PARIS: Retro - Metro - Boulot

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 1. Oktober 2006 um 07 Uhr 26 Minuten

 

In der Liebe, so wird gesagt, sterbe man viele kleinen Tode.
Und vor dem Tod, wie oft stirbt die Liebe vor dem Tod?

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Nach mehr als einem 1/4 Jahrhundert wieder in Paris.

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Dort wo das Leben und die Liebe, die Ehe und die Kinder eine prägende Rolle gespielt haben. Kinder auch, die gar nicht erst das Licht der Welt erblickt und Freunde, die wir bis zu ihrem Abschied vom Leben begleitet haben.

RETRO:

Heute ist alles Anders. So extrem anders, dass für eine Nacht ein Hotel in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Zuhauses bezogen wird.

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Welch für ein Ausblick aus diesem Hotelfenster auf eine Welt, die einst ganz und gar die eigenen genannt wurde. Heute wird diese Umgebung durchstreift wie ein Fremder, obgleich der Wiedereintritt in diese Welt alles andere als Gefühle der Entfremdung wachruft - ehr der Wehmut. Denn all das, was man selber mit diesen Mauern und Strassen verbindet gilt eben nur für den, der hier Tag um Tag, Jahr um Jahr verbracht hat.

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Und dann aber gesellen sich nach und nach zu den Bildern, die aus der Erinnerung aufsteigen, jene des sich stets erneuernden Alltags: die der Kinder zum Beispiel, die mit ihren Erzieherinnen singend durch diese Strassen flanieren.

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Und dann sind da auch jene Kinder, die in dem von einem hohen weissen Gitter abgeriegelten Terrain die Pause verbringen, die sich plötzlich an den vor den Gittern aussenstehenden Betrachter wenden mit der Bitte, ihnen doch den Ball zurückzuwerfen, den sie beim Spielen über das Gitter bugsiert hatten - und die gar nicht wissen können, was sie alles an Positivem mit dieser kleinen Bitte angerichtet haben, ihnen ihren Ball wieder zurück „ins Spiel zu bringen“.

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Schliesslich öffnet sich sogar eines der Schulfenster und es kommt zu einem Gespräch mit dem Hausmeister.
Ob es sich noch meiner und meiner Tochter erinnern könne? Aber sicher doch!
Ob es ihm heute gesundheitlich besser ginge? Ja, Dank einer Herzoperation.
Ob die Schule immer noch so gut geführt werde? Ja, hier habe man den alten Stil beibehalten, die Kinder würden nach wie vor zu ihren Erziehern „Sie“ sagen und man würde nach wie vor von den Eltern eher nur Gutes hören.
Ein Foto? Ja. Gerne.

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Und als es ihm gezeigt wird, stimmt er der Veröffentlichung zu zumals es so auch der Tochter auf diesem Weg des Internets bekannt gemacht werden könne.

METRO:

Diese Mal aus dem Vorort mit Ruhe nach Paris hineinzufahren, ist eine grosse Ausnahme von der sonst immer geltenden "Metro-Boulot-Dodo"-Regel [1]. Heute gibt es Zeit, auch während der Reise in der Untergrundbahn neue Eindrücke zu sammeln, sie festzuhalten...

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... und zu verglichen im Spiegel früherer Erinnerungen aus Zeiten, in den die Metrowagons noch aus Holz waren und an den Schiebetüren Männer standen, die an jeder Station das Klingelzeichen zur Weiterfahrt gaben.

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Heute sind es die Zeichen der Angst und der Lust die einen als Teil des Werbeangebotes auf den Bahnsteigen ansprechen sollen. Und es funktioniert, auch wenn jeder weiss, dass all das Gezeigte nichts anderes ist als die Summe von Bildern eines fraktalisierten Filmes, die an einem in den Stationen im Wagon vorbeiziehen und zeitweise beim Halt sogar zum Stehen kommen.

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Ist man aber ausgestiegen, so werden diese Bilder ein Spiegel einer imaginären Wirklichkeit, die so wirklich ist, dass sie zur eigenen gemacht werden könnte und doch so reizvoll unwirklich, dass man bereit sein könnte, dafür Geld auszugeben, sie zur eigenen zu machen.

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Dieser seltene Moment, die Metro einmal nicht nur als Transportweg zu nutzen, sondern selber zum Anlass zu nehmen, um das dort Erlebte in die eigene Arbeit einzubeziehen, ist ein kleines wie besonderes Privileg, in dem sich Leben und Erleben, Tod und Sterben auf eine seltsame Art und Weise begegnen, ganz zufällig, geradezu ephemär und doch von hoher Bedeutungskraft in den eingesammelten sinn-optischen Minimalia.

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Dabei kommt es auf dieser Fahrt in das Stadtinnere sogar zu einem Moment, in dem das Unvorhergesehene zum konkreten Bestandteil des eigenen Erlebebs wird: Wie es der Zufall will, bricht auf der Fahrt auf der Metro-Linie 13 die Stromversorgung zusammen. Und was passiert? Alle bleiben ruhig sitzen - bis einige Minuten später das System wieder aktiviert und die Fahrt fortgesetzt werden konnte.
Ganz ohne Türsteher und Klingelzeichen, die Weiterfahrt signalisierend.

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Kurz danach ist es so, als ob nichts geschehen wäre.

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Der Weg in diesem Zug ist der gleiche, der auch am Abend zuvor in die Rue Jean Goujon geführt hatte: zum Festabend zur Feier des 20jährigen Bestehens des Press Club de France, zu dem alle Mitglieder und viel Prominenz eingeladen worden waren.

BOULOT:

Als der Club 1986 gegründet wurde, war der eigene Lebensweg in Frankreich schon vorgezeichnet: als erster Kulturkorrespondent der TAZ, als Teilnehmer im Presse-Fortbildungszentrum CFPJ in der Rue de Louvre, als Lehrer beim CNPF, als Berater bei der Installation der ersten Kabel-TV-Systeme in Paris und danach in ganz Frankreich.

Heute ist die einst privilegierte Adresse schräg gegenüber des ehemaligen Sitzes des französischen Arbeitgeberverbandes CNPF in der Rue d’Iena ersetzt durch eine ebenso privilegierte Partner- und Nachbarschaft mit dem Hotel SOFITEL Champs-Elysées Paris.

So ist dann noch nicht alles "beim Alten" geblieben. Ausser den Personen, die Gründungsmitglieder des Clubs.

Der Ehrenpräsident Emmanuel de LA TAILLE, der mich doch tatsächlich auch noch nach den vielen Jahren beim Empfang auf dem roten Teppich wieder erkennt - oder zumindest dieses auf sehr überzeugende Art und Weise vorgibt - und mit einem kollegialen, freundlichen „Du“ begrüsst - und später als primus inter pares mit allen anderen Präsidenten vorgestellt wird.

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Und die nimmermüde Isabelle BOURDET,

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die sich an diesem Abend auch als Mitautorin eines eigenen Geburtstags-Liedes „Chanter la vie“ in die Analen des Clubs eingeschrieben hat.

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Die grösste Überraschung des gesamten Abends sind nicht die wenigen bekannten „alten“ und die vielen unbekannten „neuen“ Gesichter, die grösste Überraschung sind „alte Bekannte“ aus Deutschland, die Vertreter des Hauptsponsors dieses Abends, die von Frankfurt jetzt nach Paris übergesiedelt sind und jetzt in Frankreich Werbung zu machen: für ihre Heimat. Thailand.

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Und das so sehr und so gut, dass der ganze Abend dieser 20-Jahr-Feier - abgesehen von einer Fotogalerie mit den Besuchern und Highlights des Clubs aus dieser Zeit - nicht im Zeichen dieser Geschichte stand, sondern der Message des Sponsors dieses Abends.

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Zugegeben: es gab nur wenige Momente auf den eigenen Reisen nach und in Thailand, die so beeindruckend waren, wie das vielfältige und vielfarbige Arrangement, das mit grossem Aufwand und grosser Liebe zum Detail für diesen Abend zusammengestellt worden war. Selbst in Deutschland hat es kein Ereignis gegeben, auch nicht bei den grossen Tourismusmessen, das so beeindruckend und nachhaltig für dieses Land als Tourismusstandort geworben hätte wie diese Veranstaltung. Das war wahrlich gut gemacht. Aber war das auch wirklich gut so?

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Aus Sicht der Veranstalter war dieser Abend auf jeden Fall ein grosser Erfolg: Und das galt auch für jeden Insider und alle, die ihre Freunde hier wiederzusehen hofften.
Für mich als inzwischen aus Berlin Zugereisten war es zwar ein „must“, dabei gewesen zu sein: Un lieu: „oui“ - des liens: „non“.


Der Versuch am nächsten Tag, nach der erneuten Metroanfahrt, hier im Club zu arbeiten, war mit allerlei Behinderungen verbunden. Ganz normal, wenn man weiss, was am Tag und am Abend zuvor hier alles stattgefunden hatte.

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Aber in einem solchen Moment machte sich die nun schon über viele Jahre immer wieder eingeübte Erfahrung hilfreich bemerkbar, dass auch im Falle der "Deklaration des Unmöglichen" es - zumindest in Frankreich - dann doch immer noch Wege und Mittel gibt, das als unmöglich Deklarierte doch noch Wirklichkeit werden zu lassen.

Kurz und gut: Nach einer klaren und fast schroffen Abfuhr am Empfangstresen finden schliesslich die Mitarbeiter des „Signatures“-Restaurant doch einen Arbeits-Platz. Wofür ihnen an dieser Stelle nochmals ausdrücklich gedankt werden soll: Schliesslich ist es ihrer Mithilfe zu verdanken, dass auch dieser Bericht tagesaktuell in „DaybyDay“ veröffentlicht werden konnte. [2].
Ja: Es gab sogar gegenüber meinem Arbeitsplatz einen Fernseher. Auf dem man ab 16 Uhr einen streitenden PremierMinister erleben konnte und einen in "seinem" neuen Museum sich feiernden Staatspräsidenten. Das WM-Fussballspiel der deutschen Nationalmannschaft dagen leider nicht. [3] - Es wurde also dringend Zeit, wieder nach Deutschland zurückzukehren...

Anmerkungen

[1"Boulot" - steht für "Arbeit" (im Sinne von "Maloche")
"Dodo" steht für Schlafen (im Sinne der Kindersprache)

[2Nur die Fotos - auch von diesem Arbeits-Platz - werden erst nach der Rückkehr nach Berlin nachgereicht werden.

[3Welch ein Un-Glücksfall, nachdem vorab schon entsprechende Anfrage bei der Deutschen Botschaft, der Konrad Adenauer Stiftung und beim Goethe-Institut allesamt negativ beschieden worden sind.

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Bei der Botschaft wurde gar nicht erst Einlass gewährt, bei der KAS gab es angeblich keinen Fernseher in den Büros und bei "Goethes" sei so etwas wegen des Platzmagels nach dem Auszug aus der Avenue d’Iena nicht vorgesehen.


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