Heute sind alle Medien voll mit den Nachrichten über die aktuellen Dopingvorwürfe, die nach dem ehemaligen Tour-Sieger Jan Ullich nun auch den diesjährigen Tour-de-France-Sieger Floyd Landis öffentlich an den Pranger gestellt haben. Die ARD macht sogar die 20 Uhr Tagesschau mit dieser Nachricht auf und hängt danach noch eine 15-Minuten-Sondersendung hinten dran. [1]
Aber was hier angesichts dieser lauten Empörung zu ersticken droht ist jener Aufschrei, dem kaum noch Gehör geschenkt wird: Es geht um das faktische Scheitern der WTO-Verhandlungen - als das Ergebnis einer hochgedopten Landwirtschaftpolitik in den Industrieländern.
Da Jean Ziegler, UNO- Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, eine Person des "Öffentlichen Lebens" ist, sollte auch die vollständige ungekürzte Übernahme seiner Aussagen im Interview mit Frank Cappelan an dieser Stelle von keinerlei jurisitischen Bedenken des Senders getrübt sein.
Frank Cappelan: "Tot ist die Runde nicht. Sie befindet sich irgendwo zwischen Intensivstation und Krematorium." Mit einer gehörigen Portion Sarkasmus kommentiert der indische Wirtschaftsminister das Scheitern der Verhandlungen der Welthandelsorganisation über eine Liberalisierung des Weltmarktes. Seit 2001 nämlich versuchte die so genannte Doha-Runde, dazu gehören neben der EU und den USA, Australien, Japan, Brasilien und Indien, seit fünf Jahren also versuchte man vergeblich, unter anderem dafür zu sorgen, dass Agrarprodukte aus der Dritten Welt konkurrenzfähig werden können. Die Gespräche sind nun gescheitert. An eine Wiederaufnahme glaubt kaum noch jemand. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler schildert in seinem Buch "Das Imperium der Schande" eindrucksvoll, wie die Macht internationaler Konzerne dazu beiträgt Entwicklungsländer auszubeuten. Jean Ziegler ist auch UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und jetzt am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Herr Ziegler, worauf führen Sie das Scheitern von Doha zurück?
Jean Ziegler: Ich glaube schon, Sie haben absolut Recht, wenn Sie sagen, im Mittelpunkt steht das Abkommen oder jetzt das gescheiterte Abkommen über die Agrarprodukte und das ist eigentlich ziemlich erstaunlich, weil der Handel mit Agrarprodukten nur neun Prozent des Welthandels ausmacht und gerade daran ist jetzt diese Doha-Runde gescheitert. Wenn es um Agrarprodukte geht, dann gibt es zwei Aspekte: Erstens, Zugang der Länder des Südens, die endlich in den kaufkräftigen Märkten des Nordens, den Industrieländern Fußfassen wollten und die immer noch an den Zollmauern, den protektionistischen Zollmauern der Europäischen Union oder den Vereinigten Staaten oder Japans scheitern. Der andere Aspekt ist die Agrardumpingpolitik dieser Industrienationen. Letztes Jahr haben die Industrienationen 349 Milliarden Dollar Subventionen, Produktions- und Supportsubventionen, an ihre eigenen Bauern bezahlt.
Cappelan: Herr Ziegler, der deutsche Landwirtschaftsminister Horst Seehofer hat gestern gesagt, die Amerikaner sind Schuld. Der Protektionismus der Amerikaner ist für das Scheitern verantwortlich. Sitzen die Hauptschuldigen wirklich in Washington?
Ziegler: Ich weiß, es geht ja um einen diplomatischen Krieg zwischen der EU und den Vereinigten Staaten und dass da gegenseitige Anschuldigungen hin- und hergehen über den Atlantik, ist normal. Die Außenhandelsbeauftragte von Präsident Bush sagt natürlich genau das Umgekehrte. Sie sagt, Peter Mandelson, der verantwortliche Verhandler der EU, der macht nicht genügend generöse Angebote und deshalb kann Washington auch seinerseits keine genügenden Angebote machen. Sicher ist, und da hat der deutsche Minister einfach faktisch Recht, dass Washington nicht nur seine Agrarsubvention runter setzt, sondern sie sollen im nächsten Jahr steigen um 19 Milliarden Dollar auf 22 Milliarden.
Cappelan: Aber sind auf der anderen Seite nicht auch die Entwicklungsländer und gerade auch die Schwellenländer gefordert, Zölle zu senken für die Einfuhr von Produkten aus Industrienationen? Daran ist es ja offenbar auch gescheitert.
Ziegler: Ja, da haben Sie Recht. Es gibt eine enge Verbindung zwischen der möglichen Senkung der Industrieprodukte und der Herabsetzung der protektionistischen Agrarzölle und daran ist ja auch die Konferenz in Cancún gescheitert. Dort zum ersten Mal haben die Entwicklungsländer gesagt, ohne massive Senkung der Agrarzölle werden wir überhaupt nicht eintreten auf die Vorschläge von Singapur, also auf die ganze Problematik der Senkung der Zölle auf Industrieprodukte.
Cappelan: Was also tun, die WTO ist offenbar am Ende. Können nun die Europäer bilaterale Abkommen schließen mit Ländern der Dritten Welt?
Ziegler: Die Alternativen dazu sind natürlich die bilateralen Freihandelsverträge, wenn der multilaterale Weg blockiert ist, dann ist der bilaterale Weg immer noch offen. Der ist zwar aber dann gefährlich, meiner Ansicht nach, aus der Perspektiven der Entwicklungsländer, weil auf dem bilateralen Weg die Übermacht der Welthandelsmächte, wie Sie sie genannt haben, also von den Vereinigten Staaten, Japan, und der Europäischen Union, sich da ganz konkret und sehr massiv durchsetzen kann. Im multilateralen System können sich die Entwicklungsländer, wenn sie zusammenfinden, wie in Cancún, auf gemeinsamer Front verteidigen und immerhin irgendwelche vorteilhafte oder wenigstens annehmbare Konditionen aushandeln. Auf dem bilateralen Weg geht das praktisch nicht.
Ich möchte noch einmal zurückkommen auf diese Dumpingpolitik. Heute können sie also auf jedem afrikanischen Markt europäisches Gemüse, französisches, portugiesisches, spanisches, italienisches Gemüse, Früchte zur Hälfte oder zu einem Drittel des Preises kaufen der Inlandproduktion. Und einige Kilometer weiter steht der afrikanische Bauer 15 Stunden am Tag mit seiner Familie unter brennender Sonne, rackt sich ab und hat nicht die geringste Chance, ein Menschen würdiges Existenzminimum zu erreichen und von 53 Staaten Afrikas, sind 37 praktisch reine Agrarstaaten, also diese Dumpingpolitik der Industrieländer die müsste unbedingt verschwinden.
Cappelan: Das heißt also, die Ursache allen Übels liegt darin, dass die Lebensmittel bei uns einfach viel zu billig sind.
Ziegler: Vor allem in der Dritten Welt viel zu billig sind. Dass für unsere Regierungen aus politisch total verständlichen Gründen ihren Bauern fast eine Milliarde Dollar pro Tag an Produktions- und Exportsubventionen geben, das heißt, dass hier entsteht, massive Überproduktion, die dann ausgelagert wird, zu billigst Preisen in die Entwicklungsländer und dort die einheimische Landwirtschaft total ruiniert.
Cappelan: Haben Sie irgendwelche Hoffnungen, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen werden oder kann man sich diese großen WTO-Runden von vorneherein schenken, weil sie am Ende doch nichts bringen?
Ziegler: Also so global kann man es nicht sagen, weil wenn Sie die WTO in der historischen Perspektive sehen, da sind natürlich Fortschritte gemacht worden, was aber nicht klappt, das sind die großen multinationalen Gesellschaften, die 500 größten transkontinentalen Privatgesellschaften haben 52 Prozent des Weltbruttosozialproduktes kontrolliert. Eine unglaubliche Monopolisierung wirtschaftlicher Macht in den Händen einiger ganz weniger, unglaublich mächtiger Privatkonzerne. Und die beherrschen heute das Feld des Welthandels und diese Diktatur müsste gebrochen werden, damit das Gesamtinteresse wieder zur Sprache kommt.
Cappelan: Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur