Kino – Licht – Spiele
Spiele im Kino - im neuen Licht.
X Punkte zur Diskussion gestellt: Abschnitt A, Punkte I. bis V.
I.
Was man sich auf der Nürnberger Spielwarenmesse viele Jahrzehnte nicht einmal zu träumen gewagt – und wenn, dann oftmals zu allerlei Alpträumen geführt – hat: heute wird weltweit im Bereich der nicht gegenständlichen Spiel-Anwendungen schon mehr Geld verdient, als mit allen Hollywoodfilmen zusammen. [1]
Aber, so wie das Fernsehen das Kino nicht verdrängt hat, wird auch die Spiel-Industrie das Kino nicht verdrängen. Im Gegenteil. Es wird in das Kino drängen: als Film und als Event.
Mit Lara Croft sind sowohl virtuelle und mit den Transformers ganz reale Spielfiguren wieder auf die Leinwand zurückgekehrt. Nach dem Spiel zum Film kommen nun auch die Filme zum Spiel ins Spiel. Es wird sowohl eine zunehmende Ergänzung, Erweiterung und Durchdringung dieser unterschiedlichen Welten der Unterhaltung geben. Die eine wird sich mehr und mehr auf die andere beziehen und neben dem Buch und dem Making Of auf DVD zu einer eigenständigen weiteren Säule in der Plattform- und Marketingstrategie heranwachsen.
So verwirrend schon diese anstehenden Ver-Änderungen auf so manche traditionellen Nutzer wie Betreiber von Licht-Spiel-Häusern der alten Art wirken mögen, so sind diese sich bereits heute deutlich abzeichnenden Tendenzen eigentlich immer noch als evolutionär zu Kennzeichnen. Denn weder wird das Kino die Welt der Spiele vollständig amalgamisieren – als auch andersherum: die World-of-Gameskraft wird sich nicht vollständig in die Hinterstübchenmentalität eines klassischen Kinohauses verziehen und dort einnisten wollen.
Die Games-Industrie und ihre Produktionen sind ein neues Genre, das sich evolutionär und komplementär mit der Welt des Kinos arrangieren wird – und das letztendlich zum beiderseitigen Vorteil: wenn hier ganz bewusst der Begriff des Licht-Spiel-Hauses hier an dieser Stelle aufgegriffen wird, dann ist das mehr als nur ein Sprach-Spiel.
II.
Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen und Hinweise wird denn auch nicht so sehr der hier schon aufgezeigte und an vielen anderen Stellen wohl beschriebene neue Bezüglichkeit von Kino und Spielen sein (Nachfragen werden gerne beantwortet unter [wolf.siegert@iris-media.com] sondern es wird an dieser Stelle um die Frage gehen, was passieren könnte, wenn sich die Interdependenz dieser beiden Welten soweit ausdifferenziert, dass sich daraus nach und nach ganz neue, heute so noch kaum erlebte Ereignisse und „Unterhaltungen“ ableiten liessen.
Aktuelle, wenngleich in der Öffentlichkeit so noch wenig bekanntgewordene Aufgabenstellungen legen es nahe – ja, machen es notwendig, darüber nicht nur genauer nachzudenken, sondern sich in einem sehr komplexen Versuch zwischen trial und error, Vision und Wagemut, Intrinsischer Motivation und Investorensuche diesem Thema zu nähern.
Daher noch mal: was passiert eigentlich, wenn die Gamer ihre Spiele in das Licht-Spiel-Haus mitbringen und jedem der Kinogänger einen Joystick oder ein Gamepad oder eine volle Rechnertastatur in die Hand geben würden? Und wenn die Kinobetreiber bereit und technisch in die Lage versetzt werden würden, auf diese Herausforderung adäquat zu reagieren. Also das Ganze nicht als eine Invasion und feindliche Übernahme diskreditieren würden, sondern als eine Chance ein neues und eher jugendliches Publikum in seinen Säälen begrüssen zu können?
Wir wissen von ersten Versuchen in dieser Bundes-Republik, die bereits nach grossem Aufwand und Trara nach nur wenigen Monaten mehr oder weniger Sang- und Klanglos gescheitert sind. Wir wissen aber auch, dass sich all diejenigen Kinos, die sich zum überleben entschlossen haben, dabei sind, zu digitalisieren: Und damit die Voraussetzungen dafür herzustellen nicht nur die Hollywood-Produktionen der nächsten Technik-Generation überhaupt noch abspielen zu können, sondern auch einen Zugang zu ermögliche, was von US-amerikanischer Seite noch vor wenigen Jahren als „ODS“, als Other Digital Stuff in die Ecke einer schmollenden NATO (National Association of Theatre Owners) gestellt wurde.
III.
Spätestens seit der von dem verstorbenen Freund Charles Schwartz im Frühjahr 2006 unmittelbar vor der Show-West in Kalifornien ausgerichteten Veranstaltung zu den positiven Perspektiven von „ODS“ ist klar, dass sich selbst an der Westküste der USA der Wind gedreht hat. Mehr noch, die für die Fragen der digitalen Standards in den Lichtspielhäusern sich engagierende SMPTE (…) ist aktuell dabei, nach den Pflichtprogrammen mehr und mehr auch auf die Herausforderungen eines Kürprogramms einzustellen: 3-D ist ein erstes solches Thema, 60p wird das nächste sein und die Kompatibilität mit Graphic-Engines aus der Spiele-Industrie das übernächste.
Das das kommen wird ist so sicher wie das Amen in der Kirche: In den ersten Cine-Dome-Szenarios werden bereits heute mehr und mehr solcher interaktive Anwendungen konzipiert. Und zwar so, dass sich – so unterschiedlich sie sich auch im Einzelnen dem zukünftigen Publikum darstellen mögen – in allen diesen Konzepten Entwicklungen abzeichnen, wonach eben nach erheblich mehr passiert als die X-te Neuauflage des Versuches, ein Spielszenarium in ein Kino zu tansferieren.
IV.
Dabei wäre das ja eigentlich schon was: nicht nur der Film zum Spiel, oder das Spiel zum Film [2] sondern das Spiel als Film. Wie wäre es, wenn sich aus den vielen Möglichkeiten, Modellen und Ebenen eines Computerspiels angesichts der zunehmend professionell ausgebildeten Cinematics eine handlungsbezogene Ebene der Darstellung ableiten liesse, die sich auch den Wünschen eines traditionellen Kino-Publikums annehmen würde? Nach all dem, was sich heute von Polarexpress bis Beowulf in der Entwicklerbranche getan hat, doch gar nicht mehr so ein abwegiger Gedanke – oder?
Nein, es geht nicht um die Verfilmung eines Spiels, sondern um das Spiel als Film: Auch wenn sich dies vielleicht zunächst für den eingefleischten Spieler und jede ausgebuffte Spielerin wie ein Sakrileg anhören mag: denn dann wäre je eines der konstitutiven, wesentlichsten Elemente ihres Daseins – als SpielerIn – in Frage gestellt: ihre individuelle Möglichkeit in die Handlung einzugreifen, ja, sie selbst massgeblich mit bestimmen und vielleicht sogar in einem gewissen Sinne mit aus-gestalten zu können. [3]
Dieser Gedanke zeigt, wo sich eine der aktuellen Grenzlinien zwischen der Welt des Kinos und der der elektronischen Spiele abzeichnet. Eine Trennlinie, die aus der Welt der jeweiligen Kulturen vielleicht nicht als unverrückbar, aber doch also so offensichtlich eingeschätzt wird, dass sie auf der aktuellen Sicht der Dinge als zunächst einmal gesetzt zu gelten scheint.
Aber wenn wir einmal die jeweiligen Gesetze eines jeden dieses Genres wirklich einmal unvoreingenommen gewahr werden, werden wir auch mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, dass sich durchaus bislang noch kaum erprobte Interdependenzen werden wahrnehmen und zu neuen Anwendungsszenarien werden weiterentwickeln lassen.
V.
Nehmen wir also einmal an, dass eines der grossen seit Jahren eingespielten Settings eines ganz und gar durchgespielten Computer-Game-Classics in seiner guten HD-gemässen Qualität auf der Leinwand so daherkommt, dass sich die darin etablierten Hauptpersonen in ihren Rollen wie von selber weiterentwickeln, weil sich vom Zuschauer als Handlungsträger akzeptiert werden. In einem solche Falle würden sie „wie in einem schlechten Film“ daherkommen und so handeln, wie aus den ihnen innewohnenden Beweggründen nahezuliegen und aus Sicht des Publikums plausibel zu erscheinen scheint. Ein solches Setting würde, wenn die Story konsequent durchgespielt und mit allem notwendigen dramaturgischen Druhmerhum ausgestattet wäre, von der Kinogemeinde unter Umständen durchaus aktiviert werden: Machinima und Webcutts lassen grüssen [4]
Nehmen wird weiterhin an, dass diese hier gesetzte Dramaturgie nur dann als gesetzt gilt, solange keine weiterer Spieler interveniert – also als eine Art Auto-Play-Mode – dass aber sich dieses Dramaturgiegerüst aber sehr flexibel verändern und erweitern würde, ja, ein Stück weit aus den Angeln heben liesse, wenn ein Spieler intervenieren würde – und dass eben diese auch vom Kinosessel auch möglich wäre – dann würden sich ganz neuen Konsequenzen und Commitments aus dem bisherigen Szenario ergeben.
Dann würde der alte schon im ersten Jahrzehnt des vorletzten Jahrhunderts gegräumte Traum vom „Loving Picture Man“ sich in neuer Form und Gestalt wiederholen. Dann würde man mit einer eigenen Figur plötzlich den im Spiel gesetzten Handlungsträgern folgen, ja sie verfolgen können. Man würde sich auf den ihnen vorgezeichneten Weg machen, sich neben sie stellen, ja, sogar sich ihnen in den Weg stellen können. Und man würde diese alles von seinem Kinositz aus machen können, ausgestattet mit die bewährten Steuerungsinstrumenten – vom Joystick, Gampad bis zum Keyboard – und mit einem eigenen Monitor, auf dem man die Welt aus der Sicht seiner eigenen Spielfigur sieht. Und eben nicht so, wie sie auf der Leinwand zu sehen ist.
Noch mal. Wenn es möglich wäre, in diesem Screen-Game-Play auch die eigene Spiel-Person in das Geschehen auf der Leinwand mit einzubringen und damit sich selbst in einer Sichtweise, die man darüber hinaus nur für sich selber auf seinem eigenen Monitorbild – angesichts dieser Leinwand – erleben könnte, dann könnte es vielleicht gelingen, etwas zu Stande gebracht zu haben, was etwas Neues, etwas Drittes, etwas Anderes jenseits der bisher bekannten Nutzungsusancen in den beiden hier zu Diskussion stehenden Genres.