I. Es wäre - nach vier eigenen Büchern zu seiner Person und seinem Werk - wahrlich unpassend zu sagen, zu BRECHT fiele mir nichts mehr ein. Aber angesichts der vielen Würdigungen und Feste scheint es aus Anlass seines heutigen fünfzigsten Todestages eher opportun zu sein, die aktuell schreibende Zunft zu zitieren, soweit sie sich schon namentlich die Tage zuvor im Blätterwald vernehmen liess [1]:
– Matthias Armborst: "Ändere die Welt, sie braucht es"
– Linda Csapo: Bertolt Brecht: "Gleich nach Goethe"
– Rainer Hartmann: Auf Umwegen in den Klassiker-Hain
– Judith Ludwig: Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts
– Andreas Platthaus: Literarisches Quartett“. In den Ruhm oder ins Grab?
– Doris Plöschberger: "LITERARISCHES QUARTETT". Sondersitzung für Brecht
– Gerd Klee: Brecht im Zais-Saal - ein Stück Dialektik an sich
– Christine Diller: Von Charme nichts bemerkt. Marcel Reich-Ranicki über das heutige Brecht-"Quartett"
– Marcel Reich-Ranicki: Bertolt Brecht. Kluger Kopf mit Scheuklappen
– Martha Schad: Komm und setz dich, lieber Gast
– Elke Vogel und R. Meisenberger: „Die Antwort auf die Verblödung des Theaters“
– Elke Vogel: Der unermüdliche Weltverbesserer
– Patrick Wildermann: Sein Bestes. „Ungeheuer oben“: die Gala am BE
II. Neben den Textzitaten die folgenden zwei Bild-Zitate:
Beide Brecht-Höhepunkte, die Dreigroschen-Oper-Premiere im Admiralspalast am Freitag und die "Ungeheuer Oben" Brecht-Gala am Berliner Ensemble*) am Sonnabend hatten jeweils ihre Ur-Ahnen der Bühnen-Welt mit auf die Bretter gebracht:
George Tabori [2]
(Foto: ddp)
und Johannes Heesters [3]
(Foto: Stephan Schraps/ddp)
III. *) Diese Hommage an Bertolt Brecht aus Anlass seines 50. Todestages wurde in der Nacht vom Sonntag auf Montag in der ARD von 23.30 bis 02.30 Uhr als Aufzeichnung ausgestrahlt: Und wäre - weil un-gut und daher nur ungerne - eine eigene Rezension wert, die den Titel trüge: "Brecht-TV tümelt nicht!".
Einige Kernsätze zu dieser Rezension wären die folgenden:
– Nicht diese Inszenierung war veraltet, nicht einmal ihre Texte so sehr, wie die Bildregie dieses Abends. Da wurde mit einem Standardrepertoire von weniger als einem Dutzend Einstellung ein Zoom und Schwenkprogramm abgefahren, das nun aber auch wirklich ganz und gar nichts mit der Qualität der Texte, Lieder und ihrer Interpreten zu tun gehabt hat.
– Da hilft auch keine Entschuldigung, dass man nur einen Tag Zeit gehabt habe zwischen der Aufzeichnung und der Ausstahlung. Da gab es Schnitte von einer Brutalität, die vieles wieder von dem zerstörten, was sich da als "artistic-flow" in den Zuschauerraum auszubreiten schien. Und der Versuch, diesem "feeling" dann auch noch durch unsägliche Kamerafahrten ins Publikum nachkommen zu wollen wurde auch dadurch nicht besser, dass diese gleich mehrfach wiederholt wurden. Selbst die Sängerinnen auf der Bühne hatten nach dem Ende des Programms bei ihren "da capos" neue Lieder auf Lager...
– Und da hilft auch keine Entschuldigung, man habe schliesslich in den vielen, vielen volkstümlichen TV-Sendungen gelernt, wie man eine gute öffentliche Veranstaltung auf dem Bildschirm nochmals in Szene zu setzen habe. Wenn man sich als öffentlich-rechtlicher Sender schon entschliesst, mit dem BE zusammenzuarbeiten - was positiv ist - um dann die Sendung anstatt live erst an einem Sonntag kurz vor Mitternacht auszusenden - was bedauerlich ist - dann sollte ein solches mitternächtliches Brecht-TV zwischen Telefonsex- und Teleshopping-Angeboten alles andere sein als "tümlich": "Eine ganze Reihe von ’Tümlichkeiten’ müssen mit Vorsicht betrachtet werden" [4]. Dieses Brecht-Wort aus dem Jahr 1938 gilt auch heute noch für das Fernsehen: 50 Jahre nach seinem Tod. [5]
– Da hilft auch keine Entschuldigung, dass man in diesem Hause am BE nur unter sehr unvorteilhaften Bedingungen habe aufzeichnen können - und das auch noch bei vollem Hause. Alles geschenkt! [6] Nicht daran lag das Problem, sondern darin, dass man es nicht verstanden hat, diese gegebenen Einschränkungen als eine Herausforderung und Chance zu begreifen, etwas ins Bild zu setzen, das dem Format des Abends hätte adäquat sein können.
– Im Gegenteil: die Einspielteile, die für die Bühne als Projektion vorbereitet worden sind - die Interviews samt Collage, das Dokumentarmaterial, selbst ein "Brecht-Song-Clip" - waren um vieles besser und der Situation adäquater als all jene völlig unmotivierte Dramaturgie der Abfolge von TV-Regie-Bildern, die da über den Sender gekommen sind.
– Das hier gezeigte Programm, so die oben schon zitierte ARD-Programm-Web-Seite "DasErste.de", sei vom Südwestrundfunk, dem Rundfunk Berlin Brandenburg und dem Berliner Ensemble zusammengestellt worden. Ja: SWF, RBB und BE hätten "gemeinsame Sache" gemacht..." [7]. Dennoch sind auf dem ARD-Regiezettel nur die Mitglieder und Gäste des BE aufgelistet und kein einziger Name aus den eigenen Häusern.
– Es wäre jetzt einfach in einer Schlussbemerkung zu schreiben, dass es also vielleicht ganz gut so war, dass man über die Namen der eigenen ARD-Mitarbeiter und Zuarbeiter den Mantel des Schweigens gedeckt habe: Wurde doch gelegentlich offen-sichtlich, dass auch auf Sender-Seite mit den für die Bühne vorbereiteten Film-Einspielungen viele gute Ideen da waren, gekoppelt mit einer guten handwerklichen Qualität. Wenn es die Sender schon mit Bezug auf Brecht einem Sport-Spiel gleichtun wollen und sich gegenüber dem BE nicht als ARD sondern mit ihren Landesanstalten im Verhältnis 2:1 aufstellen, dann sollte man auch TV-seitig die eigene Mannschaftsaufstellung bekanntgeben.
Vielleicht, so Hoffnung und Wunsch des Herausgebers, können diese wenigen hier skizzierten Punkte mit einen Anreiz dazu bieten, die hier vorgeführte Zusammenarbeit nicht nur aus der "Not" eines Jubiläumstermins heraus zu definieren, sondern daraus eine bislang immer noch zu wenig eingeübten "Tugend" werden zu lassen: einer echten "untümlichen" inter-medialen Konvergenz.
WS.