Eine Woche Las Vegas. Und keinen Cent verzockt. Das ist jetzt, nachdem man gelernt hast, mit all diesen Attraktionen umzugehen. Das ist jetzt, nachdem man sich staunend und ungelenk durch diese Wüste voller wilder Opportunitäten hindurchbewegt hat. Und das ist erst jetzt, nachdem all diese Attraktionen ihre Anziehungskraft verloren, sie sich als blendend arrangierte Staffage ihres wunderbaren Scheins entledigt haben.
Aber wie bitte erklärt man diesen Status und die Notwendigkeit, Vegas zu seinem Arbeitsplatz erklärt haben zu müssen, einem Steuerbeamten, jemandem, der - wie in der Vergangenheit geschehen - nicht bereit ist, eine solche Reise als Dienstreise anzuerkennen, der nicht bereit ist, wahrzunehmen, dass sogar das Wochenende aus nichts anderem besteht als zwei Arbeitstagen?
Es war an einem Sonnabend, als der Digital Cinema Summit morgens um 9 Uhr eröffnet wurde und es war am nachfolgenden Sonntag, als die Veranstaltung schon um 8 Uhr in der Frühe ihre Fortsetzung fand. Und an diesen ersten beiden Tagen ist die innere Uhr noch auf 18 bzw. 19 Uhr abends eingestellt und man wartet eigentlich darauf, wenige Stunden später ins Bett gehen zu können...
Am Sonntagnachmittag kulminiert diese Belastung zu einem extremen Moment, den niemand ausser man selber wahrnehmen darf: es geschieht auf einer „Q’n A Session“ auf der man an die Podiumsteilnehmer Fragen stellen kann. Dazu steht man auf, stellt sich an eines der Mikrophone, die in den Gängen zwischen den Sitzreihen aufgestellt sind und wartet darauf, vom Moderator aufgerufen zu werden. Auf dieser Session wurden schlussendlich insgesamt sieben Fragen beantwortet.
Bevor sich aber herausstellt, dass man mit seiner Frage als der Siebente auch zugleich die letzte Person ist, die eine Frage stellen kann, passiert das ganz und gar Unerwartete: ein tumbes und beklemmendes Drücken in der Herzgegend und brennende Schmerzen, die sich über den linken Arm bis in die Fingerspitzen zu einem stechenden Pieken verlängerten. Wird jetzt all das wahr, was in all den Vorhersagen und Symptombildern der gesundheitlichen Volksaufklärung immer angekündigt wird: der Anfang des Endes, das nur durch schnelles Handeln noch auf die lange Bank oder gar ins nächste Nirvana geschoben werden kann?
Da hier in „DaybyDay“ jeweils über das Wichtigste des jeweiligen Tages gesprochen wird - und sei es hier auch erst nach einigem Nachdenken mit der vielleicht sogar angemessenen zeitlichen Verzögerung - soll auch eine solche Erfahrung nicht verschwiegen werden. Da es aber in „DaybyDay“ immer erst um die Sache geht, soll hier vor allem darüber berichtet werden, welche Wirkung diese nächsten Minuten des bangen und beklemmenden Wartens in der Reihe der Fragesteller mit sich gebracht hat.
Es stellte sich nämlich heraus, dass es ausgerechnet meine Person war, die „das letzte Wort“ erteilt bekommen sollte. Angesichts dieser besonderen innerem Umstände und meiner beruflichen Verpflichtungen „nehme ich mir ein Herz“ und nutze die Präsenz von Leuten wie dem Filmemacher James Cameron auf der Bühne um „my spiel“, wie die Amerikaner sagen, zu Gehör zu bringen: in einer Frage verkleidet an die Anwesenden das Angebot zu machen, sich mit den in Deutschland entwickelten Kinotechnologien zu beschäftigen, diese kennenzulernen und sich gerade auch dort mit uns auszutauschen, wo es um Kinoereignisse geht, die nichts mehr mit Film in klassischen Sinne zu tun haben.
Auch wenn der Moderator nicht gerade begeistert ist von dieser Intervention, das Publikum scheint das anders erlebt zu haben. Kaum ist die Veranstaltung zu Ende, bilden sich dicke Menschentrauben um die Protagonisten auf der Bühne - und eine zumindest ebenso grosse Anzahl von Leuten versammelt sich um die eigene Person. Deren Anzahl ist so gross und die Fragen sind so vielfältig und interessant, dass wir beide von den Organisatoren auf den Gang vor den Saal hinausgedrängt werden. Dort stehen dann Cameron auf der einen Seite und meine Person auf der anderen und „halten Hof“. Die weitergehenden Gespräche halten mich fast eine geschlagene weitere Stunde „gefangen“ - und das eigene mit Cameron vorab avisierte Gespräch fällt damit auch „ins Wasser“, weil er mit seinen „folks“ eher zu einem Ende gekommen und gegangen ist.
Das alles, wie gesagt, an einem Sonntagnachmittag: Arbeit unter höchster Belastung und mit dem Einsatz der ganzen Person, aber eben auch mit der Chance, selbst auf dem US-amerikanischen Markt mit seinen Fragen und Meinungen Gehör zu finden.
Am nächsten Tag waren die Schmerzen abgeklungen. Und am übernächsten Tag wird mir im Rahmen einer Begegnung mit Kollegen und Freunden nahe gebracht, dass die Nachricht auch bei Cameron angekommen sei und er durchaus daran interessiert sein könnte, meiner offen avisierten Einladung nach Deutschland zu kommen Folge zu leisten.
Darauf vereinbaren wir, dieses Thema ebenso direkt als auch diskret weiter zu verfolgen. Und uns vor allem von jeglicher öffentlichen Ankündigung zurückzuhalten, selbst dann, wenn das Ticket nach Berlin schon gebucht wäre: es ist wichtig in dieser Szene zu begreifen, dass gerade diese Leute, mit deren Namen man sich so gerne in Deutschland schmücken möchte, dass gerade eben diese Leute sich so ungerne dieser Art von Belastung durch das öffentliche Interesse auszusetzen bereit sind. Vielmehr sind sie eben so begierig wie jeder Profi auf dieser Messe, ohne grosses Brimborium neue Leute und Technologien kennen zu lernen, die einem für die weitere Arbeit hilfreich sein können. Aber das geht eben nur dann, wenn man es ermöglicht, dass sie nur sehr gezielt und nur ein Stück weit und nur zeitweise dieser öffentlichen Begierde an ihrer Person ausgesetzt sind und sie ansonsten tun und erkunden können, was ihrem Interesse dient - ganz jenseits von dem öffentlichen Interesse an ihrer Person.
Als der Flieger nach einer Woche Las Vegas wieder abhebt, ist es, als wenn diese Woche wie im Fluge vergangen sei - und man fragt sich fast, ob das alles wirklich stattgefunden hat, dieses „spiel“? Aber am nächsten Morgen ist erneut frühes Erwachen angesagt: es ist in Deutschland schon Freitagnachmittag und es müssen noch die wichtigsten Telefonate geführt und Berichte geschrieben werden, bevor dann dieser noch verbleibende Freitag in den USA auch zu einem echten freien Tag deklariert werden kann, als Auftakt für ein wohlverdientes langes Wochenende bei Freunden in Frisco.
WS.