Jenseits von Excel

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 18 Uhr 20 Minuten

 

Den Montagmorgen im Zug von München nach Frankfurt.

I.

Startzeit ist fünf Minuten vor 8 Uhr – die Verbindung, die eine Stunde früher startete, war bereits komplett ausreserviert – Ankunftszeit in Frankfurt ist fünf Minuten nach 11 Uhr.

Alles ist guter Luxus. Die Züge sind voll, aber mit der Reservierung – inzwischen 5 Euro pro Platz und Strecke (das waren früher 10 Deutsche Mark….) – finden alle ihren Platz.

Jeder macht seines. Auf fast allen Tischen stehen inzwischen Laptops. Auf einigen liegen Zeitungen. Auf einigen stehen coffee-a-go-go-Pappbecher der unterschiedlichsten Brands.

Alle Plätze sind mit Stromanschlüssen ausgestattet. Und wenn man einen Doppelstecker mitbringt, dann hat man auch keinen Stress mit dem Nachbarn.

II.

Auch ohne es zu wollen wird man Teil einer gewissen Unternehmenskultur.

An einem Zweiertisch unterhalten sich zwei noch jüngere Teilnehmer einer grossen Corporate über ihre jeweiligen Erlebnisse mit „Langweilern“ und „Alpha-Tierchen“, über ihre Wochenderlebnisse und die Notwendigkeit, bestimmte Fortbildungskurse besucht zu haben.

Am grossen Vierertisch hat sich nach anfänglicher Hecktick Ruhe eingestellt. Der eine Mann döst vor sich hin, der andere ist in eine der Zeitungen vertieft, die inzwischen ausgeteilt worden sind.

In Nürnberg – in nur einer Sunde: der helle Wahnsinn diese Zeit, an die sich hier aber jeder im Zug schon als selbstverständliche Vorgabe gewöhnt zu haben scheint – beginnt noch mal ein gewisses Plätzerücken. Und dann alles für die Weiterfahrt arrangeirt.

III.

Heute ist auf diesen Plätzen alles möglich: Arbeit wie Freizeit. Aber zumeist ist es dann doch das Telefon das beantwortet werden muss oder der Rechner mit seinen Lotus Notes, die noch geschrieben werden müssen.

Alles auf diesen Rechnern ist in Kästchen und Formeln, als PowerPoint und Excel – und zumeist alles auf Englisch. Die Unternehmenskultur in DIN A4 quer hat klare Gesetze und Anforderungen. Sie erscheint aus dem eigenen seitlichen Blickwinkel – der einst einmal der bestimmende war - ist wie das äussere Rückrad vieler Reisender, der Rahmenplan und Taktstock, nachdem der schon im Zug angebrochene Werktag organisiert ist.

IV

Anstatt dieses fortwährend mitmachen zu müssen und stattdessen diesen Text schreiben zu dürfen ist ein kleines Stückchen Luxus. Ja, ein echtes, selbst erarbeitetes Privileg: Inmitten all der Erstklässler zu sitzen und doch das tun zu dürfen was man selber will! Ein solcher Moment ist eine echte Kompensation für alle die oft übermässig erscheinenden Belastungen, die einem gelegentlich den Alltag als alles andere als leidlich erscheinen lassen.

Draussen vor dem Zug ist inzwischen die Sonne voll ins Werk gegangen. Eben noch – kurz nach der Ausfahrt aus dem Tunnel - fahren wir auf einer Brücke wie schwebend über einer Wolkendecke, die sich noch im windstillen Tal festgesetzt hatte. Kurz danach aber tanzen schon die Lichtstrahlen auf dem Computerdisplay – und stören doch eigentlich nicht wirklich.

Sie zeigen einem nur, dass man dennoch eigentlich trotz all der eigenen sich selbst erarbeiteten Privilegien immer noch eingebunden bleibt in den gleichen Zirkus. Nur, dass man sich selber in der Rolle dessen wähnen darf, der als Clown und Zauberer zugleich den heimlichen janusköpfigen Direktor mit in sich einbezieht, der die zukünftige Route der ganzen Karawane sehen und rechtzeitig deren für sie notwendige Umwege erkennen kann – jenseits von Excel.


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