogat aus dem Privatleben einer Person mit dem mentalen Substitutes desselben im Leben einer anderen Person. Die Annahme eines solchen Geschenkes kann dann auch die öffentlichen Seite dieses Übergabe-Prozesses darstellen, seine Öffnung die private.
Ein solches Geschenk ist Repräsentant und mentaler Transmissionsträger einer privaten Mit-Teilung. Und wenn sie nicht gerade mit einem Schleifchen abgestellt oder in eine Vase hineingestellt werden, ist dies besondere Kraft dieses Gegenstandes nur für den oder diejenige nachvollziehbar, der oder die dieses Geschenk erhalten hat.
III.
Forscht man nach, welches von diesen privaten Dingen am häufigsten in einem Büro aufgestellt werden, so sind dieses Bilder, oft auch selbst gemalte, oft auch von Kindern, oft auch Fotografien.
Insbesondere diese dokumentieren oft per se ihre Funktion als permanente Vermittler des Privaten in einem öffentlichen Umfeld. Sie dokumentieren all das, was in der aktuell genutzten Umgebung nicht möglich ist: Schutz und Geborgenheit, die Freiheit, man selbst sein zu können, tun und lassen zu können, was man gerade will – und sogar die Chance zu haben, selbst in dieser Moment-Aufnahme nicht zu wissen, was man gerade will.
Das Foto ist oft einer der am besten verdinglichte und in dieser Funktion auch gesellschaftlich akzeptierte Repräsentant des Privaten. Auch und selbst dann, wenn es im öffentlichen Raum entstanden ist. Ja, in manchen Fällen macht gerade dieses seinen ganz besonderen und im ersten Anblick oft noch versteckten Reiz aus.
Das Privatleben in diesen Bildern zu definieren setzt voraus, dass wir das Leben auf für uns selber definieren, definiert haben, es zum Gegenstand einer Bestands-Aufnahme dessen machen, was wir haben. Und das, ohne es festhalten zu können. Außer vielleicht mit und in einem Foto. Ein Ding der Unmöglichkeit, das so als Erlebnis auf einen Punkt hin definiert wird. Das Private wird mit einem Druck auf einen Auslöser in das Öffentliche transzendiert. Das Leben wird zu einem Anblick auf einen Abglanz desselben als Moment-Aufnahme fixiert.
Wenn das Leben die gleichzeitig ebenso eingeschränkte wie unendlich reiche Möglichkeit ist, im Umgang mit der Zeit selber Zeichen setzen zu können, die aus einem Moment eine Ewigkeit machen, dann macht jeder Fotograf mit jedem Foto das er macht ein Geschenk an sich selbst – und mit jedem Foto, das er zeigt, ein Geschenk an die Anderen.
Womit wir vielleicht noch nicht den Begriff der Lebens-Qualität definiert haben, aber dem vn einem „guten“ Fotos auf der Spur sind. Und zwar so:
– auf dem Schreibtisch des Büro ist jedes mitgebrachte Foto alleine schon deshalb „gut“, weil es für diesen besonderen Platz als Stadthalter des Privaten ausgesucht worden ist.
– im öffentlichen Raum ist ein Foto dann gut, wenn es damit gelingt, ein Stück weit aus der eigenen Privat-Sphäre in diesem darin dargestellten Szenarium mit in sich einzubeziehen. Oder darin abrufbar zu machen.
IV.
Angesicht dieser Abhandlung wird jetzt auch klar, warum „man“ zum Abschluss dieser Messe aus den eingereichten Fotos ein solches wie das hier prämierte hat aussuchen müssen. Es ist gut, weil es exemplarisch zu diesem hier sich darstellenden Szenarium dazu gehört und darüber hinaus doch ein Stück weit in die Welt des Privaten transzendiert.
Das Foto ist ein Foto von einem Foto - und ein Foto von jenen, die dieses Foto als ein öffentliches Ereignis erleben. Und so wird dieses Foto zu einem zu veröffentlichenden Ereignis, weil sich darin und damit der Prozess einer sich in seinem Privaten verdoppelnden Öffentlichkeit für den Betrachter erfüllt.
Im Mittelpunkt dieses Fotos [1] ...
... steht der Mensch im Lichte der Öffentlichkeit und sogleich als öffentliches (Schatten-)Wesen in all seiner jeweiligen Privatheit: als Modell und als Publikum.
Und im Mittelpunkt dieses Fotos ...
... steht die Messe. Ein öffentliches Ereignis das in vorhersehbaren zeitlichen Abständen immer wieder weltweit öffentlich inszeniert wird. Am besten für immer und ewig, so wie die Gebäude, die auf diesem Plakat versammelt worden sind. Und so wie die Menschen, die an diesem vorbeigehen: Auf dem Weg in die Messehallen? Oder zu sich nach Hause ins Hotel: an jenen Ort also, an dem das Öffentliche und Privat zumeist auf das Unerbittlichste aufeinandertreffen.
Oder: schon auf dem Weg zur nächsten CeBIT? Worldwide!